Politik, Staat und Verwaltung

Politik, Staat und Verwaltung – Deutschland unter Kaiser Wilhelm II., Band 1

 

Die 1914 im Original veröffentliche Reihe “Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. ” gehört zu den umfangreichsten historischen Abhandlungen über die Entwicklung und den Aufbau des Kaiserreiches. Hier in einer Wiederauflage von insgesamt acht Bänden vorliegend, umfasst das Werk auf fast 2000 Gesamtseiten Beiträge der wichtigsten Koryphäen ihrer Zeit zu relevanten Themen. Dies ist Band 1, der unter anderem die Themen Auswärtige und Innere Politk, Staats- und Verwaltungsrecht, Finanzen und Steuern behandelt.

Politik, Staat und Verwaltung

Politik, Staat und Verwaltung.

Format: eBook/Taschenbuch.

Politik, Staat und Verwaltung.

ISBN eBook: 9783849663148

ISBN Taschenbuch: 9783849665180

 

Auszug aus dem Werk:

 

Auswärtige Politik

„Die deutsche Nation ist trotz ihrer alten Geschichte das jüngste unter den großen Völkern Westeuropas. Zweimal ward ihr ein Zeitalter der Jugend beschieden, zweimal der Kampf um die Grundlage staatlicher Macht und freier Gesittung. Sie schuf vor einem Jahrtausend das stolzeste Königtum der Germanen und mußte acht Jahrhunderte nachher den Bau ihres Staates auf völlig verändertem Boden von neuem beginnen, um erst in unseren Tagen als geeinte Macht wieder einzutreten in die Reihe der Völker.“

Diese Worte, mit denen Treitschke seine „Deutsche Geschichte“ einleitet, enthalten nicht nur tiefe geschichtliche Erkenntnis, sie haben auch sehr modernen politischen Sinn. Deutschland ist die jüngste unter den großen Mächten Europas, der Homo novus, der, in jüngster Zeit emporgekommen, sich durch überragendes eigenes Können in den Kreis der alten Völkerfamilien gedrängt hat. Als ungebetener und lästiger Eindringling wurde die neue Großmacht angesehen, die Furcht gebietend nach drei glorreichen Kriegen in die europäische Staatengesellschaft eintrat und das Ihre forderte von der reichbesetzten Tafel der Welt. Jahrhunderte hindurch hatte Europa nicht an die Möglichkeit einer national-staatlichen Einigung der deutschen Ländermasse geglaubt. Jedenfalls hatten die europäischen Mächte ihr Möglichstes getan, um eine solche zu verhindern. Insbesondere war die französische Politik von Richelieu bis auf Napoleon III. in der richtigen Erkenntnis, daß das Übergewicht Frankreichs, la Préponderance légitime de la France, in erster Linie auf der staatlichen Zerrissenheit Deutschlands beruhe, bestrebt, diese Zerrissenheit zu erhalten und zu vertiefen. Aber auch die anderen Mächte wollten die Einigung Deutschlands nicht. In dieser Beziehung dachte Kaiser Nikolaus wie Lord Palmerston, Metternich wie Thiers. Es ist wohl der stärkste Beweis für das wundervolle Zusammenwirken der abgeklärten Weisheit unseres alten Kaisers mit dem Genie des Fürsten Bismarck, daß sie die Einigung Deutschlands durchgesetzt haben, nicht nur gegen alle Schwierigkeiten, die ihr die innerdeutschen Verhältnisse, uralte Rivalitäten und Rankünen, alle Sünden unserer Vergangenheit und alle Eigenheiten unseres politischen Charakters entgegentürmten, sondern auch gegen den offenen oder versteckten Widerstand und gegen die Unlust von ganz Europa.

Auf einmal war das Deutsche Reich da. Schneller, als man gefürchtet, stärker als irgend jemand geahnt hatte. Keine der anderen Großmächte hatte die staatliche Wiedergeburt Deutschlands gewünscht, jede hätte sie, so wie sie erfolgte, lieber verhindert. Kein Wunder, daß die neue Großmacht nicht mit Freude begrüßt, sondern als unbequem empfunden wurde. Auch eine sehr zurückhaltende und friedliebende Politik konnte an diesem ersten Urteil wenig ändern. Man sah in der lange verhinderten, oft gefürchteten, endlich von den deutschen Waffen und einer unvergleichlichen Staatskunst ertrotzten staatlichen Einigung der Mitte des europäischen Festlandes an sich etwas wie eine Drohung und jedenfalls eine Störung.

