Auf Reisen, Band 1 – Heinrich Laube
Heinrich Laubes Reisenovellen gehören zum Besten, was dieses Genre Ende des 19. Jahrhunderts auszeichnete. Der 1806 in Sprottau geborene Schriftsteller war auch Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung.
Format: eBook
Auf Reisen, Band 1.
ISBN eBook: 9783849656287.
Auszug aus dem Text:
Es war ein schöner Sommertag, und ich saß unter dem Schatten eines Birnbaumes am Weiher, und sah den Schwänen zu. Schwäne sind grobe Hautrelief-Gedanken, von weitem viel hübscher als in der Nähe. Sie waren gerade weit genug vor mir unter einer kleinen, gewölbten Brücke, und tändelten und klapperten mit den Schnäbeln um einander her. Wenn ich aber Schwäne sehe, so denke ich an den Süden, und wenn ich an den Süden denke, so denke ich an’s Glück und an’s Reisen, denn das Reisen selbst ist ein Glück, und nur auf der Reise kann man einmal plötzlich das Glück finden. Das Glück ist nämlich jener einzige Vers, aus welchem der liebe 6 Gott die ganze Erde gemacht hat, und der flattert herum auf der Oberfläche hierhin und dorthin, und wer ihn einmal erhascht, dem stehn alle Seligkeiten der Erde zu Gebote. Da ich nun aber niemals glauben kann, daß ein so schöner Gedanke, wie der Gedanke unsrer ganzen Erde, sich anderswo aufhalten könne, als wo die Natur fortwährend empfängt und gebiert, nämlich im Süden, so sehn’ ich mich von Jugend auf nach dem Süden. Oft mit großen Schmerzen. Es hat Zeiten gegeben, wo mich keine blauen oder schwarzen Augen ausschließlich beschäftigten; in solchen Zeiten gaben mir die Namen Italien, Bosporus, Libanon, Fez und Marokko, Biledulgerid, zu Teutsch: Dattelland, einen Stich in’s Herz. Dattelland! wo diese üppige Frucht wächst wie bei uns die ordinaire Kartoffel, ist der Name nicht verführerisch süß! Und in Fez, der soll der ganze Livius zu finden sein, weil ein Bischof oder Erzbischof aus Byzanz sich dahin begeben in Begleitung des Livius. Ich habe nun zwar meine schwachen Stunden, wo ich mich nicht so leidenschaftlich nach dem totalen Livius sehne, aber die geheimnißvollen berberischen Mädchen, und die vortrefflich trabenden berberischen Pferde – wie locken sie mit ihren langen Schleiern, den hochfliegenden Schweifen und Mähnen, dem üppigen Wiehern, wie locken sie einen armen Deutschen, welcher Schöpsenfleisch und weiße Rüben gegessen hat, und am Weiher sitzt, wo die Schwäne ihr verführerisch südliches Spiel treiben.
Ach, und das Hauptwort verschweig’ ich noch immer, denn dann ist es gleich mit dem Schreiben aus, und ich muß das Fenster aufmachen, Luft schöpfen und tiefe Seufzer hinausschicken in die Luft. Dann erfaßt mich eine krankhafte Sehnsucht.
Warst du, jugendlicher Leser, niemals im Theater, wenn Mozarts Don Juan aufgeführt wurde, hast du nie den Cid gelesen, sind dir nie die Namen Donna Anna, Guadiana und Cordova geheimnißvoll über die Lippen geflossen? Hast du nie einen zauberischen Schauer empfunden, wenn ein Mädchen mit ihren weichen Lippen vom Schatten am Guadalquivir sprach?
»Aber in Spanien!« – Ja Spanien, das ist das Zauberwort des Südens, wornach meine Seele lechzt von früher Jugend auf. Im alten Maurenreiche Granada unter den vornehmen Granatbäumen zu liegen, auf dem Rücken zu liegen, und die Zegris und Abencerragen vorüber reiten zu hören, am Thore des Alhambra zu stehn gegen Abend, wenn der Maurenkönig herausreitet auf dem ächten Raçepferde mit stahlschlankem Fuß und arabisch geistreichem Stutenkopfe. Der König sieht ernsthaft, weise und schön aus wie der Koran, und neben ihm reitet seine goldne Tochter mit der überirdischen Schönheit, und sie läßt leise eine Rose bei dir herabgleiten, und in der weichen, maurischen Nacht, wo alle Sterne heiße Liebesverse herunterhauchen, wo die Springbrunnen schwellende Küsse brüseln, in solcher Romanzen-Nacht giebst du der goldnen Tochter in den mysteriösen Gärten des Alhambra die Rose wieder, die Rose von Damascus. – –
Da kam schweißtriefend der Breslauer Briefträger über die Brücke, gab mir einen Brief, verscheuchte die Schwäne, verlangte zwei und einen halben Silbergroschen, und sagte, der Sommer sei doch eine schlechte Jahreszeit von wegen der Hitze.
Das Postzeichen war nicht Spanien, sondern Leipzig, und ein Freund schrieb mir, ob ich denn nicht bald käme, die ganze scharmante Weltgeschichte ginge vorüber, und wir würden am Ende gar nichts mehr sehen, vor einigen Tagen – es war im Juni 1831 – sei erst wieder eine ganz erkleckliche Revolte in Paris gewesen. Statt bei solchen Dingen gegenwärtig zu sein, säßen wir in Teutschland, und ich wohnte oben ein an der polnischen Grenze, wo die Bauern kaum noch teutsch verstünden; ob ich mich denn nicht schämte!
