Deutscher Novellenschatz, Band 11

Deutscher Novellenschatz, Band 11

Der “Deutsche Novellenschatz” ist eine Sammlung der wichtigsten deutschen Novellen, die Paul Heyse und Hermann Kurz in den 1870er Jahren erwählt und verlegt haben, und die in vielerlei Auflagen in insgesamt 24 Bänden erschien. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden in dieser Edition die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht. Dies ist Band 11 von 24. Enthalten sind die Novellen: Hartmann, Moritz: Das Schloß im Gebirge, Kähler, Ludwig August: Die drei Schwestern, Kürnberger, Ferdinand: Der Drache, Zschokke, Heinrich: Der tote Gast.

Deutscher Novellenschatz, Band 11

Deutscher Novellenschatz, Band 11.

Format: eBook/Taschenbuch

Deutscher Novellenschatz, Band 11.

ISBN eBook: 9783849661199

ISBN Taschenbuch: 9783849666972

 

Auszug aus dem Text:

1.

Ich ritt von Sir Drunkner nach Hause. Sir Drunkner hatte Energie; ein gewöhnliches philosophisches Räuschchen widerstand ihm, wie dem Löwen der Sieg über eine Maus; der Wein musste mit seinem Verstande so gewaltig und nicht selten glücklicher als die Giganten mit den Göttern kämpfen, wenn er sich wohlbefinden sollte. Wir hatten uns auf dem Kaffeehause kennen gelernt; er hatte mich nach Altona eingeladen, und ich mit dem kräftigen Briten so heldenmäßig getrunken, dass mir gerade noch so viel Gleichgewicht blieb, auf meinem Falben zu hängen, und so viel Besinnung, den Weg nach Hamburg ohne Boten zu finden.

Es war ein schöner, kühler Maimorgen; ich sog begierig die stärkende Luft, die mir entgegen duftete, in meine erhitzte Lunge ein, während mein Falber in kurzem Galopp mich forttrug, und ahndete Schlaf bis an den hellen Mittag, und Träume so hold und erquickend, wie der dämmernde Tag um mich her. In meines Vaters Kontor war Licht. Es nahm mich Wunder, weil es erst um drei war, und ich ging hinein. Mein Vater saß vor seinem Schreibtisch; neben ihm stand Schiffer Classen, sein alter Freund und Diener. Sie sahen mich beide verwundert an und winkten sich, wie mir’s schien; ich bot einen guten Morgen und wollte gehen.

Guten Morgen, Heinrich, sagte mein Vater, es ist mir lieb, dass du da bist; ich habe Geschäfte mit dir. Classen, es bleibt dabei, Punkt zwölf Uhr mittags — es soll alles besorgt werden.

Classen ging. Auf Wiedersehen, junger Herr, brummte er im Gehen und schüttelte mir die Hand mit einem Lächeln, welches auf meinen Körper die schauderhafte Wirkung hatte, als wenn jemand in einen Apfelstiel schneidet, oder an den Fenstern schnirpst.

Heinrich — sagte mein Vater, als er fort war, ohne die Feder wegzulegen — richte dich ein, zu Mittag nach Frankreich zu reisen.

Nach Frankreich, lieber Vater? — und in welchen Geschäften?

Du sollst heiraten.

Heiraten? — wiederholte ich kleinlaut, denn ich sah mich schon im Geiste im Bratenrock mit dem Myrtenkranz geschmückt, an meiner Seite eine reich vergoldete, sauber geschnitzte Jungfrau, die, an mein Herz assigniert, Zeit meines Lebens als Ladenhüter darin bleiben sollte, und die frohen Tage der Jugend flohen weg, wie spielende Kinder, wenn ein Soldat oder ein Prediger kommt — natürlich fror mich noch stärker, als vorher. —

Ja — eine Tochter des Kaufmanns Gerson aus Bordeaux.

Wie, mein Vater? eine Braut, die ich nicht kenne?

Es ist ein gutes Haus — und du hast die Wahl unter drei Schwestern.

Und wenn mir keine gefällt?

Keine Narrheiten, Heinrich! sagte mein Vater sehr ernst; alles Ding hat seine Zeit, und ich habe den deinigen Zeit genug gelassen.

Wenn ich ein Fürst wäre —

Und wenn du ein Kaiser wärest, fiel er mir hitzig ins Wort, so wärest du nur ein lockerer Zeisig, der eines Vormundes bedarf, und mein Sohn. Hier ist der Brief von Herrn Gerson, dass er deine Ankunft erwartet, und hier ist meine Antwort. Zu Mittag reisest du.

