Predigten

Predigten – Gustav Adolf Baur

Der Odenwälder Professor der Theologie Gustav Adolf Baur war einer der akademischen Lehrer und Prediger von universaler Bildung. Schon das vielgestaltige Verzeichnis seiner Vorlesungen gibt davon Zeugnis; die deutsche, namentlich die poetische Literatur beherrschte er bis ins Detail von den ältesten Zeiten an bis zu unseren Tagen, Dantes Göttliche Komödie wie Shakespeares Dramen waren ihm vertraut, und seine starkes Gedächtnis hielt ihm alles zur rechten Zeit lebendig und gegenwärtig. Die ungemein große Lebhaftigkeit und Frische seines Geistes, verbunden mit jugendlichem Freundschaftssinn, befähigten ihn zu einem akademischen Lehrer, der stets eine außerordentliche Anziehungskraft auf die studierende Jugend ausübte, und von dem eine anregende Kraft auf weite Kreise ausging. Schleiermachers Theologie blieb die Grundlage seiner theologischen und kirchlichen Richtung; der lutherischen Kirche von Herzen zugetan, wirkte er in durchaus christusgläubigem, aber unionsfreundlichem Geist. In wissenschaftlicher Beziehung haben namentlich seine pädagogischen Arbeiten in seiner Erziehungslehre und in zahlreichen wertvollen Artikeln bleibende Bedeutung. Dieses Werk enthält eine große Auswahl seiner Predigten.

Predigten

Predigten.

Format: Paperback, eBook

Predigten.

ISBN: 9783849666088 (Paperback)
ISBN: 9783849662110  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Der Hingang des Herrn seiner sichtbaren Erscheinung nach, die Vorbedingung seiner Wiederkunft im Geiste.

 

Am Sonntage Cantate.

Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er thut Wunder. Er sieget mit seiner Rechten und mit seinem heiligen Arm. Der Herr lässet sein Heil verkündigen; vor den Völkern lässet er seine Gerechtigkeit offenbaren. Er gedenket an seine Gnade und Wahrheit dem Hause Israel; aller Welt Ende sehe das Heil unseres Gottes. Jauchzet dem Herrn alle Welt; singet, rühmet und lobet! – Amen.

Mit diesen Worten des 98. Psalms begann in der alten Kirche der Gottesdienst an dem heutigen Sonntage, und von dieser Aufforderung, dem Herrn zu singen, hat dieser Tag seinen Namen Cantate, d. i. Singet! erhalten, wie der vorige Sonntag einem ähnlichen Anlasse seinen Namen Jubilate verdankt. Singen und jubeln also soll die Gemeinde Christi in dieser Zeit, obwohl sie sich auf die Verkündigung vorbereitet, daß ihr Herr nun seiner sinnlichen Erscheinung nach völlig von ihr scheiden werde. Und sie darf singen und jubeln, weil sie ja weiß, daß ihr Herr durch seinen Hingang erst in den Vollbesitz seiner göttlichen Macht und Herrlichkeit zur Rechten seines Vaters eingetreten ist. Und ob auch die Wolken der Trübsal und kleinmüthigen Verzagens auf eine Weile die Sonne der Gerechtigkeit unseren Blicken verdunkeln, das Christenherz darf sich doch freuen, weil es weiß, daß sie darum doch fest und in unwandelbarem Glanze am Himmel stehn bleibt und dem, dessen Glauben durch Anfechtung bewährt wird, dahin voranleuchtet, wo es auch für unser Schauen keinen Wechsel von Licht und Finsterniß mehr gibt. Und wenn der alte böse Feind seinen Kampf auch noch nicht aufgibt, ja wenn er es jetzt wieder ganz besonders ernst zu meinen scheint und große Schaaren aufbietet zum Kampfe gegen das Reich Gottes; so darf doch die Gemeinde Christi in guter und fröhlicher Zuversicht sein, daß der, welcher das Werk der Erlösung in ihr angefangen hat, es auch vollenden und nicht ruhen wird, bis er den Herzog unserer Seligkeit aus dem Kampfe zum vollständigen Siege hindurchgeführt hat. Das ist die Freude, das ist der Lobgesang, das ist das neue Lied, welches dem größten Wunder gilt, daß Gott seinen eingeborenen Sohn, welchen er nach seiner großen Barmherzigkeit zu unserer Erlösung gesandt hat und welcher seiner Sendung treu geblieben ist, bis zum Tode am Kreuz, durch seine Allmacht von den Todten auferwecket und in die Herrlichkeit wiederaufgenommen hat, die er im Anfange bei seinem himmlischen Vater hatte. Das ist das Wunder der göttlichen Gnade und Allmacht, auf welches die Väter geharrt haben und welches der gläubigen Gemeinde Christi die Quelle und die Grundlage einer unerschöpflichen und unzerstörbaren Freude geworden ist. Denn es gibt ja, meine lieben Freunde, keine festere Grundlage für unsere Freude, als die unerschütterliche Gewißheit, daß der allmächtige Gott in seinem eigenen Sohne in Gnaden sich unserer angenommen hat, daß, wenn auch Berge weichen und Hügel hinfallen, doch seine Gnade nicht von uns weichen und der Bund seines Friedens nicht hinfallen wird, und daß dem, welcher „Jesus Christus gestern und heute und derselbige auch in Ewigkeit!“ zu seinem Wahlspruche gemacht hat, die Freude des endlichen Sieges gewiß ist.

