Vom Baum der Erkenntnis

Vom Baum der Erkenntnis – Karl Gutzkow

Dieser Band beinhaltet Gutzkows gesammelte Denk- und Sinnsprüche, eingeteilt in Kapitel wie: “Gott”, “Weltlauf”, “Das innere Gesetz”, “Kampf und Bewährung”, “Die Bildung”,  “Die Zeit” u.a..

Vom Baum der Erkenntnis

Vom Baum der Erkenntnis.

Format: eBook

Vom Baum der Erkenntnis.

ISBN eBook: 9783849655655.

 

 

Auszug aus “Gott”:

Nie wirst du in die leere Luft verzweifelnde Gebete entsenden und Bitten an das allwaltende Geschick richten um Abwendungen und glückliche Ausgänge, wenn du dich früh gewöhnt hast, die natürliche Folgerichtigkeit aller deiner Handlungen als eines der ersten Attribute der Gottheit, ja als die waltende Gottheit selbst zu erkennen.

Die Liebe Gottes dürfen wir doch wol besonders darin finden, daß sie uns wenn nicht befiehlt, doch verzeiht, wenn wir nach den Gesetzen der Natur leben.

Daß man beten soll, ist vorzugsweise Dem gesagt, der nicht weiß, wie er es anzufangen hat, sich irgendwie gegenständlich zu werden.

Suche dich auszuzeichnen und hervorzutreten mit allen Regungen und Schwingungen deiner Seele, nur nicht mit denen, die dich gen Himmel tragen sollen.

Die Disharmonie der Welt liegt nur in unserer Anschauung.

Mit dem Verhalten zur Verschiedenartigkeit der Religionen ist es leider wie mit dem Familiensinn, der seine eigenen Kinder wunderbar schön findet, während sie andern nicht selten häßlich erscheinen. Lehren und auseinandersetzen läßt sich da nichts. Jeder hat seine eigene, ihm nur allein verständliche Stimmung.

Uebereinstimmung verlange in der Liebe, nicht im Glauben.

 

Erst, wenn du dich kleiner als das Atom eines Sonnenstäubchens fühlst, ahnst du Gott. Am wenigsten, wenn du dich als sogenannten Halbgott fühlst.

Gebundenheit ist die Wurzel der Religion, Hingebung ihre Blüthe.

Mit den zunehmenden Jahren verwandelt sich unser religiöser Glaube mehr und mehr in Fatalismus. Nicht in jenen blindgläubigen, dem Zufall sich anheimgebenden, sondern in die Ueberzeugung von einem im Menschenleben waltenden Gesetz der Stetigkeit. Wer auf sein verflossenes Dasein zurückblickt, wird eine Hand entdecken, die in das Chaos unserer Erlebnisse Harmonie bringen wollte und schon mannigfach gebracht hat. Jede Ausschreitung fand ihre Strafe, jede Ungebühr rächte sich, auf Nacht folgte Licht, auf allzu reiche Freude wie auf die gehobene Welle die sich senkende des Leids. Das Erkennen dieser Regelmäßigkeit in den Ausgleichungen, das Nachfühlen des Sichwiederholens der stetigen und symmetrischen Gesetze unseres Lebens wird dann zuletzt die einzige Richtschnur unseres Handelns, mäßigt unsere Wünsche, zügelt unsere Leidenschaften, stärkt und belebt unsere Hoffnung.

Der Astronom Laplace wollte unter seinen Sternen nur Mathematik, nicht Gott gefunden haben. Als wenn nicht sogar unser Glaube an die Richtigkeit der Elemente des Euklid nur ein Offenbarungsglaube wäre! –

Eigentlich sollte ich mich schämen, Gott mit meiner Person zu behelligen. Aber seltsam, ich fühle, daß sich Gott mit mir beschäftigt.

Zu den Beweisen für die Unsterblichkeit der Seele rechne doch nicht den, daß es eine jenseitige Welt geben müßte, wo die Ungerechtigkeiten der diesseitigen ausgeglichen würden. An dieser Seite der irdischen Unvollkommenheit trägt doch Gott keine Schuld.

