Landwirtschaft und Industrie

Landwirtschaft und Industrie – Deutschland unter Kaiser Wilhelm II., Band 3

 

Die 1914 im Original veröffentliche Reihe “Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. ” gehört zu den umfangreichsten historischen Abhandlungen über die Entwicklung und den Aufbau des Kaiserreiches. Hier in einer Wiederauflage von insgesamt acht Bänden vorliegend, umfasst das Werk auf fast 2000 Gesamtseiten Beiträge der wichtigsten Koryphäen ihrer Zeit zu relevanten Themen. Dies ist Band 3, der unter anderem die Entwicklung und die Gewerbe der Landwirtschaft, Berg- und Hüttenwesen, Maschinenindustrie und chemische Industrie behandelt.

Landwirtschaft und Industrie

Landwirtschaft und Industrie.

Format: eBook/Taschenbuch.

Landwirtschaft und Industrie.

ISBN eBook: 9783849663162

ISBN Taschenbuch: 9783849665203

 

Auszug aus dem Werk:

 

Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik in ihren Zusammenhängen

Von Professor Dr. Adolph Wagner, Berlin, Wirklicher Geheimer Rat, Mitglied des Herrenhauses

Diese Zusammenhänge.

Die Wirtschaftspolitik, die Finanz- und Steuerpolitik und die Sozialpolitik eines Zeitalters stehen immer in einem gewissen Zusammenhang, vor allem in unserer modernen Zeit, und je mehr wir uns der Gegenwart nähern, um so mehr und um so bewußter, so daß sich deutlich ein Wechselwirkungsverhältnis ergibt. In einem geordneten Staatswesen, wo die organische historische Entwicklung nicht unterbrochen wird, vollzieht sich diese in ruhiger, geordneter Weise durch den Aufbau und Ausbau der einschlagenden Gesetzgebung und Verwaltung auf den geschichtlich gegebenen Fundamenten. Diese Entwicklung wird dann nicht so viel Neues und Originelles, aber um so mehr den Charakter eines organischen Wachstums des Staatslebens zeigen und damit auch als gesund und richtig in allem Wesentlichen anerkannt werden dürfen.

Das gilt in ausgeprägtem Maße von der Politik des Deutschen Reichs und Preußens in Volkswirtschaft, Finanzen und sozialen Verhältnissen, und von der zur Ausführung dienenden Gesetzgebung und Verwaltung in der letzten viertelhundertjährigen Periode der Geschichte des jungen Deutschen Reichs und seines Bildners und Kerns, des preußischen Staats, in der Regierungszeit des Kaisers und Königs Wilhelm II, seit 1888 bis 1913. Nicht daß es auch hier an Wechselfällen, Richtungsschwankungen auf diesen wie auf anderen Gebieten der Reichs- und Staatspolitik ganz gefehlt hätte − die Zeit vor und nach Bismarck zeigt davon die stärksten Spuren, die in geringerem Maße auch in der langen Zeit seit 1890 mit dem Wechsel der Kanzlerschaften und hier und da auch während der einzelnen sich offenbarten. − Aber im wesentlichen tritt doch eine einheitliche gleichmäßige, für die Entwicklung des Staats- und Volkslebens förderliche Gestaltung der deutschen und preußischen Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik hervor, wie sie die Bedürfnisse von Reich und Staat, von Volk und Volkswirtschaft verlangt haben. Das, wozu seit der Neuordnung der Verhältnisse nach der französischen Kriegszeit vor 100 Jahren in der ruhigen Friedensperiode von 1815 bis 1848/66 der Grund gelegt wurde, vor allem mittels der großen Tat, der Schöpfung und Ausbildung des Zollvereins seit 1834, und der noch größeren und eingreifenderen, der Herstellung des Norddeutschen Bundes nach den Ereignissen von 1866 und seiner Erweiterung zum Deutschen Reiche nach dem Krieg 1870/71 gegen Frankreich, das alles mußte erst gelungen und nach innen und außen dauerhaft begründet sein. Hierdurch ist auch der Zollverein erst ein dauerndes politisch-volkswirtschaftliches Gebilde und ein integrierender Wesensbestandteil des neuen Reichs geworden. Erst auf diesen Fundamenten konnte die deutsche Volkswirtschaft ordentlich auf- und ausgebaut werden, und das ist in dieser Zeit seit 1888 im ganzen befriedigend und erfreulich gelungen. Nicht minder ist der in der ersten Reichsperiode begründete gewaltige Bau der Sozialpolitik, diese namentlich im Sinn der sichernden und fördernden Arbeiterpolitik, bedeutsam ausgedehnt und verstärkt worden. Für die Finanzen von Reich und Staat war zwar auch in der Zeit Wilhelms I. und Bismarcks teilweise ein neues Fundament gelegt worden, aber den Bedürfnissen eines großen modernen Staatswesens, eines solchen, welches für die notwendigen Aufgaben der Volkswirtschaft und für ihre unvermeidliche starke Eingliederung in die Weltwirtschaft, für die notwendigen Bedingungen einer modernen Technik in Produktion und Verkehr das von Staatswegen Erforderliche leisten soll, entsprach das noch nicht. Hier war ein großer und umfassender Weiterbau erst noch zu bewerkstelligen.

