Von der Wichtigkeit, ernst zu sein (Deutsche Neuübersetzung)

Von der Wichtigkeit, ernst zu sein – Oscar Wilde

“Von der Wichtigkeit, ernst zu sein” wurde am 14. Februar 1895 im St. James’s Theatre in London uraufgeführt und ist eine komödiantische Posse, in der die Protagonisten fiktive Persönlichkeiten spielen, um lästigen sozialen Verpflichtungen zu entgehen. Das Stück spielt mit den gesellschaftlichen Konventionen des spätviktorianischen Londons und thematisiert die Trivialität, mit so schwerwigende Institutionen wie die Ehe behandelt werden, sowie die daraus resultierende Satire auf die viktorianischen Sitten. Einige zeitgenössische Kritiker lobten den Humor des Stücks und den Höhepunkt von Wildes künstlerischer Karriere, während andere das Fehlen sozialer Botschaften bemängelten. Der hohe Grad an Komik und die witzigen Dialoge haben dazu beigetragen, dass “Von der Wichtigkeit, ernst zu sein” zu Wildes populärstem Stück geworden ist, das bis heute gespielt wird.

Von der Wichtigkeit, ernst zu sein

Von der Wichtigkeit, ernst zu sein.

Formate: Taschenbuch/eBook

Von der Wichtigkeit, ernst zu sein.

ISBN Taschenbuch: 9783849667962

ISBN eBook: 9783849660536

 

1. Akt

 

Die Szene:

[Das Frühstückszimmer in Algernons Appartement in der Half Moon Street. Der Raum ist luxuriös, aber kunstvoll eingerichtet. Im Nebenzimmer erklingt ein Klavier].

[Lane trifft Vorkehrungen für den Nachmittagstee auf dem Tisch, und nachdem die Musik verstummt ist, tritt Algernon ein].

 

Algernon. Haben Sie gehört, wie ich gespielt habe, Lane?

Lane. Nein, ich dachte, es sei vielleicht unhöflich, Sir.

Algernon. Das tut mir leid, Sie haben etwas verpasst. Ich spiele nicht sehr akkurat – das kann schließlich jeder – , dafür aber mit tollem Ausdruck. Gefühlvolles Klavierspiel ist eine meiner Stärken. Präzision hebe ich mir für andere Dinge auf.

Lane. Jawohl, Sir.

Algernon. Apropos Präzision, haben Sie die Gurkensandwiches für Lady Bracknell schon zubereitet?

Lane. Ja, Sir. [Hält ihm ein Tablett hin]

Algernon. [Inspiziert sie, nimmt zwei Sandwiches und setzt sich auf das Sofa] Oh, mir fällt gerade ein, Lane, in Ihrem Buch steht, dass am Donnerstagabend, als Lord Shoreman und Mr. Worthing mit mir speisten, acht Flaschen Champagner getrunken wurden.

Lane. Ja, Sir; acht Flaschen und ein bisschen was.

Algernon. Wie kommt es, dass im Heim eines Junggesellen ausnahmslos die Dienerschaft den Champagner trinkt? Nicht, dass es von Belang wäre.

Lane. Ich führe dies auf die hervorragende Qualität des Weines zurück, Sir. Mir ist schon oft aufgefallen, dass der Champagner in den Haushalten verheirateter Paare selten erstklassig ist.

Algernon. Gütiger Himmel! Ist die Ehe denn so zermürbend?

Lane. Ich glaube, dass sie tatsächlich eher angenehm ist, Sir, obwohl ich selbst damit allerdings nur sehr wenig Erfahrung vorzuweisen habe. Ich war nur einmal verheiratet – und das war die Folge eines Missverständnisses zwischen mir und einer sehr jungen Person.

Algernon. [Gelangweilt] Ich weiß wirklich nicht, ob mich Ihr Familienleben interessiert, Lane.

Lane. Das sollte es auch nicht, Sir, es ist ja nicht wirklich spannend. Ich denke selbst nie daran.

Algernon. Vermutlich nur natürlich, da bin ich sicher. Das genügt, Lane, danke.