Mitte der neunziger Jahre sagte mir in Rom, wo ich damals Botschafter war, mit einem Seufzer mein englischer Kollege, Sir Clare Ford: „Wie viel gemütlicher und bequemer war es doch in der Politik, als England, Frankreich und Rußland den europäischen Areopag bildeten, und höchstens gelegentlich Österreich herangezogen zu werden brauchte.“ Diese gute alte Zeit ist vorüber. Der hohe Rat Europas ist vor mehr als vier Jahrzehnten um ein stimmberechtigtes Mitglied vermehrt worden, das nicht nur den Willen hat mitzureden, sondern auch die Kraft mitzuhandeln.

Staatliche Wiedergeburt Deutschlands.

Ein Stück harter, weltgeschichtlicher Arbeit hatte mit dem Meisterwerk des Fürsten Bismarck seine Vollendung erhalten. Dem zielbewußten Willen der Hohenzollern mußten durch Jahrhunderte der ausdauernde Heroismus der preußischen Armee und die nie erschütterte Hingebung des preußischen Volkes zur Seite stehen, bis unter wechselvollen Schicksalen die brandenburgische Mark zur preußischen Großmacht wurde. Zweimal schien der schon gewonnene Kranz dem Staate Preußens wieder zu entgleiten. Die vernichtende Niederlage von 1806 stürzte Preußen von der bewunderten und gefürchteten Höhe friderizianischen Ruhmes jäh hinab. Diejenigen schienen recht zu bekommen, die in dem stolzen Staat des großen Königs nie mehr als ein künstliches politisches Gebilde hatten sehen wollen, das stand und fiel mit dem einzigartigen staatsmännischen und kriegerischen Genie des Monarchen. Die Erhebung nach dem tiefen Sturz von Jena und Tilsit bewies der staunenden Welt, welche urwüchsige und unzerstörbare Kraft in diesem Staate lebte. Solcher Opferwillen und solcher Heldenmut eines ganzen Volkes setzten eingewurzeltes nationales Selbstbewußtsein voraus. Und als das Volk Preußens sich nicht in regellosem Aufstande, gleich den vielbewunderten Spaniern und den wackeren Tyroler Bauern erhob, sondern sich Mann für Mann gleichsam selbstverständlich dem Befehl des Königs und seiner Berater unterstellte, da sah man staunend, wie Nationalbewußtsein und Staatsbewußtsein in Preußen eins waren, daß das Volk durch die harte Schule des friderizianischen Staates zur Nation erzogen worden war. Die Reorganisation des staatlichen Lebens unter der Leitung schöpferischer Männer in der Zeit von 1807 bis 1813 gewann dem Staate zum Gehorsam die bewußte Liebe der Untertanen. Der Befreiungskampf von 1813 bis 1816 erwarb Preußen die Achtung aller und das Vertrauen vieler nichtpreußischer Deutschen. Es war ein reiches Erbe, das die große Zeit der Erhebung und Befreiung hinterließ. Aber unter der Rückwirkung einer matten und glanzlosen äußeren Politik und durch eine Geschäftsführung im Innern, die weder im richtigen Augenblick zu geben noch zu weigern verstand, wurde dieses Erbe während der nächsten Jahrzehnte zum guten Teil wieder verwirtschaftet. Gegen Ende der fünfziger Jahre des 19. Jahrhunderts stand Preußen an innerer Haltung und an äußerer Geltung zurück hinter dem Preußen, wie es aus den Freiheitskriegen hervorgegangen war. Wohl hatte die nationale Einheitsbewegung durch die preußische Zollpolitik das erste feste Fundament erhalten. Aber der Tag von Olmütz zerstörte die Hoffnung der deutschen Patrioten, die von Preußen die Erfüllung der nationalen Wünsche erwarteten. Preußen schien auf seine weltgeschichtliche Mission zu verzichten und der machtpolitischen Fortführung des Einigungswerts zu entsagen, das es wirtschaftspolitisch zielbewußt begonnen hatte. Wohl waren durch die Überleitung des Staatslebens in konstitutionelle Bahnen neue Kräfte für das nationale Leben frei geworden. Unendliches hätte dieser Staat an innerer Lebendigkeit und nationaler Stoßkraft gewonnen, wenn dieses treue Volk zu rechter Zeit zur politischen Mitarbeit berufen worden wäre, wie es Stein und Hardenberg, Blücher und Gneisenau, Wilhelm von Humboldt und Boyen, auch Yorck und Bülow-Dennewitz gewünscht hatten. Als der große Schritt 33 Jahre zu spät getan wurde, war das Mißtrauen zwischen Volk und Obrigkeit schon zu tief eingefressen, hatte das Ansehen der Regierung im Verlauf der revolutionären Erhebung zu schweren Schaden genommen, als daß die modernen Staatsformen unmittelbar hätten Segen bringen können. Der Gang der preußischen Politik war gehemmt im Innern durch eine mißtrauische und in Doktrinen befangene Volksvertretung, nach außen durch den unbesiegten Widerstand der österreichischen Vormachtsansprüche. Da griff, von König Wilhelm im entscheidenden Augenblick berufen, nahezu in zwölfter Stunde Bismarck in das stockende Räderwert der preußischen Staatsmaschine.

