Nürnberg – Louise Otto
Ein kulturhistorischer Roman aus dem 15. Jahrhundert. Während der Märzrevolution wurde die in Meißen geborene Schriftstellerin und Aktivistin Herausgeberin der von ihr begründeten Frauen-Zeitung.
Format: eBook
Nürnberg.
ISBN eBook: 9783849656799.
Auszug aus dem Text:
An einem sonnenklaren Maientage des Jahres 1489 wanderte ein schlanker Jüngling auf der breiten Heerstraße, die von Westen nach Nürnberg führte, der ehrwürdigen Reichsstadt zu. Schon waren ihm viele Menschen begegnet zu Fuß wie zu Roß und hoch mit Kaufmannsgütern beladene Wagen, umgeben von zahlreichem Geleit, denn ohne solches wagte Niemand die Waaren zu versenden, die so noch oft genug in die Hände der rohen Raubritter fielen, die ihr Wesen gerade am Aergsten von ihren düstern Burgen herab in der Nähe der freien Reichsstadt trieben, deren Reichthum sie beneideten, deren Bürgerstolz sie haßten und deren Bürgern sie schon darum gern einen Verlust und Schaden zufügten, weil diese selbst oft genug den hohlen Glanz des Ritterthums verdunkelten, und wo es in ihrer Macht war, sich nicht scheuten, seine Angehörigen, wenn sie dieselben eines Frevels überführen und habhaft werden konnten, nach ihren strengen Gesetzen zu strafen und zu richten.
Schon an diesem belebten Verkehr hätte der Jüngling erkennen müssen, daß er dem Ziel seiner weiten Wanderschaft sich endlich näherte – aber als er jetzt aus dem gewaltigen Reichsforste trat, durch den sein Weg zuletzt geführt: da lag sie vor ihm, die große, sich weit ausbreitende Stadt, in der doch ein Giebel dicht an den andern gedrängt den Nachbar zu überragen strebte, indeß zahlreiche Thürme miteinander wetteiferten den Himmel zu begrüßen und in kunstvollen Formen sich von ihm abzuzeichnen. Höher darüber thronte die Veste, die vor etwa fünfzig Jahren neu erbaut worden war von den Bürgern Nürnbergs, nachdem sie Ludwig der Bärtige von Baiern 1420 niedergebrannt und Markgraf Friedrich von Brandenburg sie sammt allen Rechten einige Jahre später an die Stadt Nürnberg verkauft hatte. Da und dort blinkten die grünen Wellen der Pegnitz, welche die Stadt durchströmt und in zwei Hälften schneidet: die Lorenzer und die Sebalder Seite, so genannt nach ihren Kirchen, den herrlichsten Denkmalen gothischer Baukunst. Da und dort, besonders aus den Vorstädten steigt düsterer Rauch auf, der kommt aus den gewaltigen Schornsteinen der zahlreichen Gießhütten, in denen die Kunst und das Handwerk zugleich arbeiten im innigsten Verein, um nützliche Geräthe zu schaffen für den Hausgebrauch und vollendete Werke monumentaler Kunst zur Ehre Gottes für die erhabenen Tempel, in denen alle Künste sich vereinigen dem Herrn zu dienen und alles Volk ihm zuzuführen.
Auf einer kleinen Anhöhe hat der Wanderer sich niedergelassen, und indessen er die Stadt betrachtet, in die seine Sendung lautet, und ihm das Herz groß und weit wird bei ihrem Anblick und dem Gedanken, daß er da drinnen Brüder seiner Zunft und Kunstgenossen finden wird, in deren Mitte eine reiche Zukunft voll begeisternder Thätigkeit ihn erwartet, können wir ihn selbst betrachten.
