Europäische Minen und Gegenminen

Europäische Minen und Gegenminen – Oskar Meding

Dieser historische Roman ist der zweite Teil aus der Reihe “Um Zepter und Kronen.” Schauplatz ist das Frankreich des Jahres 1867. Der aus Königsberg stammende Meding benutzte auch die Pseudonym ‘Gregor Samarow’ und ‘Leo Warren’, unter denen er viele Romane veröffentlichte. Häufig schrieb Meding über Themen der jüngeren Geschichte.

Europäische Minen und Gegenminen

Europäische Minen und Gegenminen.

Format: eBook

Europäische Minen und Gegenminen.

ISBN eBook: 9783849656560.

 

Auszug aus dem Text:

 

Es war Mitte März 1867.

Ein leichtes Halbdunkel herrschte in dem Wohnzimmer des kaiserlichen Prinzen von Frankreich im alten Paläste der Tuilerien. Die schweren grünen Vorhänge waren bis fast zur Mitte der Fenster zusammengezogen und die durch graue Wolken verhüllte Morgensonne sendete nur wenig Licht in das Innere des Zimmers, welches ein Helles, prasselndes Kaminfeuer mit behaglicher Warme erfüllte.

Auf dem großen Tisch in der Mitte lagen aufgeschlagene Bücher und Landkarten, auf einem Seitentisch standen kleine, statuettenartige Figuren von Papiermaché, die verschiedenen Truppenteile der französischen Armee darstellend, man sah daneben einen Zeichentisch und eine kleine Staffelei mit Gerätschaften zum Malen, einen kleinen elektrischen Apparat und rings umher eine Menge jener tausend Kleinigkeiten, welche teils zum Spiel, teils zum Unterricht des zarten Knaben dienten, den man den kaiserlichen Prinzen von Frankreich nannte, und auf welchen die Augen von ganz Europa teils mit teilnehmender Sorge, teils mit gespanntem Interesse, teils mit erbittertem Hasse ruhten.

Eine Chaiselongue stand in der Nähe des Kamins neben einem Tisch, bedeckt mit Bilderwerken, und auf derselben lag der junge, elfjährige Prinz, in einen weiten, weichen Schlafrock von schwarzer Seide gehüllt. Das blasse, magere Gesicht, von jener durchsichtigen, weißen Klarheit, welche langes körperliches Leiden hervorbringt, ruhte leicht Zurückgelehnt auf einem weißen, spitzenumsäumten Kissen, die großen, dunklen Augen blickten mit fieberhaftem Glanz aus dem perlmutterschimmernden Weiß hervor, und um den jugendlich frischen Mund mit der stolz aufgeworfenen Lippe zuckte es in erregtem Nervenspiel.

Die eine seiner feinen, schlanken und weißen Hände ruhte auf einem, auf seinen Knien aufgeschlagenen farbenreichen Bilderwerk, die Kostüme Frankreichs zu den verschiedenen historischen Epochen darstellend – das aufgeschlagene Blatt zeigte Ludwig XVI. im Krönungsornat und verschiedene Herren und Damen in glänzenden Hoftrachten jener Zeit.

Die andere Hand des Prinzen hielt der vor der Chaiselongue stehende Leibarzt des Kaisers, Doktor Conneau, in der seinen – aufmerksam auf den Sekundenzeiger seiner Uhr blickend und den Pulsschlag zählend.

Die ernsten und intelligenten Züge des alten Freundes und Arztes Napoleons III. waren nicht ganz frei von nachdenklicher Besorgnis, und länger, als sonst nötig, hielt er schon die Hand des kranken Knaben in der seinen, immer und immer wieder den Pulsschlag verfolgend und von Zeit zu Zeit in fast unmerklicher Bewegung den Kopf schüttelnd.

Auf der anderen Seite stand der Gouverneur des Prinzen, General Frossard, eine ernste, militärische Erscheinung, fest und soldatisch in seiner Haltung, Freundlichkeit, gemischt mit energischer Willenskraft, bildete den Ausdruck seiner Züge. Der forschende Blick seines Auges ruhte auf dem Arzte, der jetzt langsam die Hand des Prinzen herabsinken ließ und lange prüfend in dessen Gesicht blickte.

»Sobald das Wetter schöner wird,« sagte endlich Doktor Conneau, »muß der Prinz nach Saint Cloud; der fortwährende Aufenthalt in reiner und sonniger Luft ist jetzt erste Bedingung der weiteren Genesung.«

Die Augen des jungen Prinzen erweiterten sich, ein glückliches Lächeln umspielte seine Lippen.

