Mein Lebensgang – Louise Otto
Dieser Band beinhaltet Louise Ottos beste lyrischen Werke. Während der Märzrevolution wurde die Meißener Schriftstellerin und Aktivistin Herausgeberin der von ihr begründeten Frauen-Zeitung.
Format: eBook
Mein Lebensgang.
ISBN eBook: 9783849656782.
Auszug aus dem Text:
Berufung
Wie schön war meine Kinderzeit verflossen,
Wie hab’ ich da im trauten Vaterhaus
Der Elternliebe Segen ganz genossen.
Wie spielt ich froh mit Vögeln und mit Blüten
Im Garten und im Weinberg frei umher,
Und lernte gern sie pflegen und behüten.
Wie war es schön mit jenen auch zu singen,
Ganz leis, daß es kein fremdes Ohr gehört,
Und in das Reich der Dichtung mich zu schwingen!
Doch ach, es ging das süße Glück zu Ende:
Bald raubte beide Eltern mir der Tod –
Ob ihren Gräbern rang ich bang die Hände.
Demütig beugt ich mich in Gottes Willen –
Und fragte doch: warum er das gethan?
Mit Liedern suchte ich den Schmerz zu stillen.
In Liedern sucht ich selbst mich zu erheben
Und fragte mich und fragte die Natur:
Ward nicht von oben mir Gesang gegeben?!
Und was ich Anfangs nur als Spiel erlesen:
Ist’s nicht ein Ruf der mich von oben trifft,
Füllt mit Begeisterung mein ganzes Wesen?
So nah ich mich des Dichtertempels Stufen.
Will einzig mich dem Dienst der Muse weihn,
Ihr bleib ich treu, denn ich vernahm ihr Rufen!
Tiedge
Ein Dichtergreis mit weißen Silberhaaren,
Schon nahe an des Lebens letzter Grenze
Und ich, ein Kind das in des Lebens Lenze
Sich schüchtern mischt in seiner Freunde Schaaren.
Ein Priester war er mir im Reich des Wahren,
Als ob ein Heilgenschein sein Haupt umglänze,
»Urania« es selbst mit Sternen kränze
Sich ihrem Sänger so zu offenbaren.
Ein Priester, der im sanften Handauflegen
Auf meine Locken mich der Muse weihte
Und so mir gab den ersten Dichtersegen.
In seine Hand schwor ich’s mit heilgem Eide:
Was mein auch harrt auf künft’gen Lebenswegen;
Der Muse bleib ich treu im Glück und Leide.
Sonette
1.
O haltet mich mit Bitten nicht zurücke
Wenn ich im Sehnen nach der Freiheit Lichte
Zu hohen Zielen meine Blicke richte,
Von keinem Glück weiß als vom Völkerglücke.
Mir ward einmal die Weisung vom Geschicke
Daß ich im Schaun prophetischer Gesichte
Dem Dienst der Zukunft freudig mich verpflichte,
Von keinem Glück weiß als vom Völkerglücke.
Ihr Glücklichen! Ihr mögt in Eurem Frieden
Den Gatten weihn zum Kampf für’s Vaterland
In Euren Kindern Streiter ihm erziehen.
Ich aber habe nichts ihm, nichts zu bieten
Als meiner Lieder kühnen Freiheitsbrand,
Das Einzige was mir mein Gott verliehen.
2.
Wie jener Maid im schönen Frankenlande
Die heilge Jungfrau einstens ist erschienen
Und sie vermocht ihr ewig treu zu dienen,
Ein zartes Weib im kriegrischen Gewande:
So trat zu mir befreit vom Erdenbande
Die Muse mit den götterselgen Mienen,
Hat mich vermocht ihr ewig treu zu dienen,
Gab mir den Weihekuß zum Bundespfande.
So will auch ich die heilge Fahne schwingen
Und der Begeistrung Oriflamme tragen,
Mit Liederschwertern unsre Feinde schlagen!
Die reine Magd kann jegliches vollbringen:
Der höchsten Kunst hab ich mich ganz ergeben,
Treu bis zum Tode durch das ganze Leben! –
….