Er ist lang und schlank und von edlem Wuchse, sein Gesicht glatt und fein, nur jetzt etwas von der Frühlingssonne auf langer Wanderschaft gebräunt, unter der edelgebauten Stirn scheinen hohe Gedanken zu wohnen, und noch mehr leuchtet aus den tief dunklen Augen das Feuer echter Begeisterung. Das üppige braune Haar, halblang in der Mitte gescheitelt und rundum glatt geschnitten, bedeckt ein kleiner runder Strohhut. Ueber den enganliegenden Beinkleidern von bräunlichem Leder trägt er eine Art kurze Blouse von rothbrauner Farbe, am schwarzen Ledergürtel hängt ein kurzes breites Schwert und um die Schultern am festen Riemen ein ledernen Sack. Die kurzen Stiefeln von ungeschwärztem Leder bezeugen in ihrem abgerissenen Zustand auch die Weite des Weges, den sie zurückgelegt.
Nachdem er das letzte Stück Brod, das er in dem Sack gefunden, der seine ganze Habe enthielt, verzehrt, ging er auf’s Neue mit rüstigen Schritten auf die Stadt zu und betrat sie bald durch ein langes düsteres Thor. Er wußte nirgend Bescheid und bog ohne Weiteres in die enge Gasse ein, die ihn in der Richtung des Kirchthurms zu führen schien, den er sich von Weitem als sein Wanderziel ausersehen. Aber bald verschwand ihm dieser vor den höher aufsteigenden nahen Giebeln, die in den engen, oft krummlinigen Straßen seinen Blick beschränkten, und er ging durch dieselben ohne Plan und Ziel, nur gelockt von der Neuzeit des Anblickes, der sich ihm bot, der Bewunderung und Freude, die ihn erfüllten.
Der Wanderer kam von Straßburg und hatte am Rhein und in Franken, das er jetzt durchzogen, wohl manchen stattlichen Bau und manche aufblühende Stadt gesehen; auch war ihm wohl das Sprüchlein bekannt, demnach kein Fürst so schön wohne wie die Fugger zu Augsburg und die Tucher zu Nürnberg: aber Alles, was er hier sah, übertraf doch seine Erwartungen. Hohe, oft fünfstöckige jedoch schmale und tiefe Häuser kehrten die Giebelseite der Straße zu, so zwar, daß die verschiedenen Geschosse sich treppenartig übereinander thürmten und von der Straße aus den Aufblick nach oben beschränkten. Viele Fenster, meist hoch und weit, oft oben in Bogen gewölbt, schmückten die Häuser, symmetrisch und doch mannigfaltig vertheilt. Zuweilen vereinigten sich zwei oder drei Fensterfelder zu einem vorspringenden Chörlein, das schöne Wappenschilder von zierlicher Steinmetzarbeit schmückten. Wie der Giebel war meist auch die obere Gruppe der Fenster pyramidisch angeordnet und der Giebel selbst Treppenförmig ausgeschnitten, an manchen Häusern auch die einzelnen Stufen mit aufstrebenden Steinverzierungen gekrönt. Ueber den weiten Eingang der Häuser stieg häufig ein kunstgerechter Spitzbogen empor mit steinernem Laubwerk umwunden, oder zeigten sich buntgemalte Wappenschilder oder Zunftzeichen. Und wo ein Haus eine Straßenecke bildete, da fehlte selten an der scharfen Ecke ein vorspringender Wegstein mit einem steinernen oder ehernen Standbild; bald war es ein Engel mit ausgebreiteten Flügeln, bald ein Ritter mit geschwungenem Speer oder ein Lindwurm. Wo ein weiterer Platz sich zeigte, da stand inmitten gewiß ein Brunnen mit schönen Statuen oder feinem Gitter darum, oder war irgend ein künstliches Druckwerk daran, daß wie von selbst das Wasser heraus und gen Himmel sprang, an der Erde im weiten Steinbecken sich sammelnd.
