Schloss und Fabrik – Louise Otto
Als junge Frau hatte Otto anlässlich eines Besuchs bei ihrer Schwester in Oederan die drückende Not der Fabrikarbeiter kennen gelernt und in ihrem Roman “Schloss und Fabrik” beschrieben. Das Erlebnis wurde zur Initialzündung, für die Rechte und für die Unterstützung der Arbeiter einzutreten.
Format: eBook
Schloss und Fabrik.
ISBN eBook: 9783849656805.
Auszug aus dem Text:
Zehn Uhr Abends. Um diese Stunde mußten in dem großen Hause des Herrn Doctor Nollin alle Lichter verlöscht und sollten alle Augen geschlossen sein. Und es waren viel schöne Augensterne, die da mit den Lichtern um die Wette zu leuchten aufhören mußten, statt daß manche von ihnen gewiß noch so gern abendlich geschwärmt und geblinkt hätten. Denn mehr als zwanzig junge Mädchen bewohnten dieses Haus auf der breiten, aber etwas einsamen Königsstraße einer Deutschen Residenz zweiter Größe. Herr und Madame Nollin leiteten nämlich ein Institut zur Erziehung und Ausbildung junger Mädchen aus den höheren Ständen. Das Institut war eben so vornehm, als kostspielig eingerichtet und daher auch nur von den Töchtern solcher Familien besucht, welchen Rang und Reichthum einen großen Aufwand gestattete. Dasselbe das erste der Residenz nennen zu können, war der Stolz von Madame Nollin.
Zehn Uhr Abends. Auch die junge Gräfin Elisabeth von Hohenthal hatte ihr Licht verlöscht und, der Hausregel folgend, das Lager gesucht. Aber sie richtete sich bald wieder unruhig auf, zog mit der kleinen Hand die Vorhänge ihres Himmelbettes auseinander, streckte das Köpfchen hervor und vom matten Mondlicht unterstützt, blickte und lauschte sie nach der nebenan offen stehenden Thüre, dann rief sie halblaut:
»Aurelie!«
Kichernd sprang auf diesen Ruf ein junges, leichtfüßiges Mädchen, in den leichten Schlafrock gehüllt, die niedlichen Pantoffeln, um Geräusch zu vermeiden, in den Händen, herein und warf sich in den Sessel neben Elisabeths Lager.
»Nun, gestrenge Herrin,« lachte sie, »da bin ich zu Dero Befehl – ich brenne nämlich vor Neugier, zu wissen, warum Du heute den ganzen Tag so blaß und schmachtend ausgesehen hast, und mit welchen großartigen Plänen Du umgingst, als Du heute Deine Stickerei drei Mal auftrennen mußtest, ehe sie sich vor kritischen Augen sehen lassen konnte – nun beichte –«
»Kann man nicht ernsthaft mit Dir reden, Aurelie?« fegte Elisabeth mit etwas vorwurfsvoller Betonung.
»Nun, warum denn nicht? Wer weiß denn, daß Deine Geständnisse so gewaltig wichtig sind? Aber wirklich, was hast Du denn?« und Aurelie, indem sie die letzten Worte mit liebreich theilnehmender Stimme sprach, nahm die Rechte der Freundin zwischen ihre beiden kleinen Hände.
»Thalheim,« begann diese, »ist heute abermals außen geblieben –«
»Nun, und was weiter?«
»Was weiter? Wäre nicht dies allein schon genug, um –«
»Um Dich zu ärgern? Möglich!« sagte Aurelie, indem sie zu gähnen begann, »es thut mir zwar sehr leid, daß du dadurch verhindert worden bist, Deinen letzten geistreichen Aufsatz vortragen zu können, daß Du heute sein Lob nicht eingeärntet hast – allein hat Deine heutige Sentimentalität keinen andern Grund, als diesen etwas lächerlich ehrgeizigen, so thut es mir wirklich leid um den Schlaf, den ich jetzt versäume.«
»Es sollte mir leid thun, hielte ich Dich von irgend einem Vergnügen zurück; ist Dir der Schlaf ein solches, dann, gute Nacht!« versetzte Elisabeth kalt und lehnte sich in die Kissen zurück.
Aurelie stand stumm auf, öffnete leise das Fenster und sah hinaus. Sie that dies nur, um ein wenig Luft zu schöpfen oder vielmehr um Zeit zu gewinnen, sich mit der Freundin wieder auszusöhnen; zu schnell wollte sie dieselbe aber nicht versöhnen, um sich selbst Nichts von ihrer eignen Würde zu vergeben. Bald jedoch ward ihre Aufmerksamkeit durch Stimmen, welche sich auf der Straße hören ließen, gefesselt.
