Ausgewählte Briefe, Band 2

Ausgewählte Briefe, Band 2 – Sophronius Eusebius Hieronmyus

Eusebius Sophronius Hieronymus war ein lateinischer Priester, Beichtvater, Theologe und Historiker, der allgemein als Heiliger Hieronymus bekannt ist. Die Liste seiner Schriften ist umfangreich, und neben seinen biblischen Schriften verfasste er auch polemische und historische Abhandlungen, immer aus der Sicht eines Theologen. Hieronymus war bekannt für seine Lehren über das christliche Sittenleben, die vor allem für diejenigen gedacht waren, die in kosmopolitischen Zentren wie Rom lebten. In vielen Fällen richtete er seine Aufmerksamkeit auf das Leben von Frauen und zeigte auf, wie eine Frau, die sich Jesus hingibt, ihr Leben führen sollte. Dieser Schwerpunkt ergab sich aus seinen engen Beziehungen zu mehreren prominenten weiblichen Asketen, die Mitglieder wohlhabender senatorischer Familien waren. Dank seines Beitrags zum Christentum wird Hieronymus von der katholischen Kirche, der östlich-orthodoxen Kirche, der lutherischen Kirche und der anglikanischen Gemeinschaft als Heiliger und Doktor der Kirche anerkannt. Sein Festtag ist der 30. September. Dieser zweite von zwei Bänden beinhaltet eine Auswahl seiner wichtigsten Briefe.

Ausgewählte Briefe, Band 2

Ausgewählte Briefe, Band 2.

Format: eBook/Taschenbuch

Ausgewählte Briefe, Band 2

ISBN eBook: 9783849660482

ISBN Taschenbuch: 9783849667931

 

Auszug aus dem Text:

23. An Marcella: Zum Tode Leas

Einleitung

 Lea, eine vornehme Römerin, hatte sich als Witwe der aszetischen Richtung angeschlossen. Sie hatte diese Bewegung dem Ideale um einen wesentlichen Schritt nähergebracht, muß sie doch wohl als die erste Vorsteherin eines Nonnenklosters in Rom angesehen werden. Mit Marcella, der Seele des biblisch-aszetischen Zirkels um Hieronymus, war sie befreundet. Die unerwartete Todeskunde, die Marcella gelegentlich der gemeinschaftlichen Bibellesung erhielt, griff sie so an, daß Hieronymus noch am gleichen Tage ihr ein kurzes Trostschreiben zusandte. In diesem stellt er Leben und Tod Leas dem Schicksal des einige Tage vorher unvermutet verstorbenen designierten Konsuls Vettius Agorius Praetextatus 2126 gegenüber. Da dieser 384 gestorben ist, muß auch der Brief im gleichen Jahre geschrieben sein. 

1.

Heute morgen, um die dritte Tagesstunde etwa, hatten wir angefangen, den 72. Psalm, den ersten Psalm des dritten Buches, 2127 zusammen zu lesen. Ich glaubte mich verpflichtet, darauf aufmerksam zu machen, daß seine Überschrift teilweise zum Ende des zweiten Buches gehört, während nur das letzte Stück den Anfang des dritten Buches bildet. Die Worte: „Es endigen die Lieder Davids, des Sohnes Jesses“, 2128 sind der Abschluß des zweiten Buches, während das folgende Buch mit den Worten: „Ein Psalm Asaphs“ 2129 beginnt. Wir waren gerade zu der Stelle gelangt, an welcher der Gerechte spricht: „Ich dachte bei mir selbst: Wenn ich so rede, dann habe ich das Geschlecht deiner Kinder verworfen“, 2130 eine Stelle, die in den lateinischen Handschriften einen anderen Wortlaut hat. Da wurde uns unvermutet die Nachricht hinterbracht, daß unsere fromme und heiligmäßige Lea aus dem Leben geschieden sei. In diesem Augenblicke sah ich Dich so sehr erblassen, daß es mir klar wurde, es gibt nur selten oder nie eine Seele, die ohne Betrübnis sich aus dem zerbrochenen irdischen Gefäße freimacht. Nicht etwa die Unsicherheit über ihr zukünftiges Los war Deines Schmerzes Ursache, sondern es tat Dir leid, daß Du nicht einmal am Begräbnis teilnehmen und ihr damit den letzten traurigen Liebesdienst hattest erweisen können. Mitten in unsere weitere Unterhaltung drang nämlich die Kunde, daß ihre sterblichen Reste bereits nach Ostia überführt worden waren.