Hatte der neue Ankömmling auch schon da und dort gleich schöne Bauwerke und Steinmetzarbeiten gesehen, noch nirgend war es ihm vorgekommen, daß sie so dicht zusammen sich drängten, so gleichsam den Bedürfnissen des täglichen Lebens dienten, zu ihnen zu gehören schienen. Und welch’ ein wogendes Leben war das auch, das sich dazwischen bewegte! Auf Wagen oder Schleifen wurden Waarenballen von geschäftigen Händen aufgethürmt zu weiterer Versendung, oder abgeladen und in die weiten Hofräume der Häuser geschafft. Ueberall waren die Erdgeschosse Werkstätten, aus denen ein munter bewegtes Leben voll rüstiger Arbeit klang, oder Kaufläden, an deren Fenstern kunstvolle Geräthschaften oft von Gold und Silber blitzten, so daß unser Fremdling schon bei sich selbst eine solche Gasse die Goldschmiedsgasse nannte, noch ehe er wußte, daß sie wirklich diesen Namen führte. Zwischen den geschäftigen Arbeitern, die aus den Werkstätten ab und zu gingen, schritten stattliche Herren, die zum Rath gingen, manche in Pelz und Sammt gekleidet, gleich als ob sie Edelleute wären, indeß sie doch nur bürgerlicher Herkunft, aber den geachtetsten Geschlechtern Nürnbergs angehörend, hatten sie unkundlich selbst vom Kaiser die Erlaubniß zu solch reicher Tracht erhalten, die sonst allein dem Adel zukam. Daneben wandelten gleich reich gekleidete Frauen, die nicht nur mit den Schleppen ihrer seidenen Damastkleider, sondern auch mit ihren weiten hängenden Aermeln die Straße fegten, dem Rath zum Trotz, der schon einmal eine Verordnung wider die Länge solcher Aermel erlassen. Aber neben dem Stolz, der wie aus der Kleidung auch aus der Haltung dieser Frauen sprach, lag auch etwas so Ehrbares und Züchtiges in ihrem Auftreten, das allen Begegnenden Achtung einflößte und die sie erblickenden Männer, mochten sie dem weltlichen oder geistlichen Stande angehören, nöthigte mit höflichen Grüßen an ihnen vorüberzugehen. Und auch unter den einfacher gekleideten Bürgermädchen, von denen manches den schönen Fremdling mit schelmischen Augen neugierig musterte, gab es liebliche Erscheinungen, an denen Alles nett und sauber war, von dem goldgestickten Riegelhäubchen herab bis zum Schuh, der bis an den Knöchel reichte. Wenn sie das Wasser schöpften, am Brunnen sich neigten und dann das Gefäß zum Kopf mit den bloßen Armen emporhoben, so war so viel Grazie in diesen Bewegungen, als Würde bei dem stolzen Auftreten jener Patrizierinnen.
All’ dies Leben und Treiben voll Anmuth und Schönheit der Häuser wie ihrer Bewohner war wohl geeignet den Fremden zu fesseln und gleichsam zu übertäuben, daß er ziel- und planlos durch dasselbe schritt, bis er plötzlich sich am Fuße der Veste gewahrend sich doch besann, daß er hier unmöglich auf dem rechten Wege sein könne und daß es Zeit werde, nun einmal danach zu fragen.
Er befand sich eben in einer im Augenblick ziemlich menschenleeren Gasse, als an einem der Häuser eine Thür sich öffnete und ein junger Bursche daraus hervortrat; hinter ihm hörte man polternde Stimmen und vernahm zuletzt die Worte:
»Und somit lass’ es dir gesagt sein, halte dich dazu, Albrecht, und verträumere die Zeit nicht, wie es deine Art ist!«
Dem knabenhaften Jüngling, dem diese Worte mit rauhem Tone ausgesprochen galten, schoß das Blut in’s feine blasse Gesicht und in die klaren schwärmerischen Augen trat etwas wie eine Thräne. Er schüttelte die langen braunen Locken zurück, die so üppig fast wie Löwenmähnen auf seine Schultern niederflossen, hob einen Topf mit grüner Farbe darauf, indeß er in der andern Hand Pinsel und Richtscheit trug. Diese Hände, zumal die auf das Haupt emporgehaltene, erschienen so weiß, klein und durchsichtig, als wären sie von Alabaster künstlerisch gemeißelt. Die Gestalt war fast klein und schwächlich, aber es lag etwas freudig Selbstbewußtes in ihrer Haltung und sprach von der edlen Stirn trotz der Thräne des Unmuthes im Auge und dem Roth der Scham auf den Wangen, daß der Fremde unwillkürlich davon angezogen ward und gerade ihn sich ausersah nach dem Wege zu fragen.
