Auf Reisen, Band 2

Auf Reisen, Band 2 – Heinrich Laube

Heinrich Laubes Reisenovellen gehören zum Besten, was dieses Genre Ende des 19. Jahrhunderts auszeichnete. Der 1806 in Sprottau geborene Schriftsteller war auch Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung.

Auf Reisen, Band 2

Auf Reisen, Band 2.

Format: eBook

Auf Reisen, Band 2.

ISBN eBook: 9783849656294.

 

Auszug aus dem Text:

 

Ein Land wie Oesterreich ist nur halb erklärt ohne seine einzelnen Persönlichkeiten – die Persönlichkeiten sind Witterung dieses Staates, Regen oder Sonnenschein.

Nur wenn hiervon die Rede ist, so kommen wir stets wieder als auf den Mittelpunkt, auf den schon früher genannten Fürsten Metternich zurück.

Man hat gesagt, was mich berechtige, diesem Manne die größten historischen Motive unterzulegen; was mich zu der Meinung nöthige, er sei nicht bloß das Produkt einer Position, sondern ein Schöpfer dieser Stellung selbst.

Bald nach dem Erscheinen jenes beregten Artikels hätte ich keine andere Antwort geben können, als folgende: Hinter der politischen Leitung eines Staates, besonders nach außen hin, über der ganzen historischen Figur eines Staatsmannes, die mehrere Jahrzehende unter den wechselvollen und bedeudendsten Vorgängen aufgewachsen ist, bildet sich für den aufmerksamen und ein wenig poetischen Beschauer eine Physiognomie, welche die eine Seite der laufenden Geschichte wie im Mikrokosmus aufgeprägt enthält. Ein Irrthum hierbei, wenn die Phantasie zu sanguinisch ist, bedeutet und stört wenig: was dem Manne fehlt, ergänzt die Stellung; auch der Leiter einer historischen Richtung wird von dieser getragen, verändert, gebildet; solch eine Richtung wird Atmosphäre, der historische Gedanke erzieht, täuscht und gestaltet wie die Liebe. Geschichte gleicht darin mineralischen Quellen, welche alle Stoffe, die in lange Berührung mit ihnen treten, gleichförmig überkrusten; – aus gleichen Gründen sind Umgangs-Ausdrucksformen, ja sogar Uniformen von so großer Wichtigkeit, um eine gleichmäßig wirkende Macht zu erhalten

Nach historischer Combination mußte Fürst Metternich eine größte historische Figur und eine gedankenreiche historische Person sein, auch wenn ein Gegensatz bekannt gewesen wäre.

Die Geschichte hat Wunder und Heilmittel in derselben Hand: wenn Zufälligkeiten eingreifen und wichtig werden, so bemächtigt sie sich ihrer auf eine solche Weise, daß sie ihren Charakter, oder hierbei ihre Charakterlosigkeit verlieren, sie ist immer die stärkere Natur, welcher die geringere einverleibt wird, wie wir dieß bei Ehegatten sehen: die mächtigere Individualität geht auf das Kind über, wenigstens auf den Körper.

Solch Gegentheiliges war aber in keiner Weise vom Fürsten Metternich bekannt, und die Kombinationen bleiben ganz ungehindert; – seitdem hab’ ich nun auch durch Leute, welche mit der Person des Fürsten in nähere Berührung gekommen sind, vollkommene Bestätigung meiner theoretischen Definition dieses Staatsmannes erhalten, und könnte dieß mit mannichfachen Details belegen, wenn es nothwendig und angemessen wäre.

Fürst Metternich ist wirklich der deutsche Kavalier, welcher sich, bewußt und entschlossen, der revolutionären Richtung Europa’s entgegengestellt hat. Faseleien sind die Gerüchte, als hätte er irgendwie und wo mit Napoleon harmonirt, weil dieser dem deutschen Grafen geschmeichelt habe – Metternich ist Napoleons Todfeind gewesen von Marengo bis Waterloo.

Es versteht sich von selbst, daß die Todfeindschaft eines Staatsmannes allerlei Höflichkeit zuläßt.

Nach Napoleons Sturze hat die Verlassenschaft des Diktators, der Liberalismus und der Orient seine größte Aufmerksamkeit in Anspruch genommen.

Was wir jetzt vergessen haben, ist, daß der Liberalismus in den Jahren 23 – 27 für die Regierungen am Bedrohlichsten war: die Kongresse waren vorüber, die Spanier durch Frankreich Ferdinand VII. wieder unterworfen, ein Staatssystem war festgestellt, was den Ansichten der Revolutionssöhne nicht zustimmte, der Liberalismus war damals in voller Kraft unentweihter Jugend, viel mehr mit Staatskapacitäten ausgerüstet, als später, der akute Zustand von Anno 30 mag in Wahrheit nicht so schwierig gewesen sein.

Von diesem Standpunkt aus betrachte man des Fürsten Metternich Wirksamkeit in den zwanziger Jahren.