Volkswirtschaftliche Bedeutung der weiteren Stärkung der Wehrmacht.

Um aber nicht nur den ganzen Neubau des Deutschen Reichs nach außen und innen zu sichern, sondern um gerade auch für die deutsche Volkswirtschaft und ihre notwendig bedeutsamer werdende Stellung in der Weltwirtschaft die Entwicklung zu garantieren, war auch die Wehrmacht zu Lande und zu Wasser im Zeitalter neuer und erweiterter Kolonialgründungen und des weltwirtschaftlichen Verkehrs mächtigeren und schon früher wirtschaftlich entwickelten, neidischen Rivalen gegenüber im Einklang mit der neuesten Entwicklung der Technik, wenn auch unvermeidlich mit größeren Opfern, auszugestalten. Das ist geschehen. Vor allem auch ist das von altersher seeunmächtige Deutschland zum erstenmal in seiner Geschichte zu einer starken Seemacht neben den anderen Staaten gemacht worden. Die Schaffung dieser Seemacht, und schließlich auch die Verstärkung der Landmacht ist gerade im letzten Menschenalter in erfreulicher Weise zu stande gekommen. Hierdurch ist das Schwerste, aber auch das Notwendigste und Segensreichste in der Gesamtpolitik und speziell in der Wirtschaftspolitik gelungen, zwar unter starker Opposition von manchen Seiten, aber es war eine Maßregel, die der wichtigsten Staatsaufgabe entspricht. Ihre Erfüllung erscheint nicht nur jedem ernsten Politiker als das Wichtigste, sondern folgt auch aus den Grundsätzen des größten freiwirtschaftlichen Nationalökonomen, keines Geringeren als eines Adam Smith, daß nämlich die Schaffung von Sicherheit für Staat, Volk und Volkswirtschaft wichtiger ist als bloße Wohlstandssteigerung, ohne genügende Garantie für ihre Dauer und Weiterentwicklung; das läßt alle Maßregeln zur Erreichung jenes Ziels, auch wenn sie mit großen Opfern verbunden sind, gerechtfertigt erscheinen. Gerade diese Schaffung genügender Sicherheit für das neue Deutsche Reich, für seine in so großartigem Aufschwung befindliche Volkswirtschaft und für deren absolut und relativ steigenden Anteil am weltwirtschaftlichen Verkehr ist wohl diejenige Tat im jüngsten Zeitalter, welche diesem seinen dauernden Charakter in der Geschichte verleiht. Während alles Andere, was in Wirtschafts- und Sozialpolitik und teilweise auch in der Finanzpolitik in diesem jüngsten Zeitalter geschehen ist, doch mehr nur einen erfreulichen Ausbau auf den durch die Jahre 1834, 1866, 1870 und speziell unter Wilhelm I. und Bismarck gelegten Grundlagen darstellt, ist hier in der Schaffung der Kriegsmarine und in der Begründung eines, wenn auch immer gegen den anderer Länder kleinen Kolonialbesitzes auch eine neue und originale Leistung gelungen, welche den besonderen Ruhm dieses jüngsten Zeitalters deutscher Geschichte bildet.

Diese politischen Taten, welche zugleich von größter volkswirtschaftlicher und weltwirtschaftlicher Tragweite sind, haben durch sich selbst auch den besten Beweis dafür geliefert, daß erst durch die Ereignisse von 1866 und 1870 Deutschland, und selbst das um die österreichischen Gebiete verkleinerte Deutschland, dem deutschen Volk und der deutschen Volkswirtschaft die gebührende Stellung in der Welt verschaffen konnte. So konnte wenigstens im letzten Moment, wo es möglich war, den ausgeschlossenen und verspäteten Deutschen neben anderen Europäern ein Platz und Betätigungsspielraum auf unserer Erde verschafft werden. Damit hat sich der Weg durch Blut und Eisen, auf dem die neue deutsche Einheit, die Trennung von Österreich, so vielfach gegen Wunsch und Willen anderer Deutscher erreicht worden ist, auch als der richtige und notwendige erwiesen, um zur politischen und wirtschaftlichen Stellung des deutschen Volkes in der Gegenwart zu gelangen.

