David, der König ohne Gleichen

David, der König ohne Gleichen – Michael Baumgarten

Die Wahl des Themas der vier in diesem Werk beinhalteten Vorträge war durch die kirchliche Zeit, in der diese gehalten wurden, veranlaßt. Baumgarten, ein protestantischer Theologe, hielt es für angemessen, in der Adventszeit einen alttestamentlichen Geschichtsabschnitt, welcher die Weihnachtsbegebenheit in einen Zusammenhang stellt, der viel zu wenig beachtet wird, seinen Zuhörern zu vergegenwärtigen. So ist es geschehen, daß die Geschichte Davids in den Rahmen der Weihnachtsgedanken eingeflossen ist. David war König desjenigen weltgeschichtlichen Volkes, welchem das Priestertum für die Menschheit anvertraut war. Deshalb hat seine Geschichte eine religiöse und eine politische Seite und nach beiden Seiten ist diese Geschichte für unsere Zeit lehrreich und wichtig.

David, der König ohne Gleichen

David, der König ohne Gleichen.

Format: Paperback, eBook

David, der König ohne Gleichen.

ISBN: 9783849666064 (Paperback)
ISBN: 9783849662097  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Vorwort.

Die Entstehung dieser Vorträge ist die gleiche mit den kürzlich über Schleiermacher veröffentlichten. Die Wahl des Themas ist aber diesmal durch die kirchliche Zeit, in welcher diese Vorträge gehalten wurden, veranlaßt; ich hielt es für angemessen, in der Adventszeit einen alttestamentlichen Geschichtsabschnitt, welcher die Weihnachtsbegebenheit in einen Zusammenhang stellt, der viel zu wenig beachtet wird, meinen Zuhörern zu vergegenwärtigen. So ist es geschehen, daß die Geschichte Davids in den Rahmen der Weihnachtsgedanken eingefügt ist. Ich habe diesen Rahmen auch jetzt, da ich diese Vorträge veröffentliche, nicht zerstören mögen, nicht bloß aus Rücksicht auf meine Zuhörer, von denen ich weiß, daß ihnen die Erinnerung an die Zeitumstände dieser Vorträge eine liebe bleiben wird, sondern auch deshalb, weil ich glaube, daß diese Einfassung für Davids Geschichte an sich eine ganz angemessene ist, kehrt doch auch außerdem die Weihnachtszeit für die Leser alle Jahre wieder.

Was den Gegenstand dieser Vorträge selbst anlangt, so wird nicht leicht Jemand bezweifeln, daß derselbe immer noch der öffentlichen Aufmerksamkeit und Besprechung werth ist, wie wichtig jedoch die richtige Auffassung der davidischen Persönlichkeit und Geschichte für unsere Zeit ist, das kann nur derjenige übersehen, der mit den Bedürfnissen der Gegenwart eben so vertraut ist, wie mit den biblischen Urkunden. Von mir darf ich sagen, daß ich schon seit lange die richtige Synthese zwischen der heiligen Geschichte und der laufenden Zeit als das Hauptproblem der Theologie betrachte und deshalb ist die Erforschung dieser beiderseitigen Gebiete und ihre Gegenüberstellung seit vielen Jahren der vornehmste Gegenstand meines Nachdenkens und Sinnens. Wenn ich nun ausspreche, was mir auf diesem Wege gewiß geworden ist, daß die heilige Geschichte nur derjenige versteht, der die Gegenwart begriffen hat und umgekehrt, so weiß ich zwar nicht, ob mir Jemand beistimmen wird, das ist mir aber ausgemacht, daß in dieser Wahrheit allein die Lösung all der wirren Räthsel, welche auf dem theoretischen und praktischen Leben unserer Zeit lasten, gegeben ist.

Niebuhr sagt einmal von Rollin, er erzähle die Geschichten des Alterthums, als wären sie gar nicht wirklich geschehen. Was Niebuhr von dem französischen Compilator der alten Weltgeschichte behauptet, das ist meine Empfindung bei allen Darstellungen der heiligen Geschichte, die mir vorgekommen sind. Wenn man, wie ich hoffe, finden sollte, daß ich die Geschichte Davids so vortrage, daß man den bestimmten Eindruck erhält, diese Geschichte habe sich wirklich einmal begeben, so würde dieser Vorzug lediglich dem Umstände zu danken sein, daß ich in der Geschichte Davids die Gegenwart anschaue und in der Gegenwart wiederum Davids Geschichte. Da die objective Haltung meiner Darstellung es nicht zuließ, diesen Parallelismus eigens hervorzuheben, so mag es an diesem Orte nicht undienlich sein, einige Gesichtspunkte aufzustellen, welche die Beziehung der Geschichte Davids auf unsere Gegenwart zu verdeutlichen geeignet sind.

