Abhandlungen über die Psalmen, Band 1

Abhandlungen über die Psalmen, Band 1 – Hilarius von Poitiers

Hilarius’ “Abhandlung über die Psalmen” ist ein mindestens ebenso großes Werk wie die “Bücher über die Dreieinigkeit”, aus dem wir sogar noch mehr über den Autor erfahren können. Die “Bücher über die Dreieinigkeit” sind ein Appell an alle Christen der Zeit, geschrieben für künftige Generationen ebenso wie für sie selbst; so charakteristisch es in vielerlei Hinsicht für den Autor ist, so sehr verbergen der Umfang des Werkes und seine ausgeprägte Rhetorik seine Persönlichkeit. Aber die “Abhandlung über die Psalmen”, die uns fast in der Form von Notizen eines Stenographen erreicht zu haben scheinen, so kunstlos und redselig ist ihr Stil, zeigen uns Hilarius von einer anderen Seite. Er belehrt seine vertraute Gemeinde, und er kennt seine Schäfchen so gut, dass er alles ausschüttet, was ihm durch den Kopf geht. In der Tat scheint er oft laut über Themen nachzudenken, die ihn interessieren, anstatt sich an die Bedürfnisse seiner Zuhörer zu wenden. Die praktische Ermahnung findet tatsächlich einen viel kleineren Raum als die mystische Exegese und die spekulative Christologie. Doch werden abstruse Fragen niemals durch eine stilistische Entfaltung noch undurchsichtiger gemacht. Die Sprache ist frei und fließend, immer die eines gebildeten Mannes, der durch Übung Leichtigkeit erlangt hat. Und hier verrät er, so seltsam es einem Leser der anderen Werke auch erscheinen mag, eine Vorliebe für poetische Worte, was zeigt, dass er an anderer Stelle bewusst auf solche Verzierungen verzichtet hat. Doch auch hier schwelgt er nicht in eindeutigen Reminiszenzen an die Dichter. Dies ist Band eins von zwei.

Abhandlungen über die Psalmen, Band 1

Abhandlungen über die Psalmen, Band 1.

Format: eBook/Taschenbuch

Abhandlungen über die Psalmen, Band 1

ISBN eBook: 9783849660550

ISBN Taschenbuch: 9783849667986

 

Auszug aus dem Text:

Abhandlung über den ersten Psalm.

1.

„Selig ist der Mann, welcher nicht in dem Rathe der Bösen wandelt, nicht auf dem Wege der Sünder steht, und nicht auf dem Stuhle der Seuche sitzt, sondern an dem Gesetze des Herrn seine Lust hat, und das Gesetz desselben Tag und Nacht vor Augen hat.“ Eine fünffache Beobachtung, erwähnt der Prophet, liege einem seligen Manne ob, die erste, daß er nicht in dem Rathe der Gottlosen wandle; die zweite, daß er nicht auf dem Wege der Sünder stehe; die dritte, daß er nicht auf dem Stuhle der Seuche sitze; dann, daß er an dem Gesetze des Herrn seine Lust habe; und endlich, daß er dasselbe Tag und Nacht vor Augen habe. Demnach muß der Gottlose von dem Sünder, und der Sünder von dem mit der Seuche Behafteten verschieden seyn; zumal da die Gottlosen einen Rath, der Sünder einen Weg, der mit der Seuche Behaftete einen Stuhl hat; dann, weil man in dem Rathe der Gottlosen mehr geht, als steht, auf dem Wege des Sünders aber mehr steht, als geht. Um nun die Gründe hievon einsehen zu können, muß man untersuchen, wie viel sich ein Sünder von einem Gottlosen unterscheide, damit man dadurch  erkennen kann, warum dem Sünder der Weg, dem Gottlosen hingegen der Rath zugetheilt werde; ferner: warum man auf dem Wege stehen, in dem Rathe aber gehen müsse, da doch die menschliche Gewohnheit bestimmt, daß man in dem Rathe stehen, und auf dem Wege gehen solle,26 Nicht ein Jeder, welcher ein Sünder ist, ist auch gottlos; der Gottlose ader muß ein Sünder seyn. Wir wollen nun von dem allgemein bekannten Gebrauche ein Beispiel hernehmen. Kinder können ihre Väter lieben, obgleich sie Trunkenbolde, Schwärmer und Verschwender sind; und bei diesen Fehlern sind die ohne Gottlosigkeit, welche nicht ohne Sünde sind. Die Gottlosen hingegen überschreiten, obgleich sie die erhabenen Tugenden der Enthaltsamkeit und Nüchternheit besitzen, dennoch durch die Verachtung des Vaters ein jedes andere Vergehen, welches ausser der Gottlosigkeit noch vorhanden seyn wird.

2.

Nach diesem vorgelegten Beispiele also unterliegt es keinem Zweifel mehr, daß der Gottlose von dem Sünder verschieden sey. Und zwar schon die Natur des allgemeinen Urtheils selbst gibt zu verstehen, daß die Gottlosen jene seyen, welche es verschmähen, nach der Erkenntniß Gottes zu trachten, welche nach einer gottlosen Ansicht die Behauptung aufstellen, es gebe keinen Schöpfer der Welt, welche anführen, die Welt sey durch zufällige Bewegungen zu dieser Gestalt und Schönheit gelangt, welche, um ihrem Schöpfer kein Urtheil über das gut oder lasterhaft geführte Leben zu überlassen, annehmen, daß sie durch die Nothwendigkeit der Natur geboren, und durch dieselbe Nothwendigkeit wieder aufgelöset werden. Der ganze Rath dieser Menschen ist also schwankend, unsicher und irrend, und treibt sich ohne irgend einen Anhaltspunkt in demselben und durch dasselbe herum; denn er hält sich nicht fest an den Maßstab irgend einer Bestimmung. Einen Weltschöpfer getraute sich die Grübelei nicht zu lehren. Denn frägst du, warum, und wie lange, und in wiefern die Welt sey, ob die Welt für den Menschen, oder der Mensch für die Welt da sey, und warum der Tod, oder bis wann, oder wie Statt finde; so treibt sie sich immer um diese ihre gottlosen Rathschläge herum, und befindet sich immer in Bewegung, weil sie in diesen Rathschlägen keinen Ruhepunkt gefunden hat.