O Heil‘ger Geist, kehr’ bei uns ein,

Und laß uns deine Wohnung sein!

O komm, du Herzenssonne!

Du Himmelslicht, laß deinen Schein

In unsern Seelen kräftig sein

Zu steter Freud’ und Wonne.

Reine Freude, himmlisch Leben

Willst du geben,

Wenn wir beten

Und in Demuth zu dir treten.

Text: Joh. 16, 5-15. Nun aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat; und Niemand unter euch fragt mich: Wo gehest du hin? Sondern, dieweil ich solches zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns geworden. Aber ich sage euch die Wahrheit: Es ist euch gut, daß ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch. So ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden. Und wenn derselbige kommt, der wird die Welt strafen, um die Sünde, und um die Gerechtigkeit, und um das Gericht: Um die Sünde, daß sie nicht glauben an mich; um die Gerechtigkeit aber, daß ich zum Vater gehe, und ihr mich hinfort nicht sehet; um das Gericht, daß der Fürst dieser Welt gerichtet ist. Ich habe euch noch viel zu sagen; aber ihr könnet es jetzt nicht tragen. Wenn aber jener, der Geist der Wahrheit, kommen wird, der wird euch in alle Wahrheit leiten. Denn er wird nicht von ihm selbst reden; sondern was er hören wird, das wird er reden; und was zukünftig ist, wird er euch verkündigen. Alles, was der Vater hat, das ist mein. Darum habe ich gesagt: Er wird es von dem Meinen nehmen, und euch verkündigen.

Dieser Text geht dem, welchen wir an dem vorigen Sonntage Jubilate zu betrachten hatten, unmittelbar voran, und sein Inhalt erinnert uns insbesondere wieder an die Worte des Herrn, welche wir damals in den Mittelpunkt unserer Betrachtung gestellt haben: „Ueber ein Kleines, so werdet ihr mich nicht sehen, und aber über ein Kleines, so werdet ihr mich sehen, denn ich gehe zum Vater; und euer Herz wird sich freuen und eure Freude wird Niemand von euch nehmen.“ In unserem heutigen Texte zeigt uns nun Christus, wie gerade dadurch, daß er seiner sichtbaren Erscheinung nach von den Seinen geschieden ist, er ihre Freude vollkommen gemacht hat, indem so erst ihre geistige Gemeinschaft mit ihm sich vollenden kann, und der wesentliche Inhalt unseres Textes liegt zusammengefaßt in den Worten: „Es ist euch gut. daß ich hingehe; denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch. So ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden.“ Christus fordert uns damit auf, zu erwägen, wie sein Hingang seiner sichtbaren Erscheinung nach die Vorbedingung ist seiner Wiederkunft im Geiste. Laßt uns zuerst sein Wort uns klar machen: „Es ist euch gut, daß ich hingehe,“ und dann sehen, worin das Wirken des Geistes besteht, welchen er nach seinem Hingang den Seinen sendet.