David ist König desjenigen weltgeschichtlichen Volkes, welchem das Priesterthum für die Menschheit anvertraut ist. Deshalb hat seine Geschichte eine religiöse und eine politische Seite und nach beiden Seiten ist diese Geschichte für unsere Zeit lehrreich und wichtig. In unserer kranken Zeit ist Nichts so krank, wie die Frömmigkeit. Unter der kranken Frömmigkeit verstehe ich nicht die Heuchelei; dieser thut man zu viel Ehre, wenn man sie überall als irgend eine Art von Frömmigkeit betrachtet. Die Heuchelei ist ein Ding für sich, aber sie findet sich immer in Begleitung der kranken Frömmigkeit, sie ist das Ungeziefer in dem kranken Stoff. Da nun gegenwärtig die Heuchelei eine ausgemachte öffentliche Erscheinung ist, so ist damit die Krankheit der Frömmigkeit bewiesen. Auf dasselbe Ergebniß führt der Sprachgebrauch; wahrend früher das Prädicat der Frömmigkeit einen ehrenfesten und tapferen Mann bezeichnete, wie denn die Anrede „fromme Holsten“ auf der Dingstäte meiner Heimath als ein Epitheton ornans üblich war, bezeichnet dieses Prädicat jetzt durchweg eine gewisse unpraktische zaghafte Weichlichkeit und Schwächlichkeit. Dieser veränderte Sprachgebrauch hat nicht etwa, wie sich die Frommen nur gar zu leicht schmeicheln, in einer specifischen Gottlosigkeit unserer Tage, welche überall nirgends anders existiert, als in der kranken Phantasie der gegenwärtigen Frömmigkeit, ihren Grund, sondern leider in der gegenwärtigen Beschaffenheit der Frömmigkeit selbst. Darum aber ist dieser ungesunden Frömmigkeit Nichts heilsamer zur Genesung, als das Anschauen einer lebensfrischen, thatkräftigen Frömmigkeit. Der König David nun ist das wahre Standbild dieser ächten Frömmigkeit für alle Zeiten und darum halte ich die Neubelebung seines Andenkens für ein verdienstliches Werk, besonders in den Tagen des allgemeinen Siechthums der Frömmigkeit.