Nur durch die Hervorhebung und Charakterisierung einiger einzelner Hauptpunkte der Entwicklung der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik in Preußen und im ganzen Reich im letzten Vierteljahrhundert mag das Gesagte hier belegt und begründet werden. Für das Einzelne ist auf die einschlägigen Abschnitte dieses Werks aus anderen Federn zu verweisen.

Agrarverfassung und Agrarpolitik.

Der Charakter der allgemeinen Wirtschaftspolitik eines Landes erhält seinen prägnantesten Ausdruck einmal durch die Agrarverfassung und Agrarpolitik, sodann durch die innere Gewerbe- und Handelsverfassung und -politik und durch die äußere Handelspolitik. Agrarverfassung und Agrarpolitik sind auch im neuen Deutschen Reich ja wesentlich Angelegenheiten der Einzelstaaten geblieben, nur daß die Gesetzgebung des Reichs über Staats- und Reichsbürgerrecht, Niederlassungsrecht, Zugrecht als Freizügigkeit, Wanderrecht und Reiserecht, Eheschließungsrecht, Aus- und Einwanderungsrecht, Unterstützungswohnsitz, Wehrdienstpflicht auch in die Agrarverhältnisse bedeutsam eingreift. Das großenteils bereits in Preußen bestehende „freiheitlich“ ausgestaltete Spezialrecht in den genannten besonderen Rechtsgebieten war in die Reichsverfassung bereits übergegangen und schon in der Periode vor 1888, soweit notwendig, in derselben Richtung noch weiter ausgebildet worden. Die Agrarverfassung speziell hatte in Preußen ihren im ganzen freiheitlich-individualistischen Charakter in die Reichszeit mit herübergenommen, so den Grundsatz der freien Teilbarkeit und Zusammenlegbarkeit des ländlichen Besitzes in Kauf und Verkauf und im Erbgang, des freien Absatzes und Marktverkehrs und der freien vertragsmäßigen Preisbildung für Agrarprodukte, des freien Pachtrechtes und Mietrechtes und des freien Verschuldungsrechts. Aber provinzial- und bezirksweise waren doch auch Ausnahmen von dieser Gestaltung des Agrarrechts geblieben, die auch mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht verschwanden, so einzelne Provinzialsysteme des Anerbenrechtes für bäuerlichen, mitunter für ländlichen Grundbesitz überhaupt, auch des Rechts der Fideikommisse. Das ist in Preußen auch in der jüngsten Periode seit 1888 im ganzen so geblieben, doch sind einzelne Erneuerungen und Fortbildungen besonders im Gebiet des ländlichen Anerbenrechtes und für Zwecke der inneren Kolonisation, sowie für Förderung der Kreditverhältnisse und ländlichen Produktions- und Absatzverhältnisse, namentlich durch genossenschaftliche Einrichtungen, erfolgt. Durch Entwicklung des ländlichen Fachschulwesens hat eine Verbreitung der Kenntnisse agrarischer Technik und vornehmlich auch im Gebiet des Meliorations- und Kunstdüngerwesens eine erhebliche Förderung der Landwirtschaft stattgefunden. Der Fortschritt zu intensiverer Bewirtschaftung, zum Übergang von der Körnerwirtschaft mehr zur Viehwirtschaft ist damit begünstigt worden. Durch Gewährung steigenden und nach einer bedenklichen Verminderung in der Zeit der Reichskanzlerschaft Caprivis später wieder ausreichend gewährten Zollschutzes, besonders für Getreide, ist der Landwirtschaft auch der notwendige im Gesamtinteresse der Volkswirtschaft und der Nation liegende Schutz gegen die erdrückende Preiskonkurrenz des noch schwach bevölkerten und extensiv wirtschaftenden Auslands und gegen die Folgen der die Fernfrachten vermindernden Entwicklung des Kommunikations- und Transportwesens, zu Land und namentlich auch zu Wasser, gewährt worden. An dieser internationalen Handels- und Tarifpolitik ist, abgesehen von der Schwankung zu Caprivis Zeit, trotz aller Gegnerschaft des reinen Konsumenteninteresses und des Freihändlertums, auch im letzten Vierteljahrhundert festgehalten worden, besonders im Zollgesetz 1902, einem Hauptpunkte der Bülowschen Kanzlerperiode. Und im ganzen mit Recht. Durch diesen in der ersten Reichsperiode seit 1879 eingeleiteten Agrarschutz mit seinen bedeutsamen Folgen, auch nach der finanziellen Seite, hat die gesamte deutsche Wirtschaftspolitik ihren eigentümlichen Charakter einer konsequenten Verbindung wirtschaftsfreiheitlicher und regulierender und schützender Momente auch bis zur Gegenwart behalten. Die tatsächliche Gesamtentwicklung des deutschen Wirtschaftslebens zeigt, daß das zu seinem Segen war.

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