Sein Verhältniß zu Gentz ist ferner ein sehr verschieden angesehenes und besprochenes: die Leute fühlen sich immer erleichtert, wenn sie für ungewöhnliche Erscheinungen recht nahe liegende, triviale Erklärungsweisen aufraffen können, die eigne Schwäche und Unbedeutendheit fühlt sich beruhigt, wenn sie kein Geheimniß, kein Unerklärtes im Weltleben anzunehmen braucht. Was war bequemer, als die geistige Welt Metternich’s durch einen Hintermann zu erklären, für dessen Posten Gentz so passend war. Von diesem lag es schwarz und weiß in Schriften zu Tage, daß er die in Rede kommenden Staats-Interessen geistig beherrsche, dieß war den Leuten hinreichend, welche sich von einer noch anderen, inneren Welt gedrückt fühlten, so lange sie nicht den Vorder- und Nachsatz derselben gedruckt vor sich hatten.

Ganz anders war in Wirklichkeit das Verhältniß dieser beiden Erscheinungen. Es ist bekannt, daß Gentz, in Breslau geboren, in Berlin aufwachsend, in Königsberg studirend und später wieder in Berlin lebend, langsam und unsicher zu einer Position kam. Von Hause aus, wunderlich genug, allem Anscheine nach, sehr dürftig begabt, entwickelte er, als sich die inneren Kräfte entfalteten, in gleicher Zeit die glänzendsten äußeren Fähigkeiten, ungeregelt, verschwenderisch zu leben. Solch’ eine gewisse Ungesetztheit ist ihm treu geblieben, und man möge ermessen, wie bedenklich sie just an seiner späteren Stellung war, wo er ein Hauptrepräsentant des gesetzten, geordneten Conservatismus wurde. Als er seine anfängliche Schwärmerei für die Revolution durch die Erscheinungen in Frankreich, durch die Reden Burke’s in England zusammenstürzen und einem Streben nach zweckmäßiger Erhaltung weichen sah, als er in England von Pitt wie ein verbündeter Feldherr empfangen, und wie ein großer Alliirter vom Kontinente entlassen war, als er sich in der neuen Position zu Wien als kaiserlicher Rath wieder fand, da ist es ihm dem Fürsten gegenüber keinen Augenblick entgangen, daß sie nicht zwei Streiter seien, aus ein und demselben Fleisch und Blute.

Charakter, Axiome und Geschichte der Ansichten, Mittel und Wege, Zweck und Zukunft sind verschieden gewesen und verschieden geblieben. Mochten sie bei den drängenden Aeußerlichkeiten in den jederzeitigen Maaßregeln oft zusammentreffen, es ist ein Zeichen historiographischer Armuth, sie sonst miteinander zu identificiren.

Der Konservatismus des Ritter von Gentz war eine Ergänzung im Drange der Umstände, war eine Spekulation, die nur einem politischen und historischen Verhältnisse gemäß nach Oesterreich kam; der Konservatismus des Fürsten Metternich ist eine 10 Position, welche mit der österreichischen Existenz bis ins innerste Leben verwachsen ist, welche, ganz ungleich jener modernern Form, keine Schattirungen, sondern wie eine antike Figur nur Leben oder Tod kennt.

Diese Ansicht wird selbst durch manches Detail aus dem Privatleben und der Arbeitsweise dieser Staatsmänner bestätigt: es ist bekannt, daß Fürst Metternich, der alles Wichtige selbst arbeitet, schnell, rasch, scheinbar unvorbereitet, fast zu jeder Tageszeit, wo der Kourier die Anregung bringt, an das Geschäft geht; die Verhältnisse, Beziehungen, Perspektiven, das Hoffens- und Fürchtenswerthe liegen fest, gegliedert, zweifellos in seiner Anschauung der Zustände, jeder neue Fall findet alles Frühere an sicherer Stelle. Es soll nicht leicht eine Kanzlei geben, welche so leicht und rasch erledigt, als die des Fürsten Metternich.

Hierher gehört die Bemerkung, daß der Fürst über sprachlichen Ausdruck, feine, gebildete Form, eine überaus reife, in Goethescher Kunst gestählte Macht und Ansicht besitzt.

Abgesehen von diesem Letzteren, – denn die Sprache beherrschte auch Gentz mit leidenschaftlicher Kraft und Tüchtigkeit, – war dessen Produciren von ganz anderer Art. Seine Forderungen bewegten sich in ungemessenen, welthistorischen Kreisen, er stand nicht inmitten eines unabänderlichen Conservatismus sondern nur auf der Peripherie desselben, sein System war schwerer und verwobener, Möglichkeiten und weite Zukunft bedrängten ihn, – er ging langsam, schwer an die Aufgaben, brauchte Zeit zur Arbeit, verwarf sie öfter, Charakter und Stellung waren mehr von Sanguinität durchströmt, die Geburt seiner Arbeiten war oft, besonders in der letzten Zeit schmerzhaft und peinigend.

Wer in dem Allen noch keine Veranlassung findet, diese historischen Figuren auf keine Weise in Eins zu schmelzen, der möge sich des Ritters von Gentz erinnern, als das Wetter der Julirevolution krachend einschlug. Er war wie Talleyrand 1815, da Napoleon von Elba zurückkam, zerschmettert und hielt Alles für verloren.

Ganz anders Fürst Metternich, der die zwanziger Jahre für so gefährlich erachtete.

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