»Gott grüße Euch!« rief er ihm zu; »wie es scheint, seid Ihr hier zu Hause und könnt mich berichten; wie heißt hier diese Gasse?«
»Unter der Veste,« antwortete Albrecht bescheiden den Gruß erwiedernd.
»Da bin ich wohl weit von meinem Ziel?« antwortete der Wanderer mit etwas fremdartigem Idiom, »ich bin an die Bauhütte der freien Steinmetzzunft von Nürnberg gewiesen.«
»Da habt Ihr freilich dahin noch durch manche Straße und manches Gäßlein zu gehen,« antwortete Albrecht, »und da Ihr fremd hier zu sein scheint, werdet Ihr Euch schwerlich zurecht finden. Ein Stücklein Wegs aber kann ich Euch jedenfalls geleiten und ich bitt’ Euch mir zu folgen. Und welche Hütte sucht Ihr wohl? Die große steinerne Bauhütte zu St. Sebald, welche die Baubrüder aufgeschlagen haben, da sie die schöne Sebaldskirche bauten, steht noch dem Rathhaus gegenüber, und bis dahin haben wir nicht weit; wollt Ihr aber in die Bauhütte bei der St. Lorenzkirche, drinnen wieder fleißig gearbeitet wird, weil ein hoher Chor und eine neue Kapelle zum schönen Bau hinzu gestiftet worden, so müssen wir auf die Lorenzer Seite über die steinerne Brücke hinüber.«
»Ihr seid hier wohl bewandert, junger Freund,« antwortete der Fremde, »es ist die Bauhütte von St. Lorenz, in die ich gesandt bin; aber wiewohl mir Euer Geleit gar willkommen ist, so will ich Euch doch nicht veranlassen um deswillen einen Umweg zu machen, da Ihr wohl keine Zeit zu verlieren habt –«
Albrecht erröthete, weil er aus dieser Bemerkung schloß, daß der Fremde die scheltenden Worte, mit denen er vorhin entlassen worden, und wohl gar die Schimpfreden, die vorhergegangen, könne gehört haben. Er unterbrach ihn daher schnell, indem er antwortete: »Mein Weg führt mich auch in diese Gegend. Mein Meister ist gut und wacker, und gerade weil ich an ihm einen nachsichtigen Herrn habe, kann ich’s nur seinen rohen Knechten nicht zu Dank machen.«
»Und wer ist Euer Meister?« fragte der Fremde.
»Der Maler Michael Wohlgemuth,« antwortete Albrecht; »vielleicht habt Ihr von ihm gehört, denn sein Name klingt wohl weit in das Reich hinaus, da von vielen entfernten Orten Bestellungen an ihn kommen.«
»Ei freilich kenn’ ich seinen Namen und habe schon manch’ ein schönes Gemälde in glänzenden Farben auf Goldgrund von ihm gesehen. Hätte ich gewußt, daß es seine Werkstatt war, aus der Ihr tratet, so würde ich der Lust nicht haben widerstehen können mich drinnen umzusehen,« erklärte der Wanderer.
Wenn Ihr hier bleibt,« antwortete der Lehrling des Malers, »so findet Ihr Euch schon ein andermal wieder in Michael Wohlgemuth’s Werkstatt ›unter der Veste‹, und es wird mich freuen Euch wieder zu sehen und dem Meister zuzuführen, dessen Verehrer Ihr seid!«
»Ihr wollt also wohl auch ein Maler werden?« sagte der Fremde.
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