Novellen

Novellen – Georg Engel

Dieser Band bietet eine Vielzahl von Essigs bekanntesten Novellen: “Der Wetterfrosch”, “Ein Weltereignis”, “Aus den Erinnerungen eines Gelähmten”, “Mehr, mehr!” , “Hippodrom”,  “Der Hundsbiß”, u.a.

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Novellen.

Format: eBook

Novellen.

ISBN eBook: 9783849655280

 

 

Auszug aus “Der Wetterfrosch”:

Einen Fuchssprung vom Dorfe stand eine Erlengruppe um einen kleinen Teich. Dort wohnte ein sehr alter Frosch. Man nannte ihn den »alten Schick«. Der Ursprung dieses Namens war niemand bekannt, beliebt war »Schick« bei den übrigen Dorfbewohnern nicht.

In seinem Hause oder in seinem kleinen Königreich, das dicht bevölkert war, ließ er sich von keinem Menschen etwas drein reden. Im Gegenteil, »Er« dehnte mit Willkür seine Macht bis auf eine Meile und noch weiter im Umkreis aus. Er machte Wetter.

Schick sprach zu aller Welt von seinem Froschteich und lobte ihn über alle Maßen. Weil die Erlenbäume mit den glänzenden Blättern ihm wohl als Hüter dienten und ihre Blätter gar rege Unterhaltung mit den Insassen des Teiches pflogen, begriff man das aufdringliche Eigenlob des Herrn Schick, und allgemein lag hinter dem Dorfe noch vor dem Tannenwald das »grüne Königreich«. Boshaftigkeit nur sagte »Krötenloch«.

Schick mißtraute dem einen Ausdruck, er hielt ihn für Schmeichelei, glaubte den andern nicht, weil er deutlich vom Neide ausging. Nur die, welche mit Bewußtsein zum »Froschteich« gingen, gingen zu Herrn Schick, und nur die beachtete er. Er haßte aber die, welche seiner Eitelkeit ein Leid.

Was das hieß! Es war nicht bloß wie in den großen Städten, wo man über Nacht Rolläden über die glänzenden Schaufenster herabläßt. Das war ein Schluß auf lange. Das wußte jedermann. Das hieß, es wurde ein grimmer Winter.

Die Raben flogen vom Walde aufs Feld heraus, sie sammelten sich und dohlten und krächzten laut durcheinander. Die meisten schönen Singvögelein flogen fort in warme Gegenden, um ihren Kehlkopf vor der rauhen Luft zu schützen. Der Bauern Kinder wischten das gelbe Zäpfchen von der Nase und schlüpften in die Strümpfe und mit den Strümpfen in die Schuhe. Die Wäsche trocknete jetzt in der Stube am warmen Ofen. Wer dickes Zeug hatte, holte das aus den Truhen. Die Bettler von der Landstraße bewarben sich um Arbeit und ums Arrestlokal. – Das alles kam, wenn Schick schloß.

Der alte Schick machte diesmal ein besonders graues Gesicht. Er berief die geschicktesten, stotterndsten Klempner, die spitznäsigsten Glaser mit den meisten Splittern um die Augen, die sanftesten Maler und eitelsten Künstler im Jugendstil bis zu den Algen und Tangen zu sich. Es ärgerte ihn, daß sie sich erst um ihn sammeln wollten, er schrie sie an: »ein dickes festes Dach will ich über den Teich gelegt haben«. Ein Murmeln ging durch die Versammlung, der Spiegel vom Teich geriet in Spannung. Ohne lautes Widerwort ging alles fleissig an die Arbeit, es zog und schob, knackte und klopfte, klebte und malte. Viele erfroren vor Kälte die Finger, die Ohren und Nasen und mußten aufgeben und zu Boden sinken. Aber Schick knurrte nur und drückte die Daumen an die Waden: »bis Morgen früh zum Sonnenaufgang muß das Dach fertig sein! flink!« »Ich will nichts mehr wissen von der Welt draußen«. So kam es auch. Als die Sonne am kalten Himmel heraufkam und donnernd aufbrach, lag die Erde weiß wie Zink da, und der Teich war still, ganz totenstill, aber schön. Oh! dieses Wunder. Eine smaragdgrüne Mosaik mit Perlmutter und Perlen, Edelsteinen und Demanten durchsetzt, aus Glas und aus Blättern.

