Deutscher Novellenschatz, Band 5

Deutscher Novellenschatz, Band 5

Der “Deutsche Novellenschatz” ist eine Sammlung der wichtigsten deutschen Novellen, die Paul Heyse und Hermann Kurz in den 1870er Jahren erwählt und verlegt haben, und die in vielerlei Auflagen in insgesamt 24 Bänden erschien. Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden in dieser Edition die sehr alten Texte insofern überarbeitet, dass ein Großteil der Worte und Begriffe der heute gültigen Rechtschreibung entspricht. Dies ist Band 5 von 24. Enthalten sind die Novellen: Grillparzer, Franz: Der arme Spielmann. Immermann, Karl: Der Karneval und die Somnambule. Kopisch, August: Ein Karnevalsfest auf Ischia. Lohmann, Friederike: Die Entscheidung bei Hochkirch.

Deutscher Novellenschatz, Band 5

Deutscher Novellenschatz, Band 5.

Format: eBook/Taschenbuch

Deutscher Novellenschatz, Band 5.

ISBN eBook: 9783849660987

ISBN Taschenbuch: 9783849667382

 

Auszug aus dem Text:

Auf der glückseligen Insel Ischia, die mit allem Segen Gottes reichlich überschüttet ist, lebte zu einer Zeit ein vornehmer Mann, von den Leuten schlechthin Don Antonio genannt, welcher in seiner Lebensweise von den meisten seinesgleichen das Widerspiel war. Er verprahlte sein Geld nicht in der Residenz, weder mit schönen Tänzerinnen noch Sängerinnen, auch ward es weder verbankettiert, noch vertändelt, noch verspielt, noch auf schönen Pferden vergaloppiert. Er überließ die Verwaltung seiner Güter auch nicht, wie viele Herren, den Händen habgieriger oder fahrlässiger Schaffner, hielt es auch nicht für wohlgetan, alles in Bausch und Bogen zu verpachten, um in Gemächlichkeit gleichsam den Rahm von der Milch zu essen, während andre sich mühten und plagten. Nein, er hielt es für sehr anständig und vornehm, wirklich Herr der Scholle zu sein, womit Gott ihm ein Geschenk gemacht, und zwar ein ziemlich ansehnliches: denn er besaß manches Obst und Ackerland in den Niederungen am Meere, manche schöne Lehne mit guten Reben, dazu wohlgebaute Landhäuser mit mancherlei zierlichen Kunstwerken ausgeschmückt, alles sehr fröhlich und wohlgelegen. Seine gewaltigen Tunfischnetze ließ er weit ins Meer hinbreiten, seine Wachtelnetze hing er wie Spinnweben über alle Klippen.

Aber fröhlicher als alles dieses war der Herr selber, ein rascher, rühriger Witwer. Sein Wahlspruch war: des Herrn Auge macht die Kühe fett, aber nicht, wenn es blind ist. Daher kam ihm die Gewohnheit, mit allen, die seine Güter ihm bewirtschaften halfen, sehr häufig und genau zu rechnen, damit er beständig wüsste, wie er mit jedem daran wäre; denn was man auf die lange Bank schiebt, verfault, sprach er, und war überall hurtig hinterdrein. Er bezahlte keinen Tagelohn, sondern sprach zu den Leuten: Wie viel wollt ihr, wenn ihr mir dies und das arbeitet? und handelte sehr scharf; doch, wenn er zuletzt die Arbeit wohlbestellt fand, gab er manchen Groschen zu, so dass die braven Arbeiter fröhlich von ihm nach Hause gingen und nicht darben durften. Wer aber faul war, kam des geringen Lohnes wegen lange nicht wieder. und kam er endlich, so arbeitete derselbe Mann viel mehr als vorher – wegen der Groschen, welche der Herr zulegte. Daher kam es, dass alles Volk, welches da herum lebte, die Arbeit liebgewann und den weisen Don Antonio: denn er war keineswegs geizig. Er war den Faulen nur genau, damit sie emsig würden, und teilte sonst gern mit, wo es nottat. Almosen jedoch gab er auch nur sparsam. Er sah lieber zu, wie er die Leute gründlich wieder aufbrächte, und pflegte darum nicht erst dann zu helfen, wenn einer schon ganz darniederlag; sondern wo er einen Ehrlichen sah, der sich plagte mit seiner Wirtschaft und doch mehr zurück als vorwärts kam, – zu dem ging er hin und fragte: Freund, wie steht es? Und wenn er alles erforscht hatte, sprach er weiter: Ich will dir einen Rat geben: so und so musst du es machen; aber ich sehe, deine Mittel sind zu schwach; darum komm zu mir und hole dir Werkzeug, silbernes und eisernes, damit magst du wirtschaften. Ich will dir Zweig und Samen geben und doch sehen, ob ich recht habe mit meinem Rate.

So und noch viel besser wusste Don Antonio mit den Leuten zu sprechen und stand allen bei mit Rat und Tat und schlichtete manchen schlimmen Handel. Daher kamen alle Sorgenvollen auf der Insel zu ihm, und wem er half, der achtete sich damit gelobt und nahm sich zusammen, dass er seinem Helfer keine Schande machte. Durch solche Dinge ward Don Antonio bei Vornehm und Gering groß angesehen. Sein aufrichtiges Tun und Treiben war so herrlich, dass er sich gar nichts damit vergab, wenn er schlichthin mit jedermann sprach und scherzte; dazu waren seine Reden in allen Stücken anmutig zu hören für jeden, er mochte sein, wer er wollte, und wo ehrliche Leute fröhlich waren, sparte Don Antonio nichts, er gab mit Freuden her und lachte mit.

Da ihm nun jung und alt so zugetan war, so war, wie sich leicