Recht, Militär und Kolonien

Recht, Militär und Kolonien – Deutschland unter Kaiser Wilhelm II., Band 2

 

Die 1914 im Original veröffentliche Reihe “Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. ” gehört zu den umfangreichsten historischen Abhandlungen über die Entwicklung und den Aufbau des Kaiserreiches. Hier in einer Wiederauflage von insgesamt acht Bänden vorliegend, umfasst das Werk auf fast 2000 Gesamtseiten Beiträge der wichtigsten Koryphäen ihrer Zeit zu relevanten Themen. Dies ist Band 2, der unter anderem die Themen Zivilrecht, Strafrecht, Handelsrecht, Heer- und Marinewesen und Kolonialpolitik behandelt.

Recht, Militär und Kolonien

Recht, Militär und Kolonien.

Format: eBook/Taschenbuch.

Recht, Militär und Kolonien.

ISBN eBook: 9783849663155

ISBN Taschenbuch: 9783849665197

 

Auszug aus dem Werk:

 

Das bürgerliche Recht

 

Von Geh. Justizrat Prof. Dr. Hellwig, Berlin †

 

Das bürgerliche Gesetzbuch.

Die Jahrzehnte, die seit der Gründung des Norddeutschen Bundes und des neuen Reichs verflossen sind, sind ausgezeichnet durch eine wohl als beispiellos zu bezeichnende Fruchtbarkeit der Gesetzgebungstätigkeit. Erstaunlich ist der Reichtum und die Mannigfaltigkeit der Gesetze, die dazu bestimmt waren, die politischen Verhältnisse und die Wehrhaftigkeit des Volkes zu ordnen und das neue Haus wohnlich einzurichten. Übersieht man die Entwicklung, die das Privatrecht und das mit ihm in enger Verbindung stehende Zivilprozeßrecht in den letzten 25 Jahren gehabt hat, so muß als das wichtigste Ereignis der Erlaß des „Bürgerlichen Gesetzbuchs“ bezeichnet werden. Am 18. August 1896, einem der denkwürdigen Erinnerungstage des großen Krieges, vollzog Kaiser Wilhelm II. das nach mühseliger, langer Arbeit endlich zustande gekommene Gesetz. Der 1. Januar 1900, an dem es mit den es ergänzenden Gesetzen in Kraft trat, ist ein Tag von der allergrößten Bedeutung für die Geschichte des deutschen Rechts und damit des deutschen Volkes, ein Tag, der noch wichtiger ist als der 1. Oktober 1879, an dem die alsbald nach Gründung des Reichs in Angriff genommenen und rascher zustande gebrachten Reichsjustizgesetze zum ersten Male von den deutschen Gerichten angewendet wurden. Denn so wichtig die Prozeßgesetze für die Allgemeinheit sind, so berühren sie doch die große Masse der einzelnen lange nicht so stark, wie die Regelung des bürgerlichen Rechts. Weite Kreise des Volkes treten während des ganzen Lebens weder vor ein Straf- noch vor ein Zivilgericht und empfinden deshalb die Gemeinsamkeit oder Verschiedenheit der Prozeßeinrichtungen und ihre Güte oder ihre Mängel nicht an sich selbst. Ganz anders ist es beim bürgerlichen Recht. Denn dieses – das Personen-, Familien- und Vermögensrecht – greift in das Leben eines jeden einzelnen tausendfältig ein, weil es die Verhältnisse regelt, in denen die einzelne Persönlichkeit lebt und sich entwickelt. Deshalb wird durch die Rechtsverschiedenheit das Gefühl der Zusammengehörigkeit mehr oder weniger stark beeinträchtigt, und umgekehrt gibt es kein Mittel, wodurch dieses Gefühl mehr gefestigt wird, als durch die Gemeinsamkeit des Rechts, namentlich auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts. Kluge Staatsmänner haben das wohl erkannt. Aus neuerer Zeit sei nur an Friedrich den Großen und Napoleon erinnert. Erst der große König vollendete das vom Beginne des 18. Jahrhunderts datierende Werk der Zusammenschweißung der preußischen Staaten zu einem einheitlichen Organismus; zu den großen Mitteln, mit denen er diese gewaltige Aufgabe löste, gehörte auch die Vereinheitlichung des Rechts, die unter dem Einflusse seiner machtvollen Persönlichkeit gelang. Napoleon war sich nicht nur darüber klar, wie groß der Wert eines einheitlichen Rechts für die Erziehung des französischen Volkes zu einem starken Nationalitätsbewußtsein sein mußte, sondern seine Staatsklugheit führte ihn auch dazu, dieselben Kräfte in den von ihm eroberten Reichen wirken zu lassen. Angesichts solcher Lehren der Geschichte ist es geradezu auffallend, daß die Kompetenz des Reichs erst nach mehreren vergeblich gebliebenen Anträgen im Jahre 1873 auf das ganze bürgerliche Recht ausgedehnt wurde. Man hatte noch nicht genügend erkannt, daß nächst der Sprache das Recht eines der stärksten nationalen Bande ist.

 

Rechtseinheit und staatliche Einheit.

Rechtseinheit und staatliche Einheit stehen in Wechselwirkung. Jene steigert die Festigkeit von dieser, weil sie das Gefühl der Zusammengehörigkeit vermehrt. Aber die Rechtseinheit setzt die staatliche Einheit voraus. Deshalb hat das deutsche Volk jene erst errungen, nachdem das Blut aller deutschen Stämme auf Frankreichs Schlachtgefilden geflossen war. Die Sehnsucht nach einem einheitlichen deutschen Recht erwachte erst, als nach der Beseitigung der französischen Fremdherrschaft der Gedanke an eine engere staatliche Einigung des deutschen Volkes die Gemüter der Patrioten zu bewegen anfing. Der Ruf nach deutscher Rechtseinheit war aber im Grunde nur ein Ausdruck der Sehnsucht nach staatlicher Einigung. Nur Unreife des politischen Urteils konnte zu der Einbildung führen, man könne jene ohne diese erreichen. Die sog. historische Schule, die unter Führung von Savigny dem von Heidelberg (Thibaut) ausgehenden Verlangen nach einem deutschen bürgerlichen Gesetzbuch entgegentrat, mußte deshalb einstweilen siegreich bleiben, so hinfällig auch die Gründe waren, mit denen „der Beruf unserer Zeit zur Gesetzgebung“ von Savigny (1814) bekämpft wurde. Sie waren hinfällig, wie das unter dem großen König vollbrachte Gesetzgebungswerk gezeigt hatte und das Zustandekommen der musterhaft gearbeiteten Wechselordnung und des Handelsgesetzbuchs nach wenigen Jahrzehnten noch deutlicher zeigte.

Ein Reich, ein Recht! Dieses Ziel wurde auf dem Gebiete des Privatrechts erst zum 1. Januar 1900 erreicht. Bis dahin waren hier nur einzelne Privatrechtsgesetze erlassen. Sehen wir auf das Ganze, so kann man sagen: Erst das BGB. erlöste uns aus der bisherigen unseligen Zerrissenheit unserer Rechtszustände, die nur ein Spiegelbild unserer staatlichen Zustände waren. Wie wir uns diesen in langer Entwicklung erst dadurch entwanden, daß Preußen so erstarkte, daß unter seiner Führung das neue Reich gegründet werden konnte, so mußte auch erst Preußen mit der Vereinheitlichung seines Rechts vorangehen, ehe wir zum deutschen Zivilgesetzbuch gelangen konnten. Aber auch in einer andren Beziehung haben wir das Spiegelbild der staatlichen Entwicklung. Wie das Reich die Eigenart und Selbständigkeit der Bundesstaaten nicht aufgehoben hat, so stellt das BGB. zwar ein Gesetz dar, das den Deutschen das stolze Gefühl geben kann, nun endlich ein gemeinsames Privatrecht zu haben; aber auch auf diesem Gebiet ist den deutschen Gliedstaaten in gewissen Grenzen die Befugnis zur landesgesetzlichen Regelung geblieben. Soweit diese auf die örtlichen Verschiedenheiten Rücksicht zu nehmen hat, sind die zugunsten der Landesgesetzgebung gemachten Vorbehalte zu billigen. Es ist aber nicht zu verkennen, daß diese vielfach darüber hinausgehen und gemacht worden sind, um Gründe, die das Zustandekommen des BGB. hätten hindern können, aus dem Wege zu räumen. Soweit dieser Gesichtspunkt reicht, muß man sagen, daß das heiße Sehnen nach Rechtseinheit noch nicht erreicht ist und auf bessere Zeitumstände vertröstet werden muß.

 

Einheit des Privatrechts.

Den Hauptwert des BGB. müssen wir darin sehen, daß überhaupt die Einheit des Privatrechts erlangt worden ist. Das war ein gewaltiger Fortschritt, der um so höher einzuschätzen ist, als das einheitliche Privatrecht in der Hauptsache für den Deutschen auch in den Schutzgebieten und in den Konsulargerichtsbezirken gilt. Fragen wir nun, ob das BGB. inhaltlich einen ebenso großen oder auch nur vergleichbar großen Fortschritt gebracht hat (etwa in der Art, wie das neue Schweizer Zivilgesetzbuch), so muß diese Frage leider verneint werden. Das Gesetz ist zwar in unserer Muttersprache geschrieben, aber die Volkstümlichkeit fehlt ihm völlig; es steht in dieser Beziehung weit hinter dem preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794, dessen Lichtseiten man unter dem Banne der von der historischen Schule herstammenden Mißachtung verkannte, und auch hinter der Wechselordnung und dem Handelsgesetzbuch zurück und wird, solange es die gegenwärtige Gestalt hat, eine Geheimkunde derjenigen Juristen bleiben, die mit umfassenden Vorkenntnissen ausgerüstet das Gesetz befragen. Neue große Rechtsgedanken sind im BGB. nicht enthalten; es bewegt sich in den Gedankenkreisen, die in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts herrschten, und ist im wesentlichen eine ausgleichende Darstellung des damals geltenden Rechts, und zwar in der Hauptsache des sog. gemeinen (d. h. auf dem rezipierten römischen Rechte beruhenden) Rechts. Mehr konnte es auch nicht werden, nachdem man sich entschlossen hatte, es durch vielgliedrige Kommissionen ausarbeiten zu lassen, während es doch eine unbestreitbare Wahrheit ist, daß ein großes und einheitliches Werk nur im Kopfe eines Menschen entstehen und in guter Form nur aus einer Feder fließen kann. Sodann ist zu beachten, daß das BGB. aus einer Zeit stammt, in der der Blick der deutschen Welt noch nicht weit über die deutschen Grenzen hinausreichte, jedenfalls nicht der Blick der damaligen Juristenwelt, aus der selbstverständlich die gereiftesten, also die älteren Kräfte an dem Werke beteiligt waren. Überdenkt man den ungeheuren Umschwung, der sich in unseren Verhältnissen unter weitblickender Führung vollzogen hat, so ist es sicher, daß heute die Art der Vorbereitung und Ausführung eines so bedeutungsvollen Werkes, wie es das BGB. ist, eine andre sein würde. Das Hauptgewicht legten die Verfasser des ersten Entwurfs des BGB. auf die möglichst konsequente Durchführung von Rechtsprinzipien – ein Fehler, der unbegreiflich für alle die ist, die sich dessen bewußt sind, daß das Leben nicht um des Rechts wegen ist, sondern das Recht der Förderung der berechtigten Lebensinteressen zu dienen hat, – ein Fehler, der von der zweiten Kommission erkannt und in manchen Punkten beseitigt worden ist.

Ein gerechtes Urteil kann diese Unvollkommenheiten und Schattenseiten der deutschen Privatrechtsordnung nicht übergehen. Sie müssen für alle, die es angeht, ein Ansporn sein, darauf zu sinnen, wo und wie demnächst gebessert werden kann. Eine andre große Aufgabe für Praxis und Wissenschaft ist die Entwicklung der lex lata und der Ausbau der fort und fort sich zeigenden Lücken gemäß den Bedürfnissen der Gegenwart. Immer neue schwere Fragen tauchen auf, und namentlich die den Schutz der Persönlichkeit und die sozialen Kämpfe betreffenden Probleme stellen, solange das Gesetz nicht regelnd eingegriffen hat, den Richter vor außerordentlich verantwortungsvolle Aufgaben. – Nicht unerwähnt darf die große Aufgabe bleiben, die den gesetzgebenden Körperschaften durch die Einführung des BGB. gestellt und durch die mit bewundernswertem Fleiße gearbeiteten Ausführungsgesetze gelöst worden ist.

 

Nebengesetze der BGB.

Gleichzeitig mit dem BGB. traten eine Reihe von andren Gesetzen in Kraft, die in innerem Zusammenhange mit ihm stehen. Außer den Ausführungsgesetzen, die von den einzelnen Bundesstaaten erlassen wurden, müssen hier erwähnt werden: das Handelsgesetzbuch (vom Jahre 1861), das mit Rücksicht auf das BGB. umgearbeitet und in einzelnen wichtigen Beziehungen geändert wurde, aber auch in der neuen Gestalt die es auszeichnende klare Verständlichkeit und echte Volkstümlichkeit nicht verloren hat; ferner das Reichsgesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit (der erste, gut gelungene Versuch, diese wichtige Materie einheitlich zu regeln) und die Reichsgrundbuchordnung, die eine wesentliche Ergänzung des Immobiliarsachenrechts des BGB. bildet.

 

Sonstige privatrechtliche Gesetze.

Aus der großen Zahl der privatrechtlichen Gesetze, die außer dem BGB. und seinen Nebengesetzen in den letzten 25 Jahren erlassen worden sind, können hier nur diejenigen charakterisiert werden, die eine größere Bedeutung für das Rechtsleben haben.

In einer ersten Gruppe seien diejenigen Gesetze erwähnt, die solche Materien regeln, die dem allgemeinen bürgerlichen Recht angehören. Auf den Schutz der kapitalschwachen Kreise der Bevölkerung zielt das Gesetz über die Abzahlungsgeschäfte (1894) ab; es schützt den Käufer besonders gegen die Gefahr, dadurch ausgebeutet zu werden, daß dem Vertrag für den Fall der Nichtzahlung einer Rate die Verwirkungsklausel beigefügt wird und er so die abgezahlten Beträge verliert. Beifallswert ist auch die Absicht des Bauforderungsgesetzes (1909), das nach langen Vorarbeiten den Versuch macht, der Ausbeutung der Bauarbeiter durch gewissenlose Bauherren und Bodenspekulanten entgegenzutreten, in seinem (zweiten) Hauptteil aber bis jetzt noch nirgends in Kraft gesetzt worden ist. Ebenso zielt auf die Bekämpfung von Mißbräuchen das für die arbeitsuchenden Kreise wichtige Stellenvermittlergesetz von 1910 ab. Das außerordentlich schwierige Problem, wie die mittlere Linie zwischen den Interessen der Lenker und Benutzer von Kraftfahrzeugen einerseits und des durch ihre Schnelligkeit gefährdeten Publikums andrerseits zu finden sei, wurde durch das Gesetz vom 3. Mai 1909 gelöst. Echten modernen Geist atmet das nach dem Muster des kurz zuvor zustande gekommenen preußischen Gesetzes im Jahre 1910 erlassene Gesetz, nach dem der Staat die Haftung für den Schaden übernimmt, der von seinen Beamten in Ausübung der obrigkeitlichen Gewalt zugefügt wird. Der Erleichterung und Sicherung des in den letzten Jahrzehnten sehr schnell gewachsenen internationalen Verkehrs dienen die Haager Abkommen von 1902 über die Eheschließung, die Ehescheidung und die Altersvormundschaft.

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