Dieser kostbare Aufwand! kein König von den Hebriden vermochte ihn zu machen. Aber sie war da, die herrliche Decke vom Froschteich, mit Milliarden verfertigt. So reich war der Frosch. Darum auch »das grüne Königreich«. Und wenn man durch das Dach hindurchsah, sah man unten auf dem Grunde unbeweglich und steinvornehm den alten Schick sitzen, den reichen Herrn. An Algen, an grünen Algen, die so wunderbar leuchteten, war er so beneidenswert reich, – – jede einzelne wiegt Millionen von Gold auf in ihrer kleinen Pracht –.

Als sich die Erlen die Augen ausrieben und blinzelten, sahen sie zunächst nur weiß, weiß bis zum Horizonte, das Dorf, alles war weiß. Die Erlen zwinkerten geblendet in die Sonne und gähnten. Auf einmal bemerkte eine Erle unter sich, direkt an ihren Zehen das farbige – tausend Wunder! – Pflaster, sie stieß die andern an, die guckten auch an sich hinab und sahen dasselbe. Sie schwankten und krauzten; das war viel, daß sie sich bewegten mit ihren starren Gliedern.

Und ganz leise sagte eine Erle: »hört ihr auch, wie die Quelle, die in den Froschteich fließt, auf einmal klingert, hört ihr?« »kling kling klingeri kling«. Dazu bewegte sich der Frosch. Man sah’s nicht genau, weil er wieder ganz stille saß.

Der Frosch regte sich, regte sich nicht? Er träumte? Ja. Etwas mußte er tun. Er hörte darauf, was ihm das dünne Fadenbächlein telephonierte. Darum machte das auch fortwährend kling klingeri kling. Es gab doch noch so viel schönes draußen, was der alte Schick gern wissen wollte. Dem horchte er zu und rührte sich dazu nicht. Er tat, als sähe er den Erlen ins Gesicht und beobachtete die, aber soweit gingen seine Augen nicht. Die gingen nur bis zu der herrlichen Decke und lagen auf ihr still.

Wie ein großes helles Auge sah der Froschteich in den kalten blauen Himmel, die Erlen waren die Wimpern. Aber das Auge bewegte sich nicht, es sah starr hinauf und doch lebte es. Kling klingeri kling.

Schicks Herz klopfte Zauberkunst. Als solchen kannten ihn die Bauern, als alten Zauberer.

Kein Mensch ging darum hin zum Froschteich, wenn er wie ein Auge starrte. Jeder scheute sich, den alten Zauberer auf dem Grunde des Teiches sitzen zu sehen.

Nur ein Knabe schlich gewohnheitsmäßig hinüber an den Froschteich. Er hatte sich dadurch vom »Heere«, seinen Altersgenossen, die man so nannte, so gefürchtet waren sie, den Beinamen »Froschstupfer« verdient. Er war immer still, stumm und guckte mit großen Augen, man wußte nicht recht, war er ganz gescheit oder nur halb oder lernte er Zauberei. Daß er nicht mit dem Heere auszog und hinter Hecken und Zäunen lag, plünderte und prügelte, war eine Ungehörigkeit, und die Alten lachten, wenn sie »den Froschstupfer« vom Heere gehetzt, gejagt, mit Stecken und Stangen getrieben, beschimpft und verhöhnt durchs Dorf rennen sahen.

Zuweilen hielt ihn ein Lediger, einer der schon aus der Schule war, auf und faßte ihn solange, bis ein Schüler ganz nahe an ihm war und ihn wenigstens mit einem Stein treffen konnte. Er war befreit, wenn es ihm gelang, zwischen den beiden großen Scheunen, durch den engen Winkel voll Kot und Morast durchzukommen, dann machte er einen Sprung über den Graben und hörte nur noch die Verwünschung hinter sich: »daß dich der Schick hole«.

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