Predigten – Friedrich Ahlfeld
Friedrich Ahlfeld, der zuletzt an der berühmten Nikolaikirche in Leipzig als Pastor diente, war bekannt für seine anschaulichen und geradlinigen Predigten, von denen hier über fünfundzwanzig für die wichtigsten Tage im Kirchenjahr, beginnend beim 1. Advent und endend am Ostersonntag, aufgeführt sind. Die Texte wurden insofern überarbeitet, dass die meisten Begriffe und Wörter der heute gültigen Rechtschreibung entsprechen.
Format: Paperback, eBook
Predigten.
ISBN: 9783849666644 (Paperback)
ISBN: 9783849661366 (eBook)
Auszug aus dem Text:
Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig
(1. Advent 1847.)
Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.
Text: Matth. 21, 1-9. Da sie nun nahe bei Jerusalem kamen gen Bethphage an den Ölberg, sandte Jesus seiner Jünger zween, und sprach zu ihnen: Gehet hin in den Flecken, der vor euch liegt, und bald werdet ihr eine Eselin finden angebunden, und ein Füllen bei ihr; löset sie aus und führet sie zu mir. Und so euch jemand etwas wird sagen, so sprechet: Der Herr bedarf ihrer; so bald wird er sie euch lassen. Das geschah aber alles, auf dass erfüllet würde, das gesagt ist durch den Propheten, der da spricht: Saget der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig, und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen der lastbaren Eselin. Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte; und brachten die Eselin und das Füllen, und legten ihre Kleider darauf und setzten ihn darauf. Aber viel Volks breitete die Kleider auf den Weg; die andern hieben Zweig von den Bäumen, und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das vor ging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohne Davids! Gelobet sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
Wir beginnen heute, in dem Herrn geliebte Gemeinde, das neue Kirchenjahr. Der Herr segne unsern Eingang in dasselbe und unsern Ausgang aus demselben. Was will es aber bedeuten: ein neues Kirchenjahr? Ach, Geliebte, seine Bedeutung ist der Kirche so aus dem Bewusstsein gekommen, dass sie kaum weiß, was ihr eigen Jahr ist. Man fragt wohl: Was hat das Jahr mit der Kirche, was hat die Kirche mit dem Jahre gemein? Siehe, das äußere Jahr bestimmt sich nach der Sonne. Ein Umlauf der Erde um sie macht ein Jahr aus. In solchem Jahre gibt es den lieblichen Frühling, den heißen Sommer, den fruchtreichen Herbst, und den schweren, stillen Winter. Jeder dieser Teile hat seinen bestimmten Character. – An dem Himmel der Kirche steht nun auch eine Sonne, sie heißt Jesus Christus, sie leuchtet Tag und Nacht immer und ewiglich. Und wie die Erde um die äußere Sonne läuft, so läuft die Kirche alljährlich um die Gnadensonne, so macht sie ihren Gang durch die heilige Geschichte des Heilandes. Ihr Frühling ist die liebe Weihnachts- und Epiphanienzeit, wo Christus als Mensch geboren, wo er in seiner Herrlichkeit als Sohn Gottes kräftiglich erwiesen wird. Ihr Glutsommer ist die Fastenzeit und die Leidenszeit Jesu Christi, wo die Erwartung seines Todes wie schwere, schwüle Tage auf ihr liegt, und wo endlich das Wetter des Todes, das lange schon heranzog, hereinbricht, und der Blitz aus der schwarzen Sündenwolke herniederfährt und den Gerechten tötet. Ihr Herbst, ihre Erntezeit, das sind die Tage, wo der Heilige Geist über die Jünger ausgegossen wird, und wo in den lieben langen Trinitatissonntagen aus den Gnadengaben des dreieinigen Gottes eine Frucht nach der andern in die Scheuer des Herzens gebracht wird. Es fallen in diese reiche Zeit die verschiedensten Stücke aus dem Leben des Herrn. Und wo er steht, und was er tut, und was er bittet, da ist allemal ein Feld, von dem der Gläubige schneiden und einführen kann. Endlich kommt auch der schwere und stille Winter. Vom 20. Sonntag nach Trinitatis ab beginnen die Evangelien, die da handeln von den letzten Dingen. An der Totenbahre des Jünglings zu Nain, an dem Totenbette von Jairi Töchterlein umwehet uns der Wintersturm des Lebens. Bei dem Könige, der seinem Sohne Hochzeit machte, der aber unter den Gästen einen fand, der kein hochzeitlich Kleid an hatte; bei dem Könige, der mit seinen Knechten rechnen wollte und einen schweren Schuldner ohne Buße, ohne neues Leben unter ihnen traf, durchschauen es uns wie scharfer Winterfrost. Es wird zum Leben eingeschrieben, es wird aus dem Leben ausgestrichen. Die Pflanzen, die der Vater gepflanzt hat, werden gesammelt in das Haus, das für sie gebaut ist vor der Welt Grundlegung: „Ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt.“ Die er nicht gepflanzt hat, werden ausgereutet – „Ich habe euch noch nie erkannt, weichet von mir ihr Übeltäter.“ Am letzten, am 27. Sonntage nach Trinitatis handeln alle die verschiedenen Evangelien, die in Gebrauch sind, vom Eingange in das Reich der Herrlichkeit, in das ewige Leben. Also am ersten Tage des Kirchenjahres wird der verkündigt, in dem wir Leben und die volle Genüge haben sollen. Am letzten Tage ist das von den Gläubigen erreicht, was das Ziel seiner ganzen Arbeit war. –
Dies Kirchenjahr ist ein rechtes Jahr, ist geordneter denn das bürgerliche Jahr. Es fängt an mit seinen Frühlingsboten und mit seinem Frühlinge, es schließt mit seinem Winter, mit dem Tode und Gerichte, aber auch mit dem Siege über Tod und Gericht. Das bürgerliche Jahr fängt an mit dem Winter, und an seinem Schlusse ist es wieder Winter. Es ist kein naturgemäßer Gang darin. – Liebe Christen, auch ihr wollt um die Gnadensonne laufen, auch ihr wollt euch von ihr erwärmen und erleuchten lassen. O so achtet heute auf den ersten Strahl, der auf das arme finstere und kalte Herz fällt. Ausgehen soll euch die Sonne der Gerechtigkeit und Heil unter dessen Flügeln. Der erste Frühlingsblick der Gnadensonne schließt sich um das Wort:
Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig.
