Nora oder ein Puppenheim (Deutsche Neuübersetzung)

Nora oder ein Puppenheim (Deutsche Neuübersetzung) – Henrik Ibsen

Henrik Ibsens wohl bekanntestes Stück behandelt das Schicksal der verheirateten Nora Helmer, die damit exemplarisch steht für viele verheiratete Frauen im Norwegen seiner Zeit, denen jedwede vernünftige Möglichkeit zur Selbstverwirklichung in einer von Männern dominierten Welt fehlte – obwohl Ibsen immer bestritt, dass es seine Absicht gewesen war, ein feministisches Stück zu schreiben. Das Werk erregte damals großes Aufsehen und löste einen Sturm der Entrüstung aus, der über das Theater hinaus durch die Weltpresse und die Gesellschaft ging. Dies ist eine deutsche Neuübersetzung aus dem Jahr 2021.

 

Nora oder ein Puppenheim (Deutsche Neuübersetzung)

Nora oder ein Puppenheim (Deutsche Neuübersetzung).

Format: Taschenbuch/eBook

Nora oder ein Puppenheim (Deutsche Neuübersetzung)

ISBN Taschenbuch: 9783849667948

ISBN eBook: 9783849660567

 

Auszug aus dem Text:

 

1. AKT

DIE SZENE: Ein Zimmer, komfortabel und geschmackvoll, aber nicht extravagant eingerichtet. Im hinteren Teil führt eine Tür rechts in die Diele, eine andere links in Helmers Arbeitszimmer. Zwischen den Türen steht ein Klavier. In der Mitte der linken Wand ist eine Tür, dahinter ein Fenster. Neben dem Fenster stehen ein runder Tisch, ein Sessel und ein kleines Sofa. In der rechten Wand, am anderen Ende, eine weitere Tür; und auf derselben Seite, näher an der Bühnenbeleuchtung, ein Ofen, zwei Sessel und ein Schaukelstuhl; zwischen dem Ofen und der Tür ein kleiner Tisch. An den Wänden Stiche; ein Schrank, gefüllt mit Porzellan und anderen kleinen Gegenständen; ein kleiner Bücherschrank mit prächtig eingebundenen Büchern. Die Böden sind mit Teppich ausgelegt, und im Ofen brennt ein Feuer.

[Es ist Winter. In der Diele läutet eine Glocke; kurz darauf hört man, wie die Tür geöffnet wird. Nora, eine Melodie auf den Lippen und gut gelaunt, tritt ein. Sie trägt Ausgehkleidung und einige Pakete, die sie auf den rechten Tisch legt. Sie lässt die Tür hinter sich offen, so dass man dahinter einen Dienstmann sieht, der einen Weihnachtsbaum und einen Korb trägt, den er dem Hausmädchen, das die Tür geöffnet hat, überreicht].

Nora. Verstecke den Weihnachtsbaum gut, Helen. Achte darauf, dass ihn die Kinder nicht sehen, bis er heute Abend geschmückt wird. [Zum Dienstmann gewandt, während sie ihr Portemonnaie herausnimmt] Wie viel?

Dienstmann. Zwanzig Kronen.

Nora. Hier sind fünfzig. Nein, nein, behalten Sie den Rest. [Der Dienstmann dankt ihr und geht hinaus. Nora schließt die Tür. Sie lacht in sich hinein, während sie ihren Hut und ihren Mantel abnimmt. Dann zieht sie eine Packung Makronen aus der Tasche, isst eine oder zwei, geht vorsichtig zur Tür ihres Mannes und lauscht] Ja, er ist da. [Immer noch summend geht sie zum Tisch rechts]

Helmer [Ruft aus seinem Zimmer]. Ist das meine kleine Lerche, die da draußen zwitschert?

Nora [Öffnet eifrig einige Pakete]. Ja, das ist sie!

Helmer. Und ist das mein kleines Eichhörnchen, das da herumwuselt?

Nora. Ja!

Helmer. Wann ist mein Eichhörnchen denn nach Hause gekommen?

Nora. Gerade eben. [Steckt die Tüte mit den Makronen in die Tasche und wischt sich den Mund ab] Komm herein, Torvald, und sieh, was ich gekauft habe.

Helmer. Stör mich nicht. [Kurz darauf öffnet er die Tür und schaut ins Zimmer, einen Stift in der Hand] Gekauft, sagtest du? All diese Dinge? Hat meine kleine Verschwenderin wieder viel Geld ausgegeben?

