O Mensch!

O Mensch! – Hermann Bahr

In “O Mensch” lässt Bahr Figuren auftreten, die bereits in seinen Romanen “Die Rahl” und “Die Hexe Drut” agierten. Bahr verfasste im Laufe seines Lebens u.a. über vierzig Theaterstücke und zirka zehn Romane.

O Mensch!

O Mensch!

Format: eBook.

O Mensch!

ISBN eBook: 9783849654825

 

 

Auszug aus dem Text:

»O Mensch!« sagte Fräulein Annalis, dem Diener zur Antwort. Aber dann besann sie sich auf die Vorschrift des Magiers, trat ans Fenster, kehrte sich der Sonne zu, gab sich ihr mit offenen Armen völlig hin, und als sie ganz eingesonnt war, wiederholte sie, mit einem scheinheilig feierlichen Gesicht, langsam: »O Mensch!« Der Diener stand unbeweglich an der Tür, bis sie ihm sagte: »Also dann gehns hinauf und richtens dem Herrn Kammersänger aus, daß ich schon wieder ›o Mensch‹ Hab sagen müssen, und wenn er jetzt nicht gleich kommt, fang ich allein zu essen an, es ist dreiviertel zwei!«

Sie sah dem Diener nach und mußte lachen. Vor fünf Jahren war der noch Brauknecht in Henndorf. Das verstand ihr Bruder wirklich, Menschen herzurichten! Nur sich selber nicht. Er hätte so gern dem König Eduard ähnlich gesehen. Es gelang ihm aber nur bei den Dienern.

Sie sah durchs Zimmer, ordnete die Körbe mit den Blumen und trat an den gedeckten Tisch. Wenn der Herr Kammersänger Ignaz Fiechl von den Ferien kam, war er noch strenger. Er zog mit der Ledernen seinen ganzen Übermut aus und mit den weißen Handschuhen alle seine Launen wieder an.

Dann aber setzte sie sich, wie plötzlich von aller Kraft verlassen, in den schweren weiten Stuhl, die Hände hingen über die Lehnen, und ihre großen grauen Augen waren fort, irgendwo draußen in der ruhig reifenden, heimlich herbstelnden Landschaft, die vor dem großen Fenster über Gärten und Wiesen, waldig umschlossen, mit hellen kleinen Häusern allmählich in den Dunst der Stadt sank. Wenn sie so saß, nach raschem Handeln oder auch mitten im Gespräch zuweilen plötzlich gleichsam entfernt und als wäre sie von ihrem Leib erlöst, sagte der Maler Höfelind immer, sie sei eine merkwürdige Kreuzung von Defregger und Feuerbach; das kommt davon, wenn eine Römerin in Henndorf geboren wird. Dies verdroß stets den Kammersänger sehr, der auf reine deutsche Rasse hielt, Römlinge verachtete, seine Schwester nicht verdächtigen ließ und in ihr ein wahres Urbild der Thusnelda fand, worauf der Maler immer vor Zorn einen noch röteren Kopf bekam und stampfend fortlief, in einem Atem Luther und Bismarck und Richard Wagner verfluchend. Am nächsten Tag versöhnten sich dann die beiden Nachbarn wieder, und am nächsten Abend entzweiten sie sich wieder. Der Kammersänger fand, daß den Deutschen einst der Erdkreis untertan sein wird, der Maler fand, daß der Künstler überhaupt keiner Nation angehört, und dem Fräulein Annalis war es nicht leicht, ihnen darzutun, daß dies alles für den Hausgebrauch ganz gleichgültig sei.

Sie schrak auf, als der Diener wiederkam, um zu melden: »Der Herr Kammersänger läßt dem gnädigen Fräulein sagen, es dauert nur noch eine Minute und, und –« Er zögerte. Fräulein Annalis fragte: »Und?« Ohne das Gesicht zu verziehen, schloß der Diener seine Meldung ab: »Und das gnädige Fräulein soll den Herrn Kammersänger mit ihren blöden Faxen auslassen, weil der magische Rußmensch doch ein Esel ist.«

