Die Geschichte Jesu für das Verständnis der Gegenwart dargestellt

Die Geschichte Jesu für das Verständnis der Gegenwart dargestellt – Michael Baumgarten

Professor Michael Baumgarten versucht in diesem Werk, das aus 27 Vorträgen besteht, die Geschichte Jesu herauszuarbeiten und einen Bezug zur Gegenwart darzustellen. Dabei beleuchtet er nicht nur das Wirken des Erlösers, sondern vor allem auch die letze Woche in Jerusalem, einschließlich des Abendmahls, der Passion, der Kreuzigung und der Auferstehung.

Die Geschichte Jesu für das Verständnis der Gegenwart dargestellt

Die Geschichte Jesu für das Verständnis der Gegenwart dargestellt.

Format: Paperback, eBook

Die Geschichte Jesu für das Verständnis der Gegenwart dargestellt.

ISBN: 9783849666071 (Paperback)
ISBN: 9783849662103  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Dritter Vortrag – Der Herold.

„Jesus ist das Licht der Welt.“ So hat er sich selbst genannt und so müssen wir ihn erkennen, sonst haben wir ihn sicher nicht verstanden. Darin liegt aber, daß er in sich selbst erkannt sein will, daß er nicht bloß keiner anderen Beleuchtung bedarf, sondern daß auch jeder Versuch, ihn von Außen her beleuchten zu wollen, zur Verdunkelung seiner Erkenntnis ausschlagen muß. Denn ist er das Licht der Welt, so ist die Welt ohne ihn finster, die Welt ohne ihn ist also in sich selber nicht durchsichtig und verständlich. Demnach ist alle Welterkenntnis in sich selber dunkel und somit im wahren Verstande Mangel an Erkenntnis, mithin völlig untauglich, den zu erleuchten, in dessen Licht die Welt erst in sich selber erkennbar wird. Aber Jesus ist nicht das Licht für die äußere Welt, sondern für die innere Welt, darum kann er die Welt nicht von Außen und von Oben beleuchten, wie die Sonne, sondern er muß in die Welt eintreten. Die innere Welt ist nämlich ein nach Außen abgeschlossenes Reich, in welchem eine Wirkung nur erfolgen kann, die von Innen her erfolgt. Darum kann in diese innere Welt Nichts eintreten und hier Einfluß gewinnen, außer wenn es sich den hier waltenden Gesetzen und Ordnungen unterstellt, und zwar, da dieses Reich fortwährend in Bewegung ist, kann der Eintritt nur erfolgen in strenger Gemäßheit zu der jedesmaligen Lage des Ganzen. In dieser Rücksicht ist eine Beleuchtung der Weltlage erforderlich, um den Eintritt Jesu zu verstehen, mittelst dessen er in die Welt eingeht, um ihr Licht zu sein. Für unseren Zweck genügt es, wenn wir uns Johannes den Täufer, diesen Vorläufer und Herold Jesu, vergegenwärtigen. Diese Persönlichkeit dürfen wir als den Leuchtthurm ansehen, von welchem wir uns über die Lage der Dinge in der Welt, in welche Jesus eintritt, um die Finsternis zu vertreiben, hinlänglich orientieren können.

