Kommentar zum Evangelium des Matthäus

Kommentar zum Evangelium des Matthäus – Hilarius von Poitiers

Der “Matthäus-Kommentar” ist tatsächlich im strengen Sinne ein Kommentar und nicht, wie das Werk über die Psalmen, eine Reihe von exegetischen Abhandlungen. Er befasst sich mit dem Text des Evangeliums, ohne Kommentar oder Kritik an seinen Besonderheiten, und stellt die Bedeutung, hauptsächlich allegorisch, nicht des ganzen Evangeliums heraus, sondern offensichtlich von Lektionen, die im Gottesdienst gelesen wurden. Einige Seiten am Anfang und am Ende sind leider verloren gegangen, aber sie können nichts von solcher Bedeutung enthalten haben, dass sie den Eindruck, den wir von dem Buch haben, verändern. In Diktion und Grammatik ist es Hilarius’ späteren Schriften sehr ähnlich; die Tatsache, dass es vielleicht etwas steifer im Stil ist, mag auf das Selbstbewusstsein eines Autors zurückzuführen sein, der sich zum ersten Mal an ein so wichtiges Thema wagte. Die Exegese ist oft dieselbe wie die des Origenes, aber ein Vergleich der verschiedenen Passagen, in denen Hieronymus diesen Kommentar erwähnt, lässt es als sicher erscheinen, dass er sich nicht in dem Maße von ihm abhängig gemacht hat wie in den Homilien über die Psalmen.

Kommentar zum Evangelium des Matthäus

Kommentar zum Evangelium des Matthäus.

Format: eBook/Taschenbuch

Kommentar zum Evangelium des Matthäus

ISBN eBook: 9783849660543

ISBN Taschenbuch: 9783849667979

 

Auszug aus dem Text:

Erstes Hauptstück

1.

Inhalt.

 Von der Geburt Christi, von den Weisen mit den Geschenken, und von dem Kindermorde.

Die Abstufung, welche Matthäus nach der Reihe der königlichen Geschlechtsfolge bekannt gemacht hatte, berechnet Lukas nach der priesterlichen Abstammung. Bei der Aufzählung gibt ein Jeder von Beiden die Verwandtschaft beider Stämme im Herrn an. Und richtig wird die Geschlechtsstufe angegeben, weil die Verbindung des Priesterstammes und des Königsstammes, durch David zu Folge der Vermählung begonnen, schon von Salathiel in Zorobabel dem Geschlechte nach bestätiget wird. Und indem so Matthäus die väterliche Abkunft, welche von Juda ausging, nachweiset, Lukas hingegen die durch Nathan aus dem Stamme Levi empfangene Herkunft angibt, weisen Beide für unsern Herrn Jesus Christus, welcher ewiger König und ewiger Priester ist, nach allen seinen Vätern auch hinsichtlich der fleischlichen Abkunft die ruhmvolle Abstammung in beiden Geschlechtern nach. Daran aber, daß mehr die Geburt Josephs, als Mariens erörtert wird, ist nichts gelegen; denn die Verwandtschaft des ganzen Stammes ist Eine und dieselbe. Aber auch ein Verzeichnis haben Matthäus und Lukas gegeben, indem sie die Väter gegenseitig nennen, nicht so fast dem Geschlechte, als dem Stamme nach; weil der Stamm von Einem seinen Anfang nimmt, und in der Familie Einer Geschlechtsfolge und Abkunft enthalten ist. Denn da er als Sohn Davids und Abrahams dargestellt werden sollte, weil Matthäus so beginnt: „Buch der Abkunft Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams;“ so macht es keinen Unterschied,3 wer in der Zahl und Reihe der Abstammung gesetzt werde, wenn man nur einsieht, daß die Familie Aller von Einem angefangen habe. Da nun so Joseph und Maria von demselben Stamme sind; so wird, indem gezeigt wird, daß Joseph aus dem Geschlechte Abrahams stammt, auch nachgewiesen, daß auch Maria aus demselben stamme. Denn im Gesetze wurde diese Weise beobachtet, daß, wenn ein Familienhaupt ohne Söhne mit Tod abgegangen war, der nächstfolgende Bruder von derselben Verwandtschaft die Frau des Verstorbenen heurathete, und die erhaltenen Kinder in die Familie dessen, welcher gestorben war, übertrug, und daß somit die Reihe der Geschlechtsfolge bei den Erstgebornen blieb, indem sie als Väter derer, welche nach ihnen geboren wurden, entweder dem Namen, oder der Abstammung nach angesehen wurden.

 

2.