Einige Abschiedsbesuche —

Sind nicht nötig. Hier ist ein Packet Karten. Du darfst nur die Namen darauf schreiben.

Ich nahm die Karten und ging auf mein Zimmer. Heiraten? — murmelte ich bei mir selbst — und eine kleine, gelbe, magere Französin, mit plattem Busen und unverschämten brennenden Augen, die keine Minute still sein und keinen Tag leben kann, ohne einmal für deinen Kopfputz gesorgt zu haben? — und warum denn nicht in Hamburg, wenn es denn einmal sein soll? etwa die lange blonde Mamsell Sörgel? oder die kurze, runde, braune Mamsell Watermann? oder die reiche, einäugige Mamsell Funk? oder die schöne, einfältige Mamsell Adler? oder — die — witzige —

Meine Gedanken verloren sich, und der Schlaf neigte meinen Kopf, wie Blei; ich war im Begriff, aus einer senkrechten Linie ziemlich schnell eine waagerechte zu bilden, als ich erwachte und klug genug war, mich aufs Bett zu werfen, wo ich bald in den Armen des Schlafes die Schönen in Bordeaux, wie die in Hamburg vergaß.

2.

Heinrich! — schallte es in meine Ohren. Ich sprang auf, rieb mir die Augen und sah starr vor mich hin; mein Vater stand vor mir.

Willst du dich nicht anziehen? es ist elf Uhr, dein Koffer ist gepackt, und das Essen ist fertig. Der Wind steht gut, es ist um jede Minute Schade.

Ich sah mich damisch um — auf einem Stuhle lagen Reisekleider — mein Vater ging, und Georg, mein Bedienter, kam und half mich aus- und wieder anziehen.

Kommst du mit? fragte ich ihn.

Ja, Herr Waltmann.

Das ist gut! rief ich getröstet; denn es gab keinen größeren Schelm, aber auch keine treuere Seele, als meinen Georg. Mein Vater bezahlte ihn, dass er ihm meine Unbesonnenheiten erzählte — was er unbedenklich tun konnte, weil ich selbst kein Geheimnis daraus machte — ich, dass er mir sie ausführen half. Die Aussicht auf die Reise fing mich an zu ergötzen, und wenn ich einmal zur Strafe für meinen Leichtsinn, wie ein Wilddieb an den Hirsch, an eine Frau gefesselt werden sollte, so war es doch angenehmer, sie in Frankreich unter drei Schwestern zu suchen, als wenn sie mir hier aus dem Magazin der Kaufmannstöchter fix und fertig, und gut konditioniert, ohne weiteres Vorspiel zugestellt worden wäre.

Ich aß zu Mittag mit besserem Appetit, als meine Eltern und meine Schwester, und nahm ihre Glückwünsche, Tränen und gute Lehren beim Abschiede mit gleicher Gelassenheit auf. Schiffer Classen wartete mit Schmerzen. Er nahm sich nicht die Zeit mich zu bewillkommnen — kaum war ich ins Schiff getreten, so gab er das Signal; und unter dem durchdringenden Geschrei der Matrosen hoben sich die Masten, die Wimpel flatterten, die Segel dehnten sich, vom Winde gebläht, und allmählich verschwand Hamburg und die Küste des geliebten Vaterlandes aus unsern Augen.

3.

Es war meine erste Seereise nicht; ich hatte einige Mal in Handelsgeschäften England besucht. Folglich fühlte ich keine Beschwerden, als die der Langenweile, welche ein so plötzlicher Wechsel der unterhaltendsten Debauche mit der plattesten Einförmigkeit mir allerdings doppelt fühlbar machen musste.

Freund Classen tat das Seinige, diesen Dämon zu bannen, und machte den Wirt auf gut seemännisch, indem er mir tüchtig zutrank. In der Tat, Sir Drunkner und alle meine lockeren Gesellen schwelgerischer Nächte waren armselige Buben gegen den alten runzeligen, eisenfesten, mit Kupfer ausgeschlagenen Schiffspatron. Sein geräumiger Mund schien das Spundloch eines wandelnden Weinfasses, und ich sah mit schreckensvollem Erstaunen die Bouteillen französischer und spanischer Weine sich zu Dutzenden allmählich darin ausleeren, bis mir endlich die Kraft mitzutrinken, wie zu sehen, gebrach, und Classen und Georg mich auf meine Hängematte brachten, wo ich schlief, dass der Sturm des Jüngsten Gerichtes mich durch sein Schütteln nicht hätte erwecken können.

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