Johannes ist durch einen himmlischen Boten angekündigt als ein göttliches Rüstzeug, um den Anbruch der endlichen Erfüllung aller Verheißungen Jehovas einzuleiten. Aber nicht bloß der Inhalt dieser göttlichen Botschaft, welche seiner Geburt voraufging, ist vielversprechend, . sondern eben so sehr der Zeitmoment innerhalb der israelitischen Volksgeschichte, in welchem diese Botschaft erfolgt. Diese Botschaft ist die erste himmlische Stimme nach vierhundertjährigem Schweigen Jehovas und sie läßt sich vernehmen in der Stunde, als das Volk während des täglichen Brandopfers und des priesterlichen Räucherns vor dem Heiligthum im Gebete versammelt ist (s. Luk. 1, 10). Es ist also die Ankündigung des Johannes die göttliche Antwort auf das Rufen und Flehen des Volkes in seiner Bedrängnis, welche die Verheißung einschließt, daß sich Jehova aufmacht, um sein Volk schließlich zu erlösen von allen seinen Sünden und Nöthen. Einer so unvergleichlich feierlichen und inhaltsvollen Ankündigung entspricht nun auch die Persönlichkeit und das Wirken Johannes des Täufers. Was seine äußere Erscheinung anlangt, so lebte er von früh an in der Wüste (s. Luk. 1,80), hier machte er sich heimisch von Jugend auf, und als er, in die Mannesreife eingetreten, sein Bußpredigeramt übernahm, war und blieb in der Wüste sein Standort. Und mit dem Charakter dieses Standortes war seine ganze Lebensweise zusammengewachsen: sein Kleid bestand aus Kamelhaaren und sein Gürtel war ein Thierfell, zur Nahrung dienten ihm Heuschrecken und Wildhonig. Dieses sein Eingelebtsein in das Wesen der Wüste ist das Bild seiner inneren Anschauung von dem Charakter seiner Gegenwart, auf welche zu wirken er berufen ist. Die geistige Gegenwart erscheint ihm als eine Wüstenei, in welcher alles Geistesleben auf die dürftigste und kümmerlichste Stufe heruntergekommen ist. Wenn sein Leib in der Wüste des jüdischen Landes seinen Standort hat, so hat seine Seele in der Wüste des jüdischen Volkes ihre Heimat aufgeschlagen. Darum beruht seine Bußpredigt nicht auf irgend welchem Vornehmen, sondern es ist dieselbe eine innere Nothwendigkeit des ganzen Mannes. Die Bußpredigt des Johannes gewinnt schnell, da sie gar nicht lange gewährt haben kann, eine so überwältigende Anziehungskraft, daß das ganze Volk dadurch in Bewegung gesetzt wird. Ganz Judäa, heißt es, und Jerusalem und das Land jenseits des Jordans macht sich auf und geht hinaus zu dem Wüstenprediger, und die Hinströmenden sind aus allen Classen und Ständen des Volkes, wir finden Pharisäer und Sadducäer, Soldaten und Zöllner und selbst Huren werden genannt (s. Matth. 21,32). Was ist es nun, das diese Schaaren aus ihren Häusern, Städten und Flecken in die Wüste führt? Sind es etwa Wunderzeichen? Es wird ausdrücklich bemerkt, daß obwohl Johannes in dem Geiste und in der Kraft des Elia einhergeht, er doch Wunder nicht verrichtet hat (s. Joh. 10, 41).

