Theater

Theater – Hermann Bahr

Ein Wiener Roman. Der in Linz geborene und in München verstorbene Bahr verfasste im Laufe seines Lebens über vierzig Theaterstücke, zirka zehn Romane, viele kritische Schriften sowie eine Autobiographie.

Theater

Theater.

Format: eBook.

Theater.

ISBN eBook: 9783849654801

 

 

Auszug aus dem Text:

Als ich das letzte Mal in München war, hörte ich, aus der Sezession nach dem Englischen Garten gehend, meinen Namen rufen. Ich sah mich um und konnte mich des Winkenden nicht gleich entsinnen. Erst als er in seiner langsamen, bedächtigen und pedantischen Art, den Zwicker in der Hand, sich näherte, erkannte ich, daß es Mohr war.

Ich hatte ganz vergessen, daß der jetzt in München lebt. Wir begrüßten uns. Es traf sich, daß er nichts zu tun hatte; so trug er sich an, mich zu begleiten, und ich war es froh.

Wir kennen uns lange. Als ich 1883 nach Berlin zu Wilhelm Scherer ins Seminar kam, war der Doktor Naurus Mohr als Assistent dort: er leitete unsere Verhandlungen, teilte die Themen aus und Scherer schien viel von ihm zu halten. Ich habe mich oft gefragt, was der freie, feine und so heitere Geist unseres edlen Lehrers denn wohl an diesem schweren und doktrinären Schüler finden mochte. Mohr war mir nämlich damals gar nicht sympathisch. Ich kann nicht recht sagen, was ich eigentlich gegen ihn hatte. Seinen Verstand, seinen Fleiß durfte ich nicht leugnen; auch war er von den besten Manieren, freilich umständlicher und peinlicher, als man es sonst unter Studenten ist. Ich wurde doch eine leise Warnung in mir nicht los. Ich mußte ihn achten, man konnte von ihm lernen, aber er war mir halt zu korrekt. Ich hätte was für eine tolle Laune, eine ungerechte Wallung, einen dummen Streich von ihm gegeben, da wir doch junge Leute waren. Er nahm auch in die Kneipe, ins Café immer den Dozenten mit und wenn wir plauderten, schien er eher einem Stenographen zu diktieren. Auch ging es mir auf die Nerven, daß er immer dieselben drei Gebärden hatte: wenn er sprach, hob er die rechte Hand auf, streckte den Zeigefinger aus und hielt ihn vor sich hin; dann nahm er den Zwicker ab und deckte die Augen mit der linken Hand zu; am Ende machte er eine kleine Pause, strich sich behutsam den langen, schwarzen Bart und schmunzelte ein wenig. Diesen langen, schwarzen, sehr gepflegten Bart konnte ich nicht leiden; er ließ sein Gesicht auf den ersten Blick beinahe bedeutend erscheinen, was es doch, mit den müden kleinen Augen, der kurzen und stumpfen Nase, den bedrückten Zügen gar nicht war. Auch wußte er immer alles besser und ließ es einen in seiner zu höflichen, fast unterwürfigen, doch leise ironischen Art fühlen. Er war mir eben zu gescheit und ich meinte schon damals, daß man nicht viel ist, wenn man nichts als gescheit ist. Ich wäre so gern einmal mit ihm grob geworden, aber man konnte nicht dazu kommen. So vermied ich ihn lieber, obwohl er mich zu suchen schien.