2.

Fragst Du mich: „Wozu diese Rückerinnerung?“, dann will ich Dich mit des Apostels Worten bescheiden: „Sie ist in jeder Hinsicht überaus nützlich.“ 2131 Zuerst müssen sich alle darüber freuen, daß Lea nach Überwindung des Teufels die sichere Krone erlangt hat. Dann will ich in kurzen Worten einen Überblick über ihr Leben geben. Zuletzt will ich diejenigen, welche sich gegen den Geist der neuen Zeit auflehnen, 2132 darüber belehren, daß der designierte Konsul im Schoße der Hölle begraben liegt. 2133 Wer könnte den Lebenswandel unserer Lea in würdiger Weise verherrlichen? Ihre Hingabe an den Herrn war so vollkommen, daß sie Vorsteherin eines Klosters und Mutter der Jungfrauen wurde. Früher an weichliche Kleidung gewöhnt, hat sie später ihre Glieder im rauhen Büßerhemd kasteit. Ganze Nächte brachte sie im Gebete zu. Ihre Mitschwestern unterwies sie weniger durch Worte als durch ihr gutes Beispiel. Sie, die einstige Herrin über viele, offenbarte solch tiefe Demut, daß man sie für eines Menschen Magd hätte halten mögen. Je weniger man in ihr die Herrin über Menschen vermutete, desto mehr wurde sie zur wahren  Dienerin Christi. Schlicht war ihre Kleidung, einfach ihr Tisch, unauffällig ihre Haartracht. Doch richtete sie es in allem so ein, daß sie keinerlei Aufmerksamkeit auf sich lenkte, um nicht schon in dieser Welt ihren Lohn zu erhalten. 2134

3.

Jetzt genießt sie für ihre kurze Lebensmühe die ewige Glückseligkeit. Die Chöre der Engel nehmen sie in Empfang. Sie ruht in Abrahams Schoß, und mit dem armen Lazarus erblickt sie den reichen in Purpur gekleideten Konsul, freilich nicht angetan mit dem Gewande des Triumphators, sondern dem ewigen Verderben geweiht. Sie sieht ihn lechzen nach einem Wassertropfen, gereicht von ihrem kleinen Finger. 2135 Wie doch die Dinge sich ändern! Noch vor wenigen Tagen standen ihm die höchsten Würden in Aussicht. Wie ein Triumphator nach seinem Sieg über die Feinde stieg er hinauf zur Burg des Kapitols. Mit Beifall und Jauchzen überschüttete ihn noch eben das Volk Roms, als die überraschende Nachricht von seinem Tode die ganze Stadt erschreckte. Und jetzt ist er einsam und verlassen, nicht im glänzenden Götterpalaste, 2136 wie seine unglückliche Gattin 2137 sich vortäuscht, sondern in Schmutz und Finsternis. Sie aber, die im Schutz ihres verborgenen Kämmerleins lebte, die arm und abgezehrt schien, die ein Leben führte, das man für töricht hielt, 2138 folgt Christus und spricht: „Alles, was wir gehört haben, das bekamen wir zu sehen in der Stadt unseres Gottes.“ 2139

4.

Daher bitte und beschwöre ich Dich unter Tränen und Seufzen: Solange wir auf der irdischen Bahn wandeln, wollen wir nicht zwei Röcke tragen oder uns, um  es anders auszudrücken, mit einem zwiefachen Glauben wappnen. Wir wollen uns nicht beschweren mit den ledernen Schuhen der toten Werke. Die Tasche des Reichtums soll uns nicht zur Erde drücken. Wir wollen uns nicht umschauen nach dem stützenden Stab 2140 des weltlichen Einflusses. Wir wollen uns nicht zwischen Christus und der Welt gleichmäßig aufteilen. Statt der kurzen und hinfälligen Güter soll uns vielmehr ewiges Glück zuteil werden. Während wir täglich, ich meine dem Leibe nach, im voraus sterben, wollen wir nicht leben, als ob wir das übrige ewig besitzen, damit wir einst zum ewigen Leben eingehen können.