Daß eine normale geschichtliche Entwicklung zur staatlichen Einigung Deutschlands unter preußischer Führung gelangen mußte, daß es das vornehmste Ziel preußischer Staatskunst war, diese Entwicklung zu beschleunigen und zu vollenden, das war den einsichtigen Patrioten jener Jahre wohl bewußt. Aber alle Wege, die man beschritten hatte, um zum Ziele zu gelangen, hatten sich als ungangbar erwiesen. Von der Initiative der preußischen Regierung schien je länger, je weniger zu erwarten. Die gutgemeinten, aber unpraktischen Versuche, das deutsche Volk zu veranlassen, die Bestimmung seiner Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, scheiterten, weil die in Deutschland wie kaum in einem anderen Lande ausschlaggebende treibende Kraft der Regierungen fehlte. Im „Wilhelm Meister“ erwidert der erfahrene Lothario der schwermütigen Aurelie, die an den Deutschen vieles auszusetzen hat, es gäbe in der Welt keine bravere Nation als die deutsche, sofern sie nur recht geführt werde. Der Deutsche, welches Stammes er immer sei, hat stets unter einer starken, stetigen und festen Leitung das Größte vermocht, selten ohne eine solche oder im Gegensatz zu seinen Regierungen und Fürsten. Bismarck hat uns in seinen „Gedanken und Erinnerungen“ selbst erzählt, daß er sich hierüber von Anfang an nicht im Zweifel war. Mit genialer Intuition fand er den Weg, auf dem sich die Hoffnungen des Volkes mit den Interessen der deutschen Regierungen zusammenfinden mußten. Er war wie kaum je ein Staatsmann eingedrungen in die Geschichte der Nation, deren Leitung in seine Hände gelegt war. Hinter dem äußeren Zusammenhang der Ereignisse suchte und fand er die treibenden Kräfte des nationalen Lebens. Die große Zeit der Befreiung und Erhebung Preußens ist ihm, der im Jahre von Waterloo geboren und von Schleiermacher in der Berliner Dreifaltigkeitskirche eingesegnet worden war, nie aus dem Gedächtnis geschwunden, sie stand im Anfang seines weltgeschichtlichen Wirkens in voller Lebendigkeit vor seinen Augen. Er fühlte, daß sich in Deutschland nationaler Wille und nationale Leidenschaft nicht entzünden in Reibungen zwischen Regierung und Volk, sondern in den Reibungen deutschen Stolzes und Ehrgefühls an den Widerständen und Ansprüchen fremder Nationen. Solange die Frage der deutschen Einigung nur ein innerpolitisches Problem war, ein Problem, um das vorwiegend zwischen den Parteien und zwischen Regierung und Volk gehadert wurde, konnte sie eine Fürsten und Völker mitreißende gewaltige zwingende nationale Bewegung nicht erzeugen. Als Bismarck die deutsche Frage hinstellte als das, was sie im Kern war, als eine Frage der europäischen Politik, und als sich bald die außerdeutschen Gegner der deutschen Einigung regten, da gab er auch den Fürsten die Möglichkeit, sich an die Spitze der nationalen Bewegung zu stellen.