Da nun außerdem seine ganze Äußerlichkeit mehr etwas Rauhes und Abstoßendes hat, als etwas Anziehendes, so kann die übermächtige Anziehungskraft nur in seinem Worte liegen. Dabei ist nicht außer Acht zu lassen, daß es Israel das Volk Gottes ist, auf welches er wirkt und welches seiner Stimme nachgeht. Dieses Volk hat in seiner frühesten Jugend, als es zuerst zum Selbstbewußtsein erwachte, Jehovas des lebendigen Gottes Stimme gehört und in seinem Gewissen erkannt. Seitdem wohnt diesem Volke eine eigenthümliche Fähigkeit bei, die Stimme Gottes von allen Stimmen der Welt zu unterscheiden. Diese eigenthümliche israelitische Empfänglichkeit für das Vernehmen des göttlichen Wortes muß bei dem großen und allgemeinen Eindruck, den die Bußpredigt des Täufers macht, in Betracht gezogen werden. Israel erkennt nach vierhundertjährigem Schweigen zum ersten Male wieder den wunderbar unterschiedlichen Ton desjenigen Wortes, den die Väter von dem flammenden und bebenden Berge gehört hatten, und die mächtigsten und wirksamsten Erinnerungen, welche sonst in tiefes Schweigen begraben waren, wurden aufgeweckt. Denn allerdings sehr tief verdeckt lag jene Empfänglichkeit für Gottes Wort und wäre nicht die gewaltige Kraft des Johannes hinzugekommen, welche durch diese dicke und feste Decke hindurchschlug, jene Empfänglichkeit hätte ihren Schlaf ungestört fortgesetzt. Wir, die wir mit Gottes Wort allenthalben und immerdar umgeben sind, so daß wir fast damit spielen, und dennoch sogar wenig Frucht und Wirkung dieser heiligen Gotteskraft spüren, die wir sogar das Schreckliche erleben müssen, daß Unlauteres und Verkehrtes mit göttlichem Worte zugedeckt wird, wir kommen leicht auf den Gedanken, daß dem Worte Gottes an sich diese durchschlagende Kraft nicht innewohne, sondern daß diese entscheidende Macht anderswo ihren Grund und Ort haben müsse. Und doch sehen wir bei Johannes, dem diese durchschlagende Macht des göttlichen Wortes so wunderbar zu Gebote steht, gar nichts Anderes, als was wir von Jedem, der das Wort Gottes in den Mund nimmt, sei es nun amtlich oder außeramtlich, verlangen müssen, daß er nämlich diesem Worte zuvor sich selbst müsse hingegeben und mit demselben Eins geworden sein. Eben dies ist das ganze Geheimnis der Predigt des Johannes. Er ist nicht erst Etwas für sich und als ein so oder so Seiender nimmt er das Wort Gottes in den Mund, sondern von Grund aus ist er Eins mit seiner Predigt und hat für sich gar Nichts sich vorbehalten. „Ich bin,“ das ist sein Selbstbekenntnis, „ich bin eine rufende Stimme in der Wüste, wie der Prophet vorhergesagt.“ Wenn wir das in den jetzt beliebten Sprachgebrauch übersetzen, so heißt das, die Subjektivität des Johannes ist mit der Objektivität des göttlichen Wortes, das ihm anvertraut ist, völlig geeinigt. Und nun kommt uns wieder seine ganze äußere Erscheinung in den Sinn: diese ist gar nichts Anderes, als die Darstellung und das Abbild dieses seines inneren Sinnes. Und damit verliert sie eben ihre abstoßende Rauhheit, sie ist nämlich Nichts weniger, als die jetzt so häufige Schroffheit, die man für den ächten Eliasmantel ausgibt. Die Schroffheit beruht nämlich immer auf einem Mangel an innerlicher Durchdrungenheit, sie ist alle Wege ein fleischlicher und vielfach ein heuchlerischer Ersatz der Entschiedenheit; sie ist allerdings der Mantel des Elias, aber ohne dessen Kraft und Geist, also entweder ein geliehenes oder gar ein heimlich gestohlenes Kleid. Diese Schroffheit wirkt daher auch weiter Nichts, als daß sie die Gemüther entweder einschüchtert, oder auch erbittert. Der Wüstengestalt des Johannes dagegen muß es Jeder sofort anmerken, daß sie das von dem innewohnenden Geiste gewirkte und darum genau angepaßte Gewand eben dieser Persönlichkeit ist; diese Gestalt ist die Offenbarung eines vollen, einheitlichen Geisteslebens und darum dürfen wir uns auch nicht wundern, daß wir aus diesem Munde nicht bloß das Rollen des Donners vernehmen, sondern auch das Säuseln der lieblichen und zarten Rede. Zunächst ist es freilich die Forderung der Buße oder wie das Wort in der biblischen Sprache der beiden Testamente lautet, die Forderung der Umkehr und Sinnesänderung, welche Johannes aufstellt und ohne Rückhalt zur Geltung bringt. Es ist nicht Vieles, was uns von der Bußpredigt des Johannes überliefert ist, es würde kaum einen einzigen Theil unserer gewöhnlichen Predigten ausfüllen, aber die Anschauungen, Bilder und Gedanken der wenigen Sätze seiner uns aufbehaltenen Rede enthalten den Keim von tausend Predigten.

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