Revolutionäre Theaterbibliothek

Revolutionäre Theaterbibliothek – Paul Scheerbart

In dieser Ausgabe finden sich Scheerbarts revolutionäre Theaterstücke die – genau wie seine Prosa – mit dem irdischen Dunstkreis nur sehr wenig zu tun haben. Enthalten sind z.B. “Rübezahl”, “Der Wetterfürst”, “Okurirasûna”, “Der Schornsteinfeger”, “Der Herr vom Jenseits” u.v.a.

Revolutionäre Theaterbibliothek

Revolutionäre Theaterbibliothek.

Format: eBook

Revolutionäre Theaterbibliothek

ISBN eBook: 9783849657017.

 

Auszug aus “Rübezahl”:

Dritter Auftritt

Rübezahl. Zwerge. Rüffel.

RÜBEZAHL zieht die Handschuhe an und setzt die Pelzmütze auf, während Rüffel langsam die Wendeltreppe herunterkommt. Lebt wohl, Kinder! Jetzt will ich mir mal die Oberfläche der Erde ansehen.

Die Zwerge verbeugen sich linkisch mit Kratzfuss.

RÜFFEL hellblonde Haare. Spitzbart. Braune Sammetjoppe. Gelbseidenes Halstuch. Dunkle Beinkleider. Nachlässig. Na? Soll schon wieder mal der Spektakel losgehen? Willst Dir wohl den Schaden ansehen – was?

RÜBEZAHL. Ja, lieber Rüffel! Gleich gehts los! Pass auf! Er hebt seinen Stock und horcht. Plötzlich furchtbares Gekrache und Getöse – lang andauernd und sehr heftig. Rübezahl steigt währenddem Knotenstock schwingend die Wendeltreppe hinan. Die Zwerge halten sich die Ohren zu und laufen links ab, wahrend Rüffel ganz erschrocken neben dem Divan dem fortgehenden Rübezahl nachblickt.

Vierter Auftritt

Rüffel. Quiwi.

QUIWI erscheint hinten links und bleibt nach zwei hastigen Schritten stehen. Ganz feine mattfarbige Schleiergewänder, sehr bleiche Gesichtsfarbe. Rüffel!

RÜFFEL erschreckend. Quiwi! Du siehst ja so bleich aus! Was fehlt Dir?

QUIWI sie spricht zuweilen sehr schnell – und dann wieder stockend – als wenn ihr der Atem ausginge – mit längeren und kürzeren Pausen – aber niemals stotternd. Ich fühle schon – das andere Leben in mir – ich werde nicht – mehr lange – bei – Euch – sein.

RÜFFEL. Jetzt schon? Aber Quiwi! Er geht zwei Schritte auf sie zu. Willst Du hinunter? In den Granit?

QUIWI. Ja, ich will wieder – für lange tausend – Jahre – hinunter – in den Granit – und da – zu Stein werden. Mir fällt es schon – so schwer – zu sprechen. Mir ist so – als würge man mich. – in den Granit – und da zu Stein werden. Mir fällt es schon – so schon – so schwer – zu sprechen. Mir ist so – als würge man mich.

RÜFFEL. Soll ich was tun für Dich? Sehr weich. Kann ich was für Dich tun?

QUIWI sehr schnell. Ja! Ich möchte Dich bitten, mir einen sehr grossen Gefallen zu tun. Kann ich mich – auf Dich – verlassen?

RÜFFEL. Ja! Sprich!

QUIWI zwei Schritte hastig nach vorn gehend, sodass sie hinter dem Divan ungefähr in der Mitte zwischen der linken Seitenkulisse und der Mitteltreppe steht. Rüffel setzt sich im Folgenden rechts auf einen Fellstuhl. Du weisst – ich muss tausend Jahre tief unten im Gestein leben. Aber Du weisst auch, dass ich da in der langen Zeit nicht tot bin – ich führe da nur ein anderes Leben, das vielleicht ähnlich ist – dem Traumleben der Menschen. Aber dasselbe ist es nicht. Es ist sehr viel mehr. Ich weiss da sehr wohl, wo ich bin – und – werde – mich sehr einsam – fühlen – in der langen Zeit. Und deshalb – ach – es eilt so – ich muss Dich bitten – nein – bleib da – setz Dich wieder! Rüffel, der aufgestanden war, setzt sich wieder. Und deshalb – weil ich mich da unten so einsam fühle, möchte ich, dass Ihr Alle unten in meiner Nähe wäret – ich möchte, dass Rübezahl mit seinem Felsenpalaste in die Tiefe sinkt – in die grossen Granitadern hinein – die den Mittelpunkt der Erde – umklammern.

RÜFFEL. Aber Rübezahl will doch die Menschen – nicht verlassen.

QUIWI. Und er hasst die Menschen.

RÜFFEL. Das tut er – weil sie ihm zu beschränkt sind.

QUIWI. Weil sie – sich nicht – ihm zu Liebe ihren Horizont erweitern lassen.

RÜFFEL. Ja – aber Rübezahl wird nicht aufhören, sie dafür zu hassen – und zu quälen Getöse von Erdbeben in der Ferne. Und man hört es nur zu oft, wie er sie quält!

QUIWI. Es ist – aber – doch – sehr einfach, ihn abzulenken; man muss ihm blos – den Menschenhass verekeln.

RÜFFEL aufspringend. Allerdings! Wenn du das fertig brächtest –

QUIWI. Menschen brauchen wir dazu. Ich werde ihm erzählen, dass er in neuer Form die Menschen zwiebeln muss. Und um nun die empfindlichste Art der Menschenzwiebelung kennen zu lernen, müsste er nichtswürdig veranlagte Menschen hier unten ausforschen. Und solche Menschen muss uns Raxer besorgen. Raxer versteht das. Verstehst Du, wie ichs meine?

RÜFFEL. Ja – ich soll den Raxer vorbereiten – nicht wahr?

QUIWI. Richtig, aber Du darfst ihm nicht sagen, dass ich dem Rübezahl den Menschenhass – abgewöhnen möchte.

RÜFFEL. Keineswegs! Aber Raxer geniesst Rübezahls Vertrauen – allerdings – er muss die Menschen besorgen – herbringen – und das kann er auch.

QUIWI. Fahr hinunter zu ihm – und mach Deine Sache recht gut; Rübezahl kommt bald zurück – mit ihm muss ich allein sprechen.

RÜFFEL. Ich werde dem Raxer auseinandersetzen, dass wir die Menschen noch viel empfindlicher treffen müssen – und einen Menschenhass heucheln! Oh – er soll ganz verblüfft sein. Ich gehe mit Dir zusammen! Steht auf, reicht ihr die Hand. Du weisst, mir ist Rübezahls Art auch nicht recht; er sollte seine agitatorischen Allüren ablegen. Was geht ihn das ganze Menschengeschlecht an? Wozu muss er immer seine kosmische Weisheit den Menschenköpfen aufdringen? Wozu? Er will ein geistiger Potentat sein – auch da oben auf der Rinde – und das gelingt ihm nicht – und daher ist er Menschenfeind. Das geistige apostolische Potentatentum hat aber doch sehr komische Seiten. Man sollte sich mehr um sich selber kümmern – und schliesslich nur bei sich selber bleiben, Er küsst ihre Hand und lässt sie los, geht nach hinten rechts hinter den Felsblock und sinkt im Folgenden langsam in die Tiefe. Auf Wiedersehen, liebe Quiwi! Bleibe fest! Du sollst nicht einsam unten sein.

QUIWI. Sei schnell!

….

 

 

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