39. An Paula: Zu Blesillas Tod

Einleitung

Wenige Monate, ehe dieser Brief geschrieben wurde, konnte Hieronymus in einem Schreiben an Marcella seiner Freude darüber Ausdruck verleihen, daß Blesilla, der heiligen Paula älteste Tochter, ihr Leben ganz Gott gelobt hatte. 2141 Weitgehende Erwartungen knüpften sich an diese Bekehrung. Aber unvermutet fiel ein rauher Reif in dieses Frühlingshoffen. Vier Monate nach ihrem heiligen Entschlusse raffte ein plötzlicher Tod die von schwerer Krankheit Genesene im Alter von zwanzig Jahren hinweg. Der Schlag traf die Mutter aufs härteste. Ohnmächtig mußte sie aus dem Leichenzuge weggetragen werden; ja, fast sah es aus, als ob das schwere Unglück für Paula zur religiösen Krise werden könnte. Hieronymus, der selbst im Innersten erschüttert war infolge des unerwarteten Todes seiner geistigen Schülerin, suchte die Mutter wieder aufzurichten durch vorliegenden Brief, bei dem man zweifeln kann, ob er mehr Trost- oder Mahnschreiben sein sollte. Die Sprache, die der Tröster führt, ist keineswegs weichlich süß, sondern  stellenweise hart und rauh. An rhetorischer Übertreibung, wie Cavallera meint, 2142 fehlt es gewiß nicht, besonders wenn Hieronymus zum Schlusse verspricht, auf jeder Seite, die er zu schreiben vorhat, der Verstorbenen zu gedenken.

Doch dürfte eine andere Erklärung für sein strenges Verhalten gegenüber der Frau, der er in edler, warmer Freundschaft zugetan war, richtiger sein. Mit dem Tode des Papstes Damasus war der letzte Damm gegen die lauernde Mißgunst hinweggespült, und den schlammigen Fluten des Volkshasses war die Bahn freigemacht. Hieronymus hatte sofort erfaßt, daß der Unwille, welcher nach Blesillas Tod bei den Feinden der aszetischen Kreise sich ungehindert Luft machte, nur durch eine stramme Haltung der fassungslosen Mutter einzudämmen war. Nur dann, wenn Paula sich als christliche Heldin zeigte, war die Krise der aszetischen Bewegung siegreich zu überwinden. Und Paula fand ihr seelisches Gleichgewicht wieder, wie ihre Übersiedlung ins Heilige Land, wo sie ein klösterliches Leben führen wollte, zur Genüge beweist. Immerhin mußten persönliche Opfer gebracht werden. Hieronymus, der einstige Anwärter auf den Stuhl Petri, für den er in weiten Kreisen gegolten hatte, mußte erkennen, daß er in Rom auf einem verlorenen Posten stand. Seine Heimkehr in den Orient war die Folge von Blesillas einer übertriebenen Aszese zugeschriebenem Tode.

Grützmachers vage Datierung (382—385) läßt sich näher bestimmen; 2143 denn Praetextatus, dessen Witwe erwähnt wird, starb 384. 2144 Kurz nach dem Feste Peter und Paul des gleichen Jahres nennt Hieronymus Blesilla bereits eine tiruncula des Gott geweihten Lebens. 2145 Ihr Tod liegt vier Monate später, so daß der Brief frühestens im November des gleichen Jahres geschrieben sein kann. Da die leidenschaftlichen Angriffe auf Hieronymus vor Damasus Tode im Dezember 384 nicht recht wahrscheinlich sind, dürfte dieser Monat oder der Anfang des Jahres 385 in Frage kommen. Cavalleras Einwurf, daß des Damasus Tod hätte erwähnt sein müssen,  falls der Papst nicht mehr unter den Lebenden weilte, ist rein gefühlsmäßig und im Texte des Briefes keineswegs begründet. 2146

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