Zwei männliche Gestalten gingen unten vorüber und die Lauschende hörte die Worte:
»So viel ist gewiß, dies ist das Institut, welchem sie angehören, aber wie aus einer so scharfbewachten Heerde gerade die Eine herausfinden, die man im Sinne hat und von der man nicht einmal weiß, ob sie Pauline oder Aurelie heißt –«
Das Wort »Heerde« klang Aurelien zwar etwas anstößig, sie konnte es nicht ohne Nasenrümpfen hören, doch als sie ihren eignen Namen verstanden hatte, strengte sie ihr Gehör auf’s Aeußerste an, um vielleicht noch ein die erregte Neugierde befriedigendes Wort zu vernehmen, und so hörte sie noch eine zweite Stimme sagen:
»O, ich habe mir das Engelsgesicht zu deutlich gemerkt, um es je wieder vergessen zu können, wer sie auch sei, wie tyrannisch sie vielleicht auch bewacht sein mag, ich werde Mittel finden, mich ihr zu nähern.«
Die erste Stimme ließ darauf ein wieherndes Gelächter vernehmen – darüber schien die vorher friedliche Unterhaltung in ein Gezänk überzugehen, von dem Aurelie, da die Sprechenden sich immer weiter entfernten, kein Wort mehr verstehen konnte. Ueber diesem kleinen Vorfalle vergaß Aurelie ganz und gar, daß sie noch vor ein paar Minuten mit Elisabeth nicht im besten Vernehmen gewesen war – sie trat zu dieser und berichtete, mit einem »Denke Dir« beginnend, umständlich und pathetisch das Erlauschte und stellte in einem langen Wortschwall Tausend Vermuthungen auf, die sich daran knüpfen ließen.
Elisabeth hörte geduldig zu und sagte dann lächelnd: »Nun Du ein solches Abenteuer erlebt, bereust Du wohl nicht mehr die wenigen Minuten des verlornen Schlafes?«
Da besann sich Aurelie erst wieder, daß jene ihr vorhin gezürnt und sie sagte weich: »Vorhin wurdest Du mir böse – ich will Dir zugeben, daß mir mit Deinen Worten Recht geschah, und so soll es wieder gehen wie immer – ich bin vorlaut, Du bist stolz – wir gestehen uns dies ein, und ich selbst bin die Erste, welche nachgiebt. So ist denn wieder Alles bei’m Alten und fiel ich Dir vorhin in’s Wort, so hast Du nun die Güte, es zu vollenden.«
Elisabeth drückte die dargebotne Hand und begann nach einer Weile mit niedergeschlagenen Augen: »Ihr nennt mich eitel und ehrgeizig und die Meisten der Gefährtinnen witzeln über mich. Ich bin es nicht, ich will nur den großen Vortheil nicht unbenutzt lassen, der mir zu Theil geworden, indem ein Thalheim unser Lehrer ist. Ich würde mich dieses Gefühlsunwerth fühlen, wenn ich nicht danach streben wollte, dies auch zu verdienen – – Aber wie kannst Du denken, nur Eitelkeit sei im Spiel, wenn ich darüber klage, daß Thalheim nicht gekommen?«
»Nun wirklich,« lachte Aurelie pfiffig, »da machst Du ein naives Geständniß, so bist Du wohl gar in Thalheim verliebt?«
»Welch’ einfältiges Wort und welcher noch einfältigerer Gedanke! Siehst Du dort«, und Elisabeth legte sich mit dem Oberkörper ein wenig vor und deutete mit der Hand nach dem geöffneten Fenster, »siehst Da da oben den kleinen Stern am Himmel, der gerade unter dem Orion steht? Er ist verschwindend klein gegen dies glänzende Sternbild und Niemand, der jenes nennt, nennt und zählt ihn mit – aber deshalb ist er doch des Orion steter Begleiter. Was wär’ es denn weiter, wenn ich jener kleine Stern wäre und Thalheim mein Orion? Wenn ich in seiner Bahn ihm nachwandelte, unzertrennlich von ihm und doch immer in derselben Ferne wie ein Stern neben dem andern?«
»Was schwärmst Du wieder?«
»Ja, so seid ihr,« seufzte Elisabeth und wieder den gewöhnlichen Gesprächston annehmend, sagte sie kurz: »Thalheim’s Gattin ist dem Tode nahe, er will nicht von ihrem Schmerzenslager weichen und deshalb hat er sich bei uns entschuldigen lassen. Aber das ist nicht Alles. Erst gestern, als ich bei meiner Tante zum Besuch war, habe ich dort zufällig gehört, was mich in’s Innerste bewegt hat.«
»Nun, das wäre? –«
»Thalheim soll so arm sein, daß er sich seiner Frau wegen die größten Entbehrungen auferlegt und jetzt durch ihre Krankheit in die größte Noth gestürzt Tag und Nacht allein an ihrem Lager wacht, jeden Dienst ihr leistet und unter den quälendsten Sorgen ringt. Ach, Aurelie, in diesem Augenblick, wo wir friedlich zusammen sprechen, kniet er vielleicht in Verzweiflung, daß er der sterbenden Gattin irgend einen Wunsch nicht erfüllen kann, an ihrem Schmerzenslager, und eine Hand voll elenden Goldes könnte sie zwar nicht dem Leben erhalten, aber es ihr doch leichter machen, zu sterben, und er wäre doch der niedrigsten aller Sorgen enthoben.«
»Das thut mir wirklich leid, wenn er so unglücklich ist – Armuth muß doch sehr schlimm zu ertragen sein – Aber wie können wir es ändern? Einem Bettler könnte man schon helfen – ihm aber nicht.«
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