Nun folgt, daß, weil wir gesagt haben, die Reihe dieser Abstammung sey in Bezug aus geschichtliche Gewißheit weder der Zahl, noch der Aufeinanderfolge nach richtig, auch von dieser Sache der Grund angegeben werde. Denn nicht unwichtig ist der Umstand, daß etwas anders erzählt wird, und etwas anders geschehen ist; daß etwas anders im Ganzen aufgeführt wird, und etwas anders in der Zahl enthalten ist. Denn von Abraham bis auf David sind vierzehn Generationen aufgezählt, und von David bis zur Auswanderung nach Babylon vierzehn Generationen; da doch in den Büchern der Könige siebenzehn gefunden werden. An diesem ist aber nicht Lügenhaftigkeit oder Nachläßigkeit Schuld. Denn drei sind absichtlich übergangen worden. Jonas hat nämlich den Ochozias, Ochozias aber den Joas, Joas ferner den Amasias, Amasias aber den Ozias gezeugt. Und bei Matthäus steht geschrieben, Joras habe den Ozias gezeugt, obwohl er der Vierte nach ihm ist. Dieses geschah, weil Jeras den Ochozias mit einem auswärtigen Weibe zeugte, nämlich mit einem aus dem Hause Achabs; und es war durch den Propheten gesagt worden, daß nur in der vierten Generation Einer vom Hause Achabs auf dem Thron des Reiches Israel sitzen werde. Nachdem nun die auswärtige Familie Achabs gereiniget, und drei übergangen waren, wird erst von dem Vierten der königliche Stamm der folgenden Generationen weiter aufgezählt. Darin aber, daß berichtet wird, bis auf Maria seyen es vierzehn Generationen, obwohl man dreizehn an Zahl findet, kann für dieienigen kein Irrthum liegen, welche wissen, daß unser Herr Jesus Christus nicht den Ursprung allein habe, welcher aus Maria beginnt, sondern daß in der körperlichen Zeugung die Bezeichnung der ewigen Geburt begriffen sey.

 

3.

Die Beschaffenheit der Geburt aber ist einfach. Denn daß er von dem heiligen Geiste empfangen, aus Maria der Jungfrau geboren wurde, sagen alle Propheten. Aber mehrere Gottlose und von der geistigen Lehre weit Entfernte nehmen hievon Gelegenheit, schändlich von Maria zu denken, weil gesagt ist:4 „Ehe sie zusammenkamen, fand es sich, daß sie schwanger war;“ und jenes:5 „Fürchte dich nicht, Maria deine Gemahlin zu dir zu nehmen;“ und dieses:6 „Er erkannte sie nicht, bis sie geboren hatte;“ ohne zu bedenken, daß sie verlobt gewesen, und dieses zu Joseph gesagt worden sey, welcher sie verstoßen wollte, weil er gerecht war und nicht wollte, daß nach dem Gesetze gegen sie verfahren würde. Damit also über seine Geburt kein Zweifel obwalten möchte, wird er selbst zum Zeugen der Empfängniß Christi von dem heiligen Geiste genommen; dann nimmt er sie, weil sie verlobt war, als Gemahlin zu sich. Sie wird also nach der Geburt anerkannt, das ist, sie erhält den Namen Gemahlin. Denn sie wird anerkannt, und vermischt sich nicht. Ferner wird, als Joseph ermahnt wird, nach Aegypten zu ziehen, so zu ihm gesprochen:7 „Nimm das Kind und seine Mutter;“ und: „Zieh zurück mit dem Kinde und seiner Mutter;“ und wiederum bei Lukas: „Und es war Joseph und seine Mutter.“ Und so oft von Beiden geredet wird, ist sie vielmehr die Mutter Christi, weil sie es war, nicht die Gemahlin Josephs genannt worden, weil sie es nicht war. Aber auch diese Rücksicht wurde von dem Engel beobachtet, daß er sie, indem er sie als die Verlobte des gerechten Joseph bezeichnete, Gemahlin nannte. Denn er sagte so:8 „Joseph, Sohn Davids! fürchte dich nicht, Maria deine Gemahlin zu dir zu nehmen.“ Eines Theils erhielt sie demnach als  die Verlobte den Namen Gemahlin, andern Theils wurde sie nach der Geburt, als Gattin anerkannt, nur die Mutter Jesu genannt, auf daß, wie dem gerechten Joseph die ehliche Verbindung mit derselben Maria während ihrer Jungfrauschaft zugetheilt wurde, so auch ihre verehrungswürdige Jungfrauschaft durch die Benennung Mutter Jesu angedeutet werden möchte.

 

4.

Aber die höchst verkehrten Menschen gebrauchen als Beleg für ihre Ansicht dieses, daß erzählt wird, unser Herr habe mehrere Brüder gehabt. Wären diese Söhne der Maria, und nicht vielmehr des Joseph, welche dieser aus seiner frühern Ehe erhalten hatte, gewesen; so würde sie nie zur Zeit des Leidens dem Apostel Johannes als Mutter zugetheilt worden seyn, indem der Herr zu Beiden sprach:9 „Weib! sieh da deinen Sohn!“ und zum Johannes: „Sieh da deine Mutter!“ welches nur geschah, um zum Troste der Trostlosen die Liebe des Sohnes in dem Jünger zu hinterlassen.

 

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