Dein Herr zieht in die Welt herein
Sanftmütig, niedrig, arm und klein,
Stoß dich nicht an die Niedrigkeit,
Mach zum Empfang dein Herz bereit.
I.
Dein Herr zieht in die Welt herein
Sanftmütig, niedrig, arm und klein.
Es ist ein eigener Königseinzug, der uns in unserm Evangelium vorgestellt wird. Der Herr, der rechte König Israels, ziehet von Jericho her nach Jerusalem. Es ist aber keine Gestalt noch Schöne, die uns gefallen hätte. Das Tier, auf dem er einzieht, ist ein geborgtes. Er sendet zween seiner Jünger gen Bethphage am Ölberge, die sollen dort eine Eselin finden angebunden, und ein Füllen bei ihm; sie sollen sie ablösen und zu ihm führen. Und so zieht er ein, nicht auf prächtigem Königsross, sondern wie Zacharias geweissagt hatte: „Sage der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf dem Füllen der lastbaren Eselin.“ – Wenn sonst die Könige in ihre Stadt oder in ihre Burg zogen, wurden die Wege belegt mit köstlichem Tuch und Decken, dass sie darüber hin ritten. Hier breitet das arme Volk seine Kleider, die wenig gemein hatten mit Königsteppichen, auf den Weg. – Wenn sonst ein König einzog in seine Stadt, dann gingen oder ritten ihm seine Herolde voran. Diese trugen seine Farben, riefen seinen Namen aus und verkündigten seinen Ruhm und sein Königtum. Hier ziehen arme Kinder voran, sie ziehen mit ihm zur Stadt und zum Tempel hinein, und verkündigen seine Ehre. – Wer diesen Zug ansieht mit dem Auge eines irdischen Königs, oder wer ihn vergleichet mit einem Königszuge, wie er hier oder dort gewesen ist, der mag wohl lächeln und sagen: „O du armer König, deine Herrlichkeit ist geborgtes Gut und deine Königswürde ist nicht weit her!“ Und doch, wer zwischen den Zeilen lesen kann, wer die stillen und verborgenen Züge aus diesem Bilde herausfinden kann, muss sagen: „Es war ein wunderbarer Zug!“ Was war es denn, das diese Haufen an ihn zog? Was war es denn, was die Kinder um ihn scharte? Es war die in ihm verborgene Fülle der Gotteskraft. Es sieht es dem Magnet auch Niemand an, welche Kraft in ihm wohnet. Er sieht aus wie ein armes gewöhnliches Stück Eisen. Dennoch zieht er alles Eisen, das in seine Nähe kommt, an sich an. Und der Herr aus Gott geboren, auch ohne Gestalt und Schöne, zieht Alles an sich, was Gottes ist. Was war es doch, was jenen Mann bewog, auf das bloße Wort: „der Herr bedarf ihrer,“ sein Tier zu lassen? Es war das Gefühl, dass der Herr auch sein Herr, und Herr alles seines Eigentumes sei.
Ohne Land ohne Thron,
Ohne Zepter ohne Kron,
Ohne Purpur ohne Pracht,
Doch ein König aller Macht.
Und in dem Rufe: „Hosianna dem Sohne Davids! Gelobet sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“ – ist es doch, als ob sich der Himmel auftäte, und als ob die alte ewige Herrlichkeit auf ihn niederstiege, als ob er glänzte in der ewigen Krone. – Verschließe deine Augen nicht, dass du nicht gehörest zu denen, von denen geschrieben steht: „Sie haben Augen und sehen nicht, sie haben Ohren und hören nicht.“