Ich ging dann fort, Scherer starb, und nun hörte ich lange nichts, bis er mir, es wird 1888 oder 89 gewesen sein, nach Paris schrieb, er hätte die akademische Karriere verlassen und sei nach Wien zurück, um hier eine Wochenschrift zu begründen. Den Prospekt und eine Liste der Autoren schickte er mir mit; es sollte eine Tribüne der jungen Leute werden. Ich hatte kein besonderes Vertrauen und wunderte mich, bald zu hören, wie schnell das junge Blatt gedieh. Man muß ihm das lassen: Maurus Mohr, wie er sich jetzt nannte, den Doktor ließ er weg, verstand das Geschäft. Indem er die Argumente der Jugend in einer klaren, deutlichen, ja beinahe mathematischen, höchst verständigen und eigentlich recht philiströsen Sprache vortrug, Bosheiten nicht scheute und doch auch wieder, wenn es klug war, nachzugeben wußte, konnte es ihm nicht fehlen. Ich muß ja sagen: mir gefiel auch sein Blatt nicht. Ich verkannte nicht, daß es mutig und witzig manchen falschen Enthusiasmus der leichten Wiener hernahm, nach dem Worte des Ibsen, das er gern zitierte: »Ist es wirklich groß, das Große?« Gewiß, er machte das sehr geschickt, man fürchtete seinen Spott, und ich mußte ja auch lachen, aber ich konnte nicht froh dabei werden. Ja, es geschah mir oft, daß ich törichte und lächerliche, aber in einer herzlichen Begeisterung taumelnde Menschen, die ich sonst wohl selbst verhöhnt hätte, gegen seinen bösen Verstand bei mir verteidigte. Wenn ich auch glaubte, daß man sie tadeln sollte, fühlte ich doch, daß man sie anders tadeln müßte. Ich beneidete ihn nicht; es schien mir doch ein recht trauriges Metier, wenn die Menschen wieder eine Woche gestrebt und geirrt hatten, am Samstag diese ganze Welt von Hoffnungen und Wünschen mit ein paar Witzen abzutun. Auch war mir der ganze Stil, was seine Verehrer sein »wahrhaft Lessingisches Deutsch« nannten, nicht angenehm; er hätte lieber gleich in algebraischen Zeichen schreiben sollen. Immer Antithesen und lauter Pointen – ich konnte bald keine Zeile mehr lesen. Agaçant, ich weiß kein deutsches Wort dafür, fand ich zuletzt alles von ihm. Doch darf ich nicht ungerecht sein und muß zugestehen, daß er seine Macht nicht mißbrauchte und, obwohl er jetzt anfing, zu den »großen Journalisten« zu gehören, sich nicht veränderte, sondern ein guter Kamerad blieb, so weit davon bei seinem glatten und ironischen Wesen überhaupt die Rede sein konnte. Der Ruhm hat ihn nicht verdorben. Bald durfte man nämlich in der Tat schon von seinem Ruhme sprechen, seit sein Stück »Das Kind« im Stadtheater so sehr gefallen hatte. Das war 1893 und nützte der ganzen Jugend, nun fingen die Leute doch an, uns ernst zu nehmen. Es war ein wirklicher Erfolg. Lustig, spöttisch, ohne doch unangenehm zu werden, ein wenig sentimental, ohne weinerlich zu sein, mit allen Kniffen der Routine, jeder Phrase des Tages huldigend, von einem verblüffenden und doch die Komtessen verschonenden Mute, ganz moderne Wiener Dinge in einer Form verhandelnd, die eigentlich in der Nähe die alte Schablone war, sah es wie ein Werk der Jugend aus, ohne doch den Geschmack der anderen zu beleidigen. Die Alten waren froh, endlich einmal einen Jungen loben zu können; die Jungen schwiegen dazu, wir profitierten ja alle. Auch fiel in dem Stücke die Bastante zum erstenmal auf. Sie war früher nur als Schönheit berühmt gewesen, nun wurde ihr Talent erst »entdeckt«. Ihrer zärtlichen und subtilen Poesie verdankte er viel. Sie wurden denn auch jetzt immer zusammen genannt. Bald hieß es sogar, sie hätten sich lieb, er wolle sich von seiner Frau, einer schüchternen und unscheinbaren Berlinerin, die man fast nie zu sehen bekam, scheiden lassen, und wie schon so geredet wird. Sein zweites Stück fiel ein halbes Jahr später durch. Die Kenner lobten manche feine und kuriose Szene, die es aus alten Chroniken zog, aber man mußte wohl Germanist sein, um es zu würdigen. Das Publikum wurde ungeduldig, lärmte und pfiff. Mohr nahm das tragischer, als sonst Autoren pflegen. Man sah ihn nicht mehr, in der nächsten Nummer der Wochenschrift fehlte sein Artikel, und nach vierzehn Tagen hatten sie einen neuen Redakteur. Es hieß, er sei mit seiner Frau und dem Kinde nach München verzogen, um sich dort zu habilitieren. Man wunderte sich, eine Zeit wurde noch von ihm gesprochen, bald war er vergessen.

Nun gingen wir im Englischen Garten, fragend und erzählend, unserer Berliner Zeit gedenkend, die Wiener Freunde betrachtend. Ich war angenehm überrascht: er schien milder geworden, er war nicht mehr so definitiv, er dozierte nicht mehr. Das ironische Lächeln hatte er freilich noch immer, das mich in Berlin schon ärgerte, aber es war jetzt trauriger; gütig konnte man es beinahe nennen. Selten hob er den Finger noch in jener demonstrativen Art, da mußte er schon sehr lebhaft werden; meistens hielt er jetzt den Zwicker in der rechten Hand, um mit der anderen in seiner Weise die scheuen und empfindlichen Augen zu bedecken. Ich bildete mir sogar ein, daß seine sonst so schrille, schneidende Stimme trüb und stumpf geworden war. Ein Flor schien über sein ganzes Wesen gezogen. Was mochte mit ihm geschehen sein? Er beklagte sich nicht; er schien zufrieden, aus dem Lärm des Journalismus weg zu sein, und lobte sich das stille Leben des Gelehrten. So resigniert klang alles, was er sprach. Das befremdete mich. Er war doch kaum sechsunddreißig Jahre und es lag so gar nicht in seiner Natur. Was mochte da geschehen sein? Aber ich hütete mich, zu fragen.

Ich blieb zehn Tage in München. Die paar Freunde, die ich dort habe, waren schon auf dem Lande. Auch er war allein; nur jeden Sonntag fuhr er nach Tegernsee zu seiner Frau und dem Knaben. So gab es sich, daß wir gern nach der Arbeit, wenn er von der Bibliothek, ich aus der Sezession kam, spazieren gingen, von unseren Gedanken, Plänen und Beschäftigungen redend, meistens über das Buch, an dem er jetzt schrieb, oder auch, wenn ich gerade was Besonderes gesehen hatte, über Malerei, aber da konnten wir uns nicht verständigen. Einst hatte er für die »Moderne« geschwärmt, jetzt wollte er nicht mehr mit. Er billigte die Naturalisten, aber diese neuesten Sachen mochte er nicht gelten lassen. Da konnte er böse werden. Wenn mir nur einmal jemand sagen könnte, was man sich denn dabei eigentlich denken soll, fragte er mich oft. Ich antwortete, daß man doch der Kunst mit dem bloßen Verstande nicht beikommen kann; die vagen Werke dieser unverständlichen und nur so lallenden Künstler hätten doch die Macht, Stimmungen zu gebieten, die mir teuer sind, weil sie mich das Leben stärker spüren lassen. Aber ich konnte ihn nicht bekehren. Er sagte höchstens zuletzt: kann sein, daß Sie recht haben – ich bin jetzt schon so weit, daß ich in der Kunst überhaupt gar nichts mehr weiß. So stritten wir oft. Lieber sprach er von seinem Buche über Lichtenberg. Er wurde nicht müde, das klare und reine Wesen dieses nur vom Verstande lebenden Mannes zu loben.

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