Aber auch für unsere Theologie ist der König David ein sehr wesentlicher Locus, und zwar um so mehr, je weniger sie davon weiß und wissen will. Daß unsere Theologie sehr gesund ist, werden nicht Viele behaupten, ich meinestheils halte sie für sehr krank. Während das ganze gegenwärtige Denken immer noch leidet an den Nachwehen der hohlen Aufgeblasenheit leerer Abstractionen, ist die Theologie in dieses Fieber, welches die Dinge in Begriffe und die Begriffe in Vocabeln auflöst, noch ganz versenkt und zwar zum Theil um so tiefer und hoffnungsloser, als sie sich einredet, historisch geworden zu sein. Ich spreche hier nur von der Christologie. Wer weiß nicht, daß die Christologie der Mittelpunkt aller Theologie ist? Nun, unsere moderne christologische Literatur ist ein wahres Gebirge; interessant ist dieses Gebirge, wenn man es auch nicht grade erhaben nennen kann, aber jedenfalls ist es außerordentlich kahl und unfruchtbar. Woher kommt dieses? Die Erklärung ist sehr einfach. Der Gegenstand der Christologie ist, wie Alle wissen und einräumen, eine geschichtliche durch Zeit und Raum umgrenzte Persönlichkeit. Dem Gegenstand entsprechend, also wahrhaft fruchtbar und ergiebig, kann diese Doctrin also nur dann sein, wenn sie, wohin sie sich auch immer versteigen mag, den geschichtlichen Boden immer unter den Füßen behält. Hic haeret aqua! Ja, diesen göttlichen Lebensstrom, der in seinem geschichtlich und geographisch abgegrenzten Bett durch die Zeiten und Ewigkeiten sich ergießt, den verdämmt man sich und so läßt man wilde Wasser von oben und unten, von rechts und links herein und mit solchem fremden künstlichen Wasser macht man die christologischen Constructionen, Definitionen, Distinctionen und Abstractionen flüssig. Das Alles ist aber nichts Anderes, als wenn der vor Durst Verschmachtende träumt, daß er trinkt. Daß Jesus Gottes Sohn ist und der Retter der Menschheit, weiß man nach der Schrift und nach der geschichtlichen Wahrheit der Sache nur daher, weil Jesus der Sohn Davids, der Gesalbte Gottes und König Israels ist. Darum sind die Lineamente zur wahren Christologie nicht logische, metaphysische oder theosophische Striche und Figuren, sondern die Thatsachen der alttestamentlichen Geschichte, insbesondere Davids Leiden und Wirken. Aber eben deshalb, weil Davids Geschichte der göttliche Unterbau ist für die wahre Lehre von Christus, so kann man diese Geschichte auch nicht so beiläufig und in ein paar Nachmittagsstunden sich aneignen, um einige lahme Parallelismen einzuflechten, welche eben ausreichen, um die Typik aufs Neue in Verruf zu bringen. An den typischen Einzelheiten liegt außerordentlich wenig, und ein großer Schade der Wahrheit ist es, daß die Geistlosigkeit mit diesen isolierten Bruchstücken so lange getändelt hat; denn diese Einzelheiten versteht und würdigt nur der, welcher in den geschichtlichen Zusammenhang zwischen David und seinem Sohne eingedrungen ist. Dieses aber erreicht wiederum Niemand, der sich in Davids Geschichte nicht ohne Vorbehalt versenkt; nicht bloß begleiten muß man ihn in den Wüsten und Wäldern, in den Tiefen und auf den Höhen, nicht bloß muß man mit ihm gehen über den Bach Kidron und über den Oelberg, sondern vor allen Dingen muß man verstehen das Saitenspiel dieses königlichen Herzens in dem unvergleichlichen Reichthum seiner Empfindungen und Töne. Nur wer diesem königlichen Herzen und Leben auf den Grund dringt, erschaut den geschichtlichen Zusammenhang zwischen David und seinem Sohne und der allein gewinnt den Eingang zu dem Geheimniß, wie das höchste Ideal aller Geschichte sich mit den Gesetzen und Bedingungen der geschichtlichen Realität verbunden hat, in welches Geheimniß hinein zu schauen die Wissenschaft sowohl wie das Leben unserer Zeit das höchste Verlangen hat. Nicht eher, als bis ich mich mit dem äußeren und inneren Leben Davids völlig vertraut wußte, hätte ich es gewagt, mich öffentlich über seine Geschichte auszusprechen und jetzt glaube ich mit der Darlegung der Hauptzüge dieser Geschichte der gegenwärtigen Christologie und Theologie einen Dienst zu leisten.

Aber auch für das politische Leben der Gegenwart ist der Gegenstand dieser biblischen Vorträge von Wichtigkeit. Diejenigen, welche vielleicht geneigt sind, meinen Titel als eine Hyperbel oder gar als eine Art von Aushängeschild anzusehen, verweise ich fürs Erste auf meine auf Thatsachen ruhende Darstellung, wer dadurch nicht überzeugt wird, dessen Gegenbeweis werde ich erwarten. Die politische Bedeutung des Königs David für unsere Gegenwart ist ein Januskopf, der mit doppeltem Gesicht zur Linken und zur Rechten schaut und ich verspräche mir für das Gemeinwohl eine große Förderung, wenn die Linken sowohl wie die Rechten sich entschließen wollten, diesem Januskopf mit recht festem Blick ins Angesicht zu schauen.