I.

Es liegt, meine geliebten Freunde, über die letzten Gespräche, welche Jesus in der Zeit zwischen dem heiligen Abschiedsmahle und zwischen seiner Gefangennehmung mit seinen Jüngern führte, und welche der Jünger, den der Herr lieb hatte, so ausführlich in seinem Evangelium aufgezeichnet hat, die Stimmung eines eigenthümlichen Halbdunkels ausgegossen. Es rührt dieses aber nicht her aus den Reden des Herrn. Denn wenn diese auch auf die tiefsten Geheimnisse des göttlichen Heilsrathschlusses, des Verhältnisses des eingeborenen Sohnes Gottes zu seinem himmlischen Vater und der Entwicklung des Reiches Gottes sich beziehen; so verbinden sie doch mit ihrer wunderbaren Tiefe eine nicht minder wunderbare Klarheit und Durchsichtigkeit, und man sieht in sie hinein, wie in die klare Tiefe eines durchsichtigen Meeres, auf dessen Grund die herrlichen Wunderschätze der Weisheit und Erkenntniß Gottes den Blicken entzückend sich aufthun. Sondern in die Klarheit der Reden Jesu selbst mischt sich das Dunkel, weil seine Jünger was er sagte noch nicht vollkommen zu verstehen vermochten. Sie sind uns eben ein Beweis dafür, daß, um die Worte des Herrn in Wahrheit zu verstehen, ein äußerliches Auffassen derselben mit dem bloßen Verstande nicht ausreicht, sondern daß die eigne lebendige innere Erfahrung von ihrer Wahrheit hinzukommen muß. Und diese Erfahrung hatten die Jünger jetzt noch nicht gemacht. Was Christus ihnen sagte von seinem baldigen Hingange, von den Leiden, welche ihm bevorständen und welche auch seine Bekennet zu tragen haben würden, wie er selbst, das lag zu weit ab von den Vorstellungen, welche sie von dem Erlöser Israels nach den Vorurtheilen ihres Volkes sich gebildet hatten, als daß sie es hätten fassen können. Erst nachdem das Verkündigte wirklich eingetreten war, und nachdem sie ihren durch den Tod auf eine kleine Zeit verlorenen Heiland durch seine Auferstehung auf immer wiedergefunden hatten, da erinnerten sie sich seiner Worte und ging ihnen deren volle Bedeutung auf. Fürs erste aber konnten seine Worte keinen aufklärenden und erhebenden, sondern nur einen verwirrenden und niederschlagenden Eindruck auf sie machen. So stellt sie uns denn auch der Anfang unseres Textes dar, verdüstert und in Trauer versenkt durch die Worte ihres Meisters, so daß sie nicht einmal dazu kommen, ihn um eine nähere Erläuterung derselben zu bitten. Nun aber, so spricht Jesus zu ihnen, nun aber gehe ich hin zu dem, der mich gesandt hat, und Niemand unter euch fraget mich: Wo gehest du hin? Sondern dieweil ich solches zu euch geredet habe, ist euer Herz voll Trauerns geworden.„ Aber in diese trauernden Herzen will er doch ein bestimmtes und nicht mißverständliches Trostwort hineinrufen, und darum spricht er weiter zu ihnen: „Es ist euch gut, daß ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch. So ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden.’ Auch diese Verheißung von dem Tröster, welcher zu ihnen kommen solle, mochte ihnen damals noch unverständlich sein. Sie sollte ihnen erst vollständig klar werden, als unter dem heiligen Geisteswehen am Pfingstfeste der verheißene Tröster wirklich zu ihnen kam. Jenes Wort aber: „Es ist euch gut, daß ich hingehe,“ das mußte doch als ein klares und deutliches Trostwort in ihrem Herzen haften. – Und so laßt uns denn, meine geliebten Freunde, zuerst fragen, warum es für die Jünger gut war, daß der Herr seiner sichtbaren Erscheinung nach von ihnen ging. Die Antwort auf diese Frage deutet Christus selbst uns an in den Worten, welche unserem heutigen Texte unmittelbar vorangehen. Da sagt er nämlich: „Solches habe ich euch von Anfang nicht gesagt, denn ich war bei euch.“ Also so lange der Herr noch in leiblicher Gegenwart bei seinen Jüngern weilte, erkannte er es nicht für nöthig, sie in das tiefere Geheimniß des Gnadenrathes seines Vaters im Himmel einzuweihen, dessen Vollendung nun durch seine Kreuzigung, Auferstehung und Erhöhung begründet werden sollte. War er doch selbst noch bei ihnen, um ihre etwaigen Zweifel zu lösen, ihre Irrthümer zu beseitigen und in ihrem Kleinmuth sie aufzurichten. Als aber die Zeit seines Scheidens von ihnen nahe bevorstand, da galt es, sie in die vollere Wahrheit einzuführen; ja er kündigte ihnen an, daß erst der heiligen Geist, welchen er ihnen senden werde, sie in alle Wahrheit leiten werde, weil dieser ihnen auch das mittheilen könne, was er selbst ihnen noch verschweigen müsse, da sie es doch jetzt noch nicht würden tragen und fassen können. In unserem Herrn und Meister stellt sich uns damit das rechte Vorbild eines weisen Lehrers und Erziehers dar, welcher sich ja auch voraussagen muß, daß er bei seinen Schülern und Zöglingen nicht beständig bleiben kann, und daß er darum bei Zeiten darauf bedacht sein müsse, sie mit den erforderlichen Kenntnissen und mit der nöthigen Selbständigkeit des Geistes und Willens auszurüsten, damit sie auch ohne seine unmittelbare persönliche Leitung ihren Weg finden und wandeln können. Wie ein Kind, welches doch fortwährend, auch wenn es den Jahren der Mündigkeit schon entgegenreift, unter ängstlicher persönlicher Aufsicht der Eltern und Erzieher gehalten wird, niemals den Halt gewinnt, welcher ihm unentbehrlich ist, wenn es in dem Leben sich selbständig zurecht finden und behaupten soll; so würden auch die Apostel, wenn der Herr in leiblicher Gegenwart bei ihnen geblieben wäre, nicht zur vollen Festigkeit und Lebendigkeit des Glaubens und zur recht selbständigen Verwaltung ihres apostolischen Berufes gelangt sein. Hätte er sie auch ausgesandt zur Verkündigung seines Evangeliums: sie würden in allen zweifelhaften Fällen nach seiner Entscheidung sich gesehnt haben und zur vollen Sicherheit eines selbständigen Verfahrens nicht gekommen sein. Dadurch aber, daß er von ihnen schied, wurde ihnen zugemuthet, zu beweisen, daß sie zur Mündigkeit und männlichen Selbständigkeit ihres Glaubens hindurchgedrungen waren, und jetzt erst vermochten sie mit voller Sicherheit und Freiheit den Befehl ihres Meisters zu erfüllen: „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten Alles, was ich euch gesagt habe“ – umsomehr, da er, wenn auch der sichtbaren Erscheinung nach von den Seinen getrennt, doch alle Tage bei ihnen bleibt in der Kraft seines Geistes. –

Dieser Beitrag wurde unter Religionen der Welt veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.