Nora. Ja – aber, Torvald, dieses Jahr können wir uns wirklich ein wenig mehr leisten. Das ist das erste Weihnachten, an dem wir nicht sparen müssen.

Helmer. Trotzdem sollten wir nicht leichtsinnig Geld ausgeben.

Nora. Aber Torvald, ein klein wenig leichtsinnig dürfen wir doch sein, oder? Nur ein klitzekleines bisschen! Du wirst bald ein gutes Gehalt haben und viel, viel Geld verdienen.

Helmer. Ja, aber erst im neuen Jahr, und dann wird es ein ganzes Quartal dauern, bis das erste Geld bezahlt wird.

Nora. Puh! Bis dahin könnten wir uns etwas borgen.

Helmer. Nora! [Geht auf sie zu und zieht sie spielerisch am Ohr] Du kleines Dummerchen! Stell dir vor, ich hätte mir heute tausend Kronen geliehen, und du hättest alles in der Weihnachtswoche ausgegeben; und dann wäre mir am Silvesterabend eine Schiefertafel auf den Kopf gefallen und hätte mich erschlagen, und ––– .

Nora [Legt ihm die Hände auf den Mund]. Oh! Sag nicht so schreckliche Dinge.

Helmer. Trotzdem – mal angenommen, das würde passieren; was dann?

Nora. Wenn so etwas passieren würde, wäre es mir vermutlich gleichgültig, ob ich jemandem Geld schulde oder nicht.

Helmer. Dir. Gut. Und was ist mit den Leuten, die uns das Geld geliehen hätten?

Nora. Die? Was soll ich mir darüber Gedanken machen? Ich wüsste ja nicht einmal, wer sie waren.

Helmer. Das ist ja wieder typisch Frau! Aber im Ernst, Nora, du weißt, was ich davon halte. Keine Schulden, kein ausgeliehenes Geld. Man kann im Leben weder Freiheit noch Schönheit genießen, wenn man sie sich mit Krediten und Schulden erkauft hat. Wir zwei sind bisher tapfer auf dem geraden Weg geblieben, und den werden wir die kurze Zeit, die wir noch aushalten müssen, auch weitergehen.

Nora [Auf den Ofen zugehend]. Wie du meinst, Torvald.

Helmer [Folgt ihr]. Komm schon, meine kleine Lerche sollte nicht die Flügel hängen lassen. Was ist denn los? Ist mein kleines Eichhörnchen etwa sauer? Nora, was meinst du, was ich hier habe?

Nora [Dreht sich schnell um]. Geld!

Helmer. Sehr richtig! [Gibt ihr etwas Geld] Meinst du, ich weiß nicht, was es zu Weihnachten bedarf?

Nora [Zählt]. Hundert Kronen, tausend Kronen, zweitausend Kronen! Danke, danke, Torvald, das wird eine ganze Weile reichen.

Helmer. Das will ich doch sehr hoffen.

Nora. Doch, doch, das wird es. Aber komm doch her und lass mich dir zeigen, was ich gekauft habe. Und alles so billig! Sieh nur, hier haben wir einen neuen Anzug für Ivar und ein Schwert, und ein Pferd und eine Trompete für Bob, und eine Puppe und ein Bettgestell für Emmy – ziemlich einfach gemacht, aber sie wird es sowieso bald kaputt kriegen. Und hier ist noch etwas Stoff für neue Kleider und Taschentücher für unser Personal; die alte Anne könnte wirklich etwas Neues gebrauchen.

Helmer. Und was ist in diesem Päckchen?

Nora [Ruft laut]. Nein, nein! Das darfst du erst heute Abend sehen.

Helmer. Nun gut. Aber jetzt sag mir, du verschwendungssüchtiges, kleines Mädchen, was hast du für dich gekauft?

Nora. Für mich? Ach was, ich brauche doch nichts.

Helmer. Doch, das tust du. Nenne mir etwas Erschwingliches, das du besonders gerne haben möchtest.

Nora. Nein, da fällt mir wirklich nichts ein. Es sei denn – Torvald –– .

Helmer. Was?

Nora [Spielt mit seinen Mantelknöpfen, ohne den Blick von seinem Gesicht zu wenden]. Wenn du mir wirklich etwas schenken willst, könntest du – du könntest –– .

Helmer. Nun denn, raus damit!

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