In Frankfurt, in Petersburg, in Paris hatte Bismarck den Mächten Europas in die Karten gesehen. Er hatte erkannt, daß die Einigung Deutschlands eine reine deutsch-nationale Angelegenheit nur so lange bleiben konnte, wie sie frommer Wunsch und unerfüllbare Hoffnung der Deutschen war, daß sie eine internationale Angelegenheit werden mußte mit dem Moment, in dem sie in das Stadium der Verwirklichung eintrat. Der Kampf mit den Widerständen in Europa lag auf dem Wege zur Lösung der großen Aufgabe der deutschen Politik. Anders als in einem solchen Kampfe aber waren die Widerstände in Deutschland selbst kaum aufzulösen. Damit war die nationale Politik der internationalen eingegliedert, die Vollendung des deutschen Einigungswerkes durch eine unvergleichliche staatsmännische Schöpferkraft und Kühnheit den ererbt schwächsten Fähigkeiten der Deutschen, den politischen, genommen und den angeborenen besten, den kriegerischen, zugewiesen. Eine günstige Fügung wollte es, daß Bismarck einen Feldherrn wie Moltke, einen militärischen Organisator wie Roon an seiner Seite fand. Die Waffentaten, die uns unsere europäische Großmachtsstellung zurückgewonnen hatten, sicherten sie zugleich. Sie nahmen den Großmächten die Lust, uns den Platz im europäischen Kollegium wieder zu entreißen, den wir in drei siegreichen Kriegen erobert hatten. Wenn uns dieser Platz auch ungern eingeräumt worden war, so ist er uns doch seitdem nicht ernstlich bestritten worden. Frankreich ausgenommen, hätte sich wohl alle Welt mit der Machtstellung Deutschlands allmählich befreundet, wenn unsere Entwicklung mit der Reichsgründung beendet gewesen wäre. Die staatliche Einigung ist aber nicht der Abschluß unserer Geschichte geworden, sondern der Anfang einer neuen Zukunft. In der vordersten Reihe der europäischen Mächte gewann das Deutsche Reich wieder vollen Anteil am Leben Europas. Das Leben des alten Europa aber war schon lange nur noch ein Teil des gesamten Völkerlebens.

Deutschland als Weltmacht.

Die Politik wurde mehr und mehr Weltpolitik. Die weltpolitischen Wege waren auch für Deutschland geöffnet, als es eine mächtige und gleichberechtigte Stelle neben den alten Großmächten gewann. Die Frage war nur, ob wir die vor uns liegenden neuen Wege beschreiten oder ob wir in Besorgnis um die eben gewonnene Macht vor weiterem Wagen zurückschrecken sollten. In Kaiser Wilhelm II. fand die Nation einen Führer, der ihr mit klarem Blick und festem Willen auf dem neuen Wege voranging. Mit ihm haben wir den weltpolitischen Weg beschritten. Nicht als Konquistadoren, nicht unter Abenteuern und Händeln. Wir sind langsam vorgegangen, haben uns das Tempo nicht vorschreiben lassen von der Ungeduld des Ehrgeizes, sondern von den Interessen und Rechten, die wir zu fördern und zu behaupten hatten. Wir sind nicht in die Weltpolitik hineingesprungen, wir sind in unsere weltpolitischen Aufgaben hineingewachsen, und wir haben nicht die alte europäische Politik Preußen-Deutschlands gegen die neue Weltpolitik ausgetauscht, sondern wir ruhen heute noch wie vor alters mit den starken Wurzeln unserer Kraft im alten Europa.