Ich weiß, warum du orthodox bist und mit den Frömmlern gehst! Dir fehlt die wahre Bildung. Da kennst du deinen Schaden, aber deine Eitelkeit kann die Beschämung nicht ertragen, unbedeutend zu erscheinen. So tritt die Kirche und ihr fanatisch behauptetes Recht für deine Einfalt ein und entlastet dich deiner Unwissenheit – ! Und zum Ueberfluß kannst du bei solcher Armseligkeit, wie einmal unsere politisch-sociale Lage ist, statt zu dienen, noch herrschen und auftrumpfen. Indessen Letzteres wol nur noch auf eine gemessene Frist.

Ein trauriger Anblick – die Sonntagsleere einer Kirche und ein Brunnen, der kein Wasser mehr gibt – !

Wo eine Kirche nur zu den geduldeten gehört, wie die protestantische in Italien, die katholische in Rußland, ist es für die ihr Angehörigen einfach malhonett, ohne äußere Veranlassung bei ihren gottesdienstlichen Versammlungen zu fehlen.

Es gibt ein berechtigtes Zweifeln, woraus sich das Größte erschafft. Es gibt aber auch ein Zweifeln, mit dessen ewig zweckloser, immer nur reflektirender Ohnmacht du dir deine sittliche Kraft verringerst.

Wenn uns der Zweifel beschleicht, daß unsere Ahnungen über die Natur und Größe Gottes nur Täuschungen gewesen, so erhebe uns der Gedanke, daß es doch sicher keine Täuschungen waren über die unergründliche Tiefe des Menschengeistes.

Ueber die Priester sollen wir fühlen wie Voltaire: über die Religion selbst wie Fénélon.

Die Meinungen, die man dir als Religion aufdrängt, abzulehnen, das eben sei deine Religion.

Schon seit Jahren ein geliebtes Wesen im Schooße der Erde zu wissen, das am Gang unseres Lebens, aber auch am allgemeinen Gang der Menschheit Antheil genommen und an jedem die Welt bewegenden Ereigniß wie mit allen Fasern des Herzens hing – Gedanken, die sich an diesen Schmerz, an diese Rührung anknüpfen, sprechen mehr für die Unsterblichkeit der Seele, als Beweise der Philosophie. Nicht das, daß uns da noch die geliebte Gestalt, gerade so wie sie gewesen, in derselben Frische der Erscheinung, oft noch wie gegenwärtig unter uns zu wandeln scheint, daß sie Kinder, die sie verlassen mußte, Eltern, denen sie durch ihr Scheiden das Herz brach, wie ein schützender Genius umschwebt (das Ohr des Geistes hört das sanfte Wehen ihres Flügelschlages, aber die Einbildungskraft und die Sehnsucht können sich täuschen), nein, ihr Einmalgelebthaben, ihr Miteingegriffenhaben in die Welt, das hat der Erde, die sie verlassen mußten, unzerstörbare Spuren eingegraben, wie sich Pflanzen im noch flüssigen Gestein der Erdbildung abdrückten. Diesen Merkzeichen einer Vergangenheit, die in unsern Todten ruht, begegnen wir noch überall: wir, die Ueberlebenden, müssen, was uns auch begegnet, immer wieder an sie anknüpfen und – blickten wir nur in die alten vergilbten Briefe, die uns von eines Todten Hand zurückgeblieben sind. Wie frisch ist ihre Sprache, wie unmittelbar gegenwärtig die Laune, die darin lacht, wie unsterblich ihre scherzende glückliche Sorglosigkeit! Wie sich nun freilich das, was in uns so sichergestaltet fortlebt, auch im Allgemeinen erhalten und dem Todten bewußt geblieben sein soll, wissen wir nicht. Das aber dürfen wir zu wissen glauben, daß für die Lebenden nichts in der Zeit geschehen kann, das nicht auch irgendwie noch den Todten gehört. Oder sollte Christus nie erfahren haben, was daraus entstanden, daß er am Kreuz gelitten hat – ?

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