Die Führer der Demokratie behaupten jetzt, monarchisch gesinnt zu sein, sie finden aber mit dieser ihrer Behauptung immer noch wenig Glauben. Sie dürfen sich darüber nicht wundern oder beschweren, so lange sie ihre jetzige Behauptung mit ihrem früheren Verhalten nicht in Einklang gebracht, oder so lange sie ihre jetzige Behauptung bloß aufgestellt und nicht auch begründet haben. Die Geschichte Davids ist in dieser Beziehung eine lehrreiche Lection, sie stellt den Uebergang vom Freistaat zur Monarchie auf eine so normale und innerlich vermittelte Weise dar, daß kein Demokrat, dem es wahrhaft um das Gemeinwohl zu thun ist, hier Etwas vermissen wird. Wir sehen hier, daß das Königthum nothwendig wird, weil die naturwüchsige und ursprüngliche Einheit des Volksbewußtseins und Volkslebens ihre frühere Integrität eingebüßt hat; wir sehen ferner, daß das Königthum nicht als ein nothwendiges Uebel auftritt, sondern als eine neue ethische Potenz, welche jenen Mangel des Volkslebens innerlich ersetzt, ja diesen Mangel in die Vorstufe einer bisher nicht gekannten Erhebung des ganzen Volkswesens verwandelt. Ich bin der Meinung, daß ein richtiger Blick in die Gegenwart des gesamten politischen Lebens die Wahrnehmung machen wird, daß diejenige Integrität des Volkslebens, welche zum Gedeihen eines Freistaates nothwendig ist, jetzt nirgends mehr vorhanden ist. Auch diejenigen, welche bisher Amerika ausgenommen haben, werden wahrscheinlich durch die letzten Monate eines Anderen belehrt worden sein. Ohne Zweifel ist dies ein Verfall des Volkslebens, und man kann ihn beklagen, wie Samuel der alte Republikaner ihn seiner Zeit beklagt hat, aber den Blick soll man nicht davor verschließen, zumal wenn man sich berufen glaubt, auf der gegenwärtigen politischen Bahn zu handeln. Keinem Politiker der Gegenwart ist es zu erlassen, diesen allgemeinen Mangel ohne Rückhalt anzuerkennen und ein für allemal darauf Verzicht zu thun, einen Factor in Rechnung zu bringen, der nicht mehr existiert. Wäre diese negative Weisheit nur erst fest, es wäre schon viel gewonnen. Freilich in unserer Königsgeschichte wird die richtige Negation zur befriedigenden Position dadurch verwandelt, daß der König zuerst in sich das Volksthum neu gestaltet, um es demnächst in neuer Macht und Herrlichkeit auch nach außen zu entfalten. Freilich, sagt man, hätten wir nur den rechten König! Aber kommt denn der rechte König wie ein Meteorstein vom Himmel herab, oder ist er ein Produkt seiner selbst? Es ist eine thörichte Klage, daß es unserer Zeit, daß es namentlich Deutschland an großen Männern fehlt. Die Thatsache ist richtig, aber die Klage ist falsch. Daß große Männer nicht erstehen, ist jedesmal eine Gesamtschuld und Jeder hat daran sein Theil zu tragen, und sobald dies allgemein erkannt und gefühlt wird, dann wird es auch an dem großen Mann nicht fehlen, der nun auch das richtige Verständniß und den richtigen Organismus findet, um seine Größe wirksam zu machen. Die bloße Unzufriedenheit ist nur kritisch, nicht productiv; damit die Unzufriedenheit fruchtbar werde, muß sie eintauchen in den schöpferischen Urquell alles Lebens. Ist unser Volksleben matt und gebrochen, fehlen ihm die Kräfte zu einer freistaatlichen Verfassung und hat es auch nicht das Vermögen, einen rechten König zu erzeugen, nun so bleibt keine andere Hülfe übrig, als daß das Volksleben aus der göttlichen Quelle seines Ursprungs getauft werde. Gediegene und lebendige Frömmigkeit war die Urkraft, durch welche David ein siechendes und sterbendes Volkswesen zu einer höheren Stufe seines Daseins erhoben hat. Je weniger diejenigen, denen es um Herstellung unseres volksthümlichen Gemeinwesens so ernstlich zu thun ist, je weniger sie in der Gegenwart diese volksbewegende Kraft der Frömmigkeit schauen, desto dringender möchte ich sie einladen, den Mann nach dem Herzen Jehovas auf seinem königlichen Stuhl recht genau zu betrachten, ob es ihnen nicht einleuchten sollte, daß alles öffentliche Wirken die höchste Weihe und die nachhaltigste Kraft aus der frommen Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott empfängt.

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