„Die Aufgabe unserer Generation ist es, gleichzeitig unsere kontinentale Stellung, welche die Grundlage unserer Weltstellung ist, zu wahren und unsere überseeischen Interessen so zu pflegen, eine besonnene, vernünftige, sich weise beschränkende Weltpolitik so zu führen, daß die Sicherheit des deutschen Volkes nicht gefährdet und die Zukunft der Nation nicht beeinträchtigt wird.“ Mit diesen Worten suchte ich am 14. November 1906 gegen Ende einer ausführlicheren Darstellung der internationalen Lage die Aufgabe zu formulieren, die Deutschland gegenwärtig und nach menschlichem Ermessen auch in Zukunft zu erfüllen hat: Weltpolitik auf der festen Basis unserer europäischen Großmachtstellung. Anfangs wurden wohl Stimmen laut, die das Beschreiten der neuen weltpolitischen Wege als ein Abirren von den bewährten Bahnen der Bismarckischen Kontinentalpolitik tadelten. Man übersah, daß gerade Bismarck uns neue Wege dadurch wies, daß er die alten zu ihren Zielen geführt hatte. Seine Arbeit hat uns die Tore der Weltpolitik recht eigentlich geöffnet. Erst nach der staatlichen Einigung und der politischen Erstarkung Deutschlands war die Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft zur Weltwirtschaft möglich. Erst nachdem das Reich seine Stellung in Europa gesichert sah, konnte es daran denken, für die Interessen einzutreten, die deutsche Unternehmungslust, deutscher Gewerbefleiß und kaufmännischer Wagemut in aller Herren Länder geschaffen hatten. Gewiß sah Bismarck den Verlauf dieser neuen deutschen Entwicklung, die Aufgaben dieser neuen Zeit nicht im einzelnen voraus und konnte sie nicht voraussehen. In dem reichen Schatz politischer Erkenntnisse, die Fürst Bismarck uns hinterlassen hat, finden sich für unsere weltpolitischen Aufgaben nirgends die allgemeingültigen Sätze, wie er sie für eine große Zahl von Möglichkeiten unseres nationalen Lebens geprägt hat. Vergebens suchen wir in den Entschlüssen seiner praktischen Politik nach einer Rechtfertigung für die Entschließungen, die unsere weltpolitischen Aufgaben von uns fordern. Wohl wurde auch diese neue andere Zeit von Bismarck vorbereitet. Nie dürfen wir vergessen, daß wir ohne die gigantische Leistung des Fürsten Bismarck, der mit einem mächtigen Ruck in Jahren nachholte, was in Jahrhunderten vertan und versäumt worden war, die neue Zeit nicht hätten erleben können. Wenn aber auch jede neue Epoche geschichtlicher Entwicklung durch die vorhergehende bedingt ist, ihre treibenden Kräfte mehr oder minder stark der Vergangenheit dankt, so kann sie doch nur einen Fortschritt bringen, wenn sie die alten Wege und Ziele hinter sich läßt und zu anderen eigenen dringt. Entfernen wir uns auf unseren neuen weltpolitischen Bahnen auch von der europäischen Politik des ersten Kanzlers, so bleibt es doch wahr, daß die weltpolitischen Aufgaben des 20. Jahrhunderts die rechte Fortführung sind der kontinentalpolitischen Aufgaben, die er erfüllt hat. In jener Rede vom 14. November 1906 wies ich darauf hin, daß die Nachfolge Bismarcks nicht eine Nachahmung, sondern eine Fortbildung sein muß. „Wenn die Entwicklung der Dinge es verlangt,“ so sagte ich damals, „daß wir über Bismarckische Ziele hinausgehen, so müssen wir es tun.“

Die Entwicklung der Dinge aber hat die deutsche Politik längst hinausgetrieben aus der Enge des alten Europa in die weitere Welt. Es war nicht ehrgeizige Unruhe, die uns drängte, es den Großmächten gleichzutun, die seit lange die Wege der Weltpolitik gingen. Die durch die staatliche Wiedergeburt verjüngten Kräfte der Nation haben in ihrem Wachstum die Grenzen der alten Heimat gesprengt, und die Politik folgte den neuen nationalen Interessen und Bedürfnissen. In dem Maße, in dem unser nationales Leben ein Weltleben geworden ist, wurde die Politik des Deutschen Reichs zur Weltpolitik.

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