Fräulein Annalis sah den Diener aus ihren großen grauen Augen an, aber in seiner glatten Maske regte sich nichts. Dann sagte sie: »Es ist gut.« Der Diener ging. Sie war wieder in dem großen Zimmer allein. Die Sonne sprang durchs weite Fenster auf den weißen Tisch, in die Teller und Gläser, über die Rosen in den Körben und den dunklen Lorbeer der rot und golden bebänderten Kränze, an die hell in Zirbel getäfelte Wand. Da schüttelte Fräulein Annalis ihre schweren Schultern und warf die Gedanken ab. Wie sie jetzt zur kleinen Türe schritt, um dort das Fenster nach der Küche aufzuschieben und anrichten zu lassen, war sie wieder die handfeste, noch halb bäurische, derb auftretende Frau, die morgens mit dem Korb am Arm einkaufen ging, von allen Handwerkern als gute Rechnerin gefürchtet war und die Mägde den ganzen Tag in Atem hielt.

Sie blieb am Fenster zur Küche, bis sie des Kammersängers feierlichen Schritt auf der Stiege knarren hörte. Dann trug sie die Suppe mit den dampfenden Tiroler Knödeln auf. Der Kammersänger trat ein, frisch rasiert, die Busennadel mit dem Namenszug des Prinzen Adolar in der kunstvoll geknüpften Krawatte, mit der schönsten seiner berühmten farbigen Westen über dem vordringenden Bauch, und sagte, sich die Nägel putzend, gekränkt und überlegen: »Du bringst ja die Suppe grad erst! Wozu hast du mich dann so gehetzt? So seids ihr Weiber!

Er sah auf den Lorbeer und die Rosen, verzog seinen breiten Mund und sagte verächtlich: »Gott, das Grünzeug! Und so fangt halt alles das jetzt wieder an! Die Zeit is schnell vergangen. Man hat doch eigentlich immer genau das Gefühl wie als Bub, wenns wieder in die Schul gehn hieß. Aber der Haupttreffer ist wieder falsch gezogen worden, also da hilft schon nichts. In Gottes Namen!« Er band sich die Serviette um den Hals, obwohl Fräulein Annalis immer behauptete, der König von England tue dies nicht. Nach den Knödeln wurde er milder und sagte, in den Garten zeigend, der zum Fenster herein seine roten und gelben Rosen hielt: »Es is ja hier auch ganz schön. Wenigstens solange man das Narrenhaus nicht sieht. Das verschandelt die ganze Gegend. Daß es dagegen kein Gesetz gibt! Aber wo man’s nicht braucht, da gibt’s überall Gesetze. Wir leben schon in einem ganz verkehrten Staat.«

»So schau halt nicht hin«, sagte Fräulein Annalis.

»Es nutzt mir aber nix, wenn ich nicht hinschau. Ich weiß es doch. Ich weiß, dort drüben ist das verrückte Haus. Ich brauch gar nicht hinzuschaun, ich weiß es, und das genügt, mir den ganzen Vormittag zu verderben.«

»Nachmittag ist das Haus ja auch nicht anders«, sagte die Schwester.

»Das Haus nicht, sagte der Kammersänger gereizt, aber ich. Ich bin nachmittags anders. Das kannst du nicht verstehen, es ist das Los aller künstlerischen Naturen, daß sie selbst von ihrer nächsten Umgebung unverstanden bleiben. Ich habe mich damit längst abgefunden. Aber wenn ich einmal den Haupttreffer mache, wird das erste sein, daß ich dem Höfelind sein Haus abkaufe. Dann wird es einfach eingerissen oder angezündet, bis kein Stein davon mehr auf dem andern ist. Ich hasse dieses Haus!« Wenn der Kammersänger Ignaz Fiechl sich ärgerte, ging sein braunes, offenes, kindliches Gesicht ganz auseinander und schien sich in einen einzigen ungeheueren Mund zu verwandeln, die kurze Nase verschwand, die flinken kleinen Augen sanken ein, der ganze Kopf war nur noch ein weites schnappendes Maul.

»Auf einmal wieder! sagte Fräulein Annalis, ruhig essend. »Du hast dich schon ganz beruhigt gehabt.«

»Ich?« fragte der Kammersänger, im höchsten Erstaunen.

»Du!« sagte Fräulein Annalis, gelassen.

»So?« fragte der Bruder.

»Ja«, sagte die Schwester.

»Nie!« sagte der Kammersänger.

…..

 

 

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