Ich lief hastig aus mein Zimmer, und schrieb dem Alphons, ich schämte mich. Dann packte ich meinen Koffer und war nur unschlüssig, ob ich meine unsterblichen Manuscripte mit den Weltverbesserungsgedanken auch einpacken sollte. Denn die Welt ging also im Galopp, daß ich mich immer wunderte, wie man noch Bücher schreiben könne, und während ich selbst welche schrieb, dachte ich immer: das kommt ja doch Alles zu spät, deine Reformgedanken werden nicht so schnell gedruckt werden können, als die Reform eintritt, es wird moutarde après diner sein. Aber der kleine Paul, mein neunjähriger, leider auch schon revolutionairer Stubenbursche, gab den Ausschlag, und sagte, es sei ja Schade um die viele Philosophie, welche ich geschrieben hätte, ich sollte sie doch mitnehmen.
Und am andern Tage nahm ich Abschied, auch von meinen kleinen Litthauer, der mich so oft getragen, von der Bibliothek, namentlich von der schönen Gräfin Agnes in den Memoiren des Freiherrn von S—a, von den Schwänen an den Trauerweiden am Weiher. Sie hatten mich immer an die Weiden von Babylon erinnert, an denen die Juden, das unglücklichste Volk der Erde, ihre Harfen aufhingen, unter denen sie weinten. Und als man mich fragte, wohin ich denn eigentlich reisen wollte, so sagte ich »nach Babylon zu den Harfen,« denn in jenen Harfen hängen noch große, mark- und welterschütternde Lieder, welche nie ein Mund ausgesprochen hat, ob ihrer zerschmetternden Kühnheit und Traurigkeit. Ich habe Muth, und will sie holen, um den Juden wenigstens ihr Testament zu retten.
Das Christenthum geht bereits zu Grunde, und dann verschwinden auch die letzten Juden, denn sie haben zu Jerusalem einen fürchterlichen Schwur gethan, die Christusreligion bis auf den Tod und bis an’s Ende der Welt zu verfolgen; und nun können sie nicht eher sterben, als bis der Schwur erfüllt ist. Die Juden sterben nur mit den Christen. Die armen Juden! Ihre Erlösung ist nahe. Am letzten Rachegedanken Jehovah’s müssen sie Jahrhunderte lang sterben, und auch den Jehovah müssen sie jämmerlich untergehen sehen, die Juden und die christlichen Juden, d. h. unsre Dogmatiker. Er stirbt nicht in einem muthigen, wilden Kampfe, der alte Jehovah mit dem Zorn und den Höllenstrafen stirbt an der Auszehrung, bleich, abgemagert und jämmerlich, an der Gleichgültigkeit, dem hohlwangigen Indifferentismus.
Darum will ich eiligst noch gen Babylon reisen, und retten, was zu retten ist.
So schied ich, versprach dem Paul, ihm Wasser aus dem Euphrat mitzubringen gegen die Sommersprossen seiner Schwester, und fuhr neben der Oder hin die kurze Strecke nach Breslau hinein.
Der Süden, der Livius in Fez, Spanien, ach Spanien, das purpurgoldne Paris, Babylon, Leipzig, Alles das trieb sich bunt in meinem Herzen um, nur eins wußte ich: das Glück wollt’ ich suchen, und zu dem Ende mir einen Platz auf der Schnellpost bestellen.
Der Wagen rollte am Dome vorbei, das ist ein eignes katholisches Stadtviertel, menschenleer und still im Verhältniß zum übrigen wogenden und fluthenden Breslau. Hier steht immer eine große Kirche nur funfzig Schritt von der anderen, gekreuzigte Christusbilder verkümmern den Sonnenschein; purpurrothe Meßner kriechen wie gekochte Krebse an den Mauern hin, die kleinen blauschwarzen Kirchenfenster blinzeln wie falsche tückische Augen, die christliche Verzweiflung ist rings verbreitet. Wenn ich nicht sehr frischer Laune war, so wagte ich mich in Breslau niemals hinaus auf den Dom; es fiel mir immer ein Verbrechergefühl auf die Brust, wenn ich diese steinerne Betrübniß und Zerknirschung sah, es war mir, als hause die Pest in diesem Stadtviertel. Ein eintöniger Sonnennachmittag auf diesen Domplätzen kann einen verstockten Sünder mürbe machen, er wird unwillkührlich an ein langsames, rettungsloses Sterben erinnert. Ein gutes Christenthum war von jeher ein mit leinwandnen Blumen ausgeputzter Kirchhof; ich kam von Gottes gesundem Lande und war nicht daran gewöhnt: es schüttelte mich wie ein afrikanischer Wüstenschauer.
Aber hundert Schritt weiter umfängt Einen das rauschende Breslauer Straßenleben, man wirft den Alp von der Brust. Ich sprang vom Wagen und lief auf die Promenade, ich wollte Alles noch einmal sehen, ich wollte Abschied nehmen von all’ den Plätzen und Aussichten, wo ich mich gefreut oder gelangweilt hatte. Denn Alles, was man verliert, ist sehr schön.
….