3.

Es gibt noch andere Räthschläge der Gottlosen, nämlich die derjenigen, welche, in die Ketzerei verfallen, sich weder an die Gesetze des neuen, noch an die des alten Bundes halten. Die Reden solcher Menschen drehen sich immer im Kreise und Cirkel des Irrthumes herum, halten sich an nichts fest, bleiben nirgends stehen, und werden durch das Hin- und Herschwanken der unbestimmten Ansicht hin und her getrieben. Ihre Gottlosigkeit besteht darin, daß sie Gott nicht nach dem Ausspruche Gottes selbst, sondern nach der Neigung ihrer Willkühr bemessen, indem sie nicht wissen, daß es nicht minder gottlos ist, einen Gott sich erdichten, als ihn läugnen. Und frägst du diese, mit welchem Zwecke ihres Hoffens und Glaubens sie so dächten, so werden sie beschämt und verwirrt, sie verstellen sich, irren herum, und suchen das Ziel der Unterredung selbst, um die es sich handelt, zu vermeiden. Selig also ist der Mann, welcher in diesem Rathe der Gottlosen nicht wandelt, das heißt, welcher selbst jenem Willen, in diesem Rathe zu wandeln, nicht Raum gegeben hat; weil auch der Gedanke dessen, was gottlos ist, schon Sünde ist.

4.

Nun folgt aber, daß derjenige, welcher nicht in dem Rathe der Gottlosen wandelt, auch auf dem Wege der Sünder nicht weilen soll. Denn es gibt Mehrere, welche, obwohl sie durch das Bekenntniß Gottes von der Gottlosigkeit sich losgerissen haben, doch hiedurch noch nicht von der Sünde frei sind, indem sie zwar in der Kirche verbleiben, aber die Lehre der Kirche nicht beobachten, wie die Geizigen, die Trunkenbolde, die Unruhestifter, die Schwärmer, die Stolzen, die Heuchler, die Lügner und die Räuber. Und zu diesen Fehlern reizt uns zwar unser Naturtrieb, allein, wie es heilsam ist, daß wir von diesem Wege, zu welchem wir hingetrieben werden, abgehen, so ist es auch nützlich, nicht auf demselben zu weilen, sondern unverzüglich von demselben hinwegzueilen. Und darum ist selig der Mann, welcher nicht auf dem Wege der Sünder weilt, indem ihn zwar die Natur auf diesen Weg hinführt, die Gewissenhaftigkeit des Glaubens aber von diesem Wege zurückführt.

5.

Die dritte Stufe zur Erlangung der Seligkeit ist ferner diese, daß man nicht auf dem Stuhle der Seuche sitze. Es saßen und lehrten auf dem Stuhle des Moses die Pharisäer; es saß auch Pilatus auf dem Richterstuhle; auf welchem Stuhle zu sitzen wird also verderblich seyn? Gewiß nicht das Sitzen auf dem des Moses, indem der Herr vielmehr die Sitzenden, als das Sitzen auf dem Stuhle mißbilliget, da er spricht:27 „Auf dem Stuhle des Moses sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer; Alles, was sie euch sagen, das thuet, was sie aber thun, das thuet nicht.“ Das Sitzen auf demjenigen Stuhle ist nicht pestartig, welchem zu gehorchen durch den Ausspruch des Herrn geboten wird. Es wird also jener pestartig seyn, dessen Ansteckung  Pilatus durch die Waschung der Hände vermeidet. Denn Viele verdirbt, obwohl sie Furcht vor Gott haben, doch das Streben nach zeitlichen Ehren; und es wollen die, welche den Gesetzen der Kirche untergeben sind, nach den Gesetzen des Forums richten. Aber ungeachtet sie zu den Geschäften, welche sie besorgen, einen frommen Willen mit sich bringen, und sich wohlwollend und enthaltsam beweisen; so müssen sie doch von einer pesthaften Ansteckung der Geschäfte, mit welchen sie sich befassen, ergriffen werden. Denn der Gang der öffentlichen Angelegenheiten läßt sie, wenn sie auch wollen, nicht bei der unveränderlichen Beobachtung des Kirchengesetzes beharren. Und obschon sie an dem frommen Vorsatze fest halten wollen; so werden sie doch durch den Zwang des Stuhles, welchen sie eingenommen haben, bald zur Ehrenkränkung, bald zum Unrechte, bald zur Bestrafung, wenn auch der Wille zaudert, genöthiget. Der Zwang macht sie zu Theilnehmern an dem Zwange, indem sie gleichsam von einer krank machenden Siechheit angesteckt werden. Und darum nennt der Prophet diesen ihren Sitz den Sitz der Pest, weil er mit seiner Seuche auch die Gesinnung des frommen Herzens ansteckt.

 

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