»Ich danke Ihnen herzlich für diese Verordnung,« rief er mit seiner, trotz des jugendlichen Alters sonoren und wohllautenden, durch die Leiden der Krankheit etwas gedämpften Stimme, »oh, es treibt mich mit aller Gewalt hinaus aus diesen Mauern, hinaus in die weite, freie Luft zu den Blumen und Bäumen, die ich hier nur aus den Fenstern sehen kann! – Glauben Sie mir,« fuhr er nach einer kurzen Pause, während welcher sein Blick träumerisch auf dem kolorierten Kupferblatt vor ihm ruhte, – »glauben Sie mir, – hier in diesen Mauern werde ich niemals gesund, sie bringen mir Unglück, sie drücken und beängstigen mich, – o – ich bitte, lassen Sie mich gleich, – gleich heute hinausgehen!«

»Das Wetter ist noch zu rauh, mein Prinz,« sagte Doktor Conneau freundlich, indem er mit der Hand leicht und sanft über das glänzende, dunkelblonde Haar des kaiserlichen Kindes strich. – »Sie müssen noch einige Zeit warten, die Übersiedelung könnte Ihnen schaden!«

Ein Zug von Unmut und Verdruß legte sich um die Lippen des Prinzen, seine reine Stirn faltete sich über den Augenbrauen und seine Augen verhüllten sich in leichtem Tränenschimmer.

»Die Übersiedelung kann mir nicht so viel schaden,« rief er heftig, indem er die Fingerspitzen gegeneinander preßte, »als der Aufenthalt hier in diesen Tuilerien, die mich erdrücken. Ich will fort!«

»Prinz,« sagte der General Frossard mit kurzem und strengem Ton, »um das Wort: ich will – brauchen zu lernen, muß man zunächst zu gehorchen verstehen, zu gehorchen den Eltern und Lehrern – und vor allem der Notwendigkeit. Regen Sie sich nicht auf und warten Sie ruhig den Augenblick ab, wo der Doktor Ihre Übersiedelung anordnen wird.«

Der Prinz senkte die Augen, ein langer Seufzer drang aus seinen Lippen, und wie unwillkürlich deutete er mit der Hand auf das Kostümbild, das auf seinen Knien lag.

»Ich sage Ihnen aber,« sprach er nach einigen Augenblicken, indem der gereizte und eigenwillige Ausdruck von seinem Gesicht verschwand und eine tiefe Traurigkeit sich über seine Züge legte, – »ich sage Ihnen aber, daß ich hier nicht gesund werden kann! – Denken Sie, lieber Doktor,« fuhr er fort, – »ich lag hier vorher und besah diese Bilder der alten Trachten und erinnerte mich dabei alles dessen, was ich gelernt habe aus der Geschichte Frankreichs – und bei jedem neuen Bilde sah ich neues Blut und Unglück, welches dieser Louvre und diese Tuilerien, die jetzt mit ihm vereint sind, über ihre Bewohner gebracht haben, immer neue Ströme von Blut, immer neues Entsetzen, – ich wurde recht traurig, und hier bei diesem Bilde des armen Königs Ludwig schlief ich ein.«

Die Augen des Prinzen richteten sich weit und glänzend mit fieberhaftem Schimmer nach oben.

»Da träumte ich weiter,« fuhr er fort, indem seine Stimme fast zum Flüsterton herabsank, – »und ich sah den armen, kleinen Dauphin, wie er bleich und traurig die Hand gegen mich erhob – und dann sah ich den schönen König von Rom, er stieg langsam hinab in eine einsame Gruft und grüßte mich mit der Hand und blickte mich an so tief und wehmütig, daß es mir hier« – er legte die Hand auf sein Herz – »weh tat – und dann sah ich aus allen Mauern dieses Schlosses die hellen Flammen hervorbrechen, und draußen der Hof wurde ein Meer von Blut, und in dies Meer sanken die Trümmer des brennenden Schlosses hinein. – Und ich wollte fliehen, voll Angst und Entsetzen, – aber die Wellen des Blutmeeres rollten mir nach und wollten mich verschlingen, – da wachte ich auf – aber ich sehe noch das entsetzliche Bild vor mir! O lieber Doktor, lassen Sie mich fort von hier, aus diesen fürchterlichen Tuilerien, ich kann hier nicht schlafen, – aus Furcht, wieder so schrecklich zu träumen!«

Und bei Prinz faltete bittend die Hände und richtete seinen Blick mit flehendem Ausdruck auf den Arzt.

Doktor Conneau blickte ernst und sorgenvoll in die aufgeregten Züge des Knaben.

»Mein Prinz,« sagte der General Frossard mit ruhigem, festem Ton, »Sie müssen sich nicht aufregen und keinen Träumereien hingeben, – die Geschichte jedes Landes hat vieles Traurige und viele blutige und entsetzliche Momente, – denken Sie lieber an alles Große und Herrliche, das die Vergangenheit und die Gegenwart dieses schönen Frankreichs in so reichem Maße bieten!«

….

 

 

Dieser Beitrag wurde unter M, Meding-Oskar, Meisterwerke der Literatur veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.