Lane. Sehr wohl, Sir. [Lane ab]

Algernon. Lanes Ansichten über die Ehe scheinen mir etwas lasch zu sein. Wenn die unteren Gesellschaftsschichten uns hier schon kein gutes Beispiel geben, wozu sind sie dann überhaupt gut? Sie scheinen insgesamt absolut keinen Sinn für moralische Verantwortung zu haben.

[Auftritt Lane].

Lane. Mr. Ernest Worthing.

[Auftritt Jack].

[Lane ab].

Algernon. Wie geht es dir, mein lieber Ernest? Was führt dich in die Stadt?

Jack. Oh, das Vergnügen, das pure Vergnügen! Was sollte einen denn sonst in die Stadt führen? Wie immer am Essen, wie ich sehe, Algy!

Algernon. Ich dachte, es wäre in der besseren Gesellschaft üblich, um fünf Uhr eine kleine Erfrischung zu sich zu nehmen. Wo warst du eigentlich seit letztem Donnerstag?

Jack. [Setzt sich auf das Sofa] Auf dem Land.

Algernon. Und was in aller Welt tust du dort?

Jack. [Zieht sich die Handschuhe aus] Wenn man in der Stadt ist, amüsiert man sich. Und auf dem Land amüsiert man eher andere Leute. Es ist ausgesprochen langweilig.

Algernon. Und wer sind diese Leute, die du amüsierst?

Jack. [Lässig] Oh, Nachbarn, einfach nur Nachbarn.

Algernon. Hast du nette Nachbarn dort, wo du in Shropshire lebst?

Jack. Absolut grässliche! Hab’ noch nie mit einem von ihnen gesprochen.

Algernon. Dann musst du sie ja sehr amüsiert haben! [Geht und holt sich ein Sandwich] Übrigens, du lebst doch in Shropshire, oder?

Jack. Hm? – Shropshire? – Ja, natürlich. – Aber Moment mal! Wozu all diese Tassen? Und die Gurkensandwiches? Gibt es einen Grund für diese Extravaganz? Wer kommt denn da zum Tee?

Algernon. Oh! Nur Tante Augusta und Gwendolen.

Jack. Wie reizend!

Algernon. Ja, das ist alles schön und gut; aber ich fürchte, Tante Augusta wird deine Anwesenheit gar nicht gefallen.

Jack. Darf ich fragen, warum?

Algernon. Mein lieber Freund, die Art, wie du mit Gwendolen flirtest, ist geradezu infam. Fast so schlimm wie andersherum.

Jack. Aber ich liebe Gwendolen. Ich bin extra in die Stadt gekommen, um ihr einen Antrag zu machen.

Algernon. Ich dachte, du wärst hier, um dich zu amüsieren – ich nenne das geschäftlich.

Jack. Wie ausgesprochen unromantisch du doch bist!

Algernon. Ich finde wirklich nichts Romantisches daran, jemandem einen Antrag zu machen. Es ist sehr romantisch, verliebt zu sein, ja. Aber doch kein Heiratsantrag. Er könnte ja angenommen werden. Was meistens der Fall sein dürfte, schätze ich. Dann ist die ganze Spannung beim Teufel. Das eigentliche Wesen der Romantik ist die Ungewissheit. Sollte ich jemals heiraten, werde ich sicher versuchen, diese Tatsache zu vergessen.

Jack. Daran habe ich keinen Zweifel, lieber Algy. Das Scheidungsgericht wurde speziell für Leute geschaffen, deren Gedächtnis so merkwürdig beschaffen ist.

Algernon. Ach was! Es macht keinen Sinn, darüber zu streiten. Scheidungen werden im Himmel vollzogen – [Jack streckt seine Hand aus, um sich ein Sandwich zu nehmen. Algernon greift sofort ein] Bitte rühre die Gurkensandwiches nicht an. Die habe ich extra für Tante Augusta machen lassen. [Nimmt eines und fängt an zu essen]

Jack. Aber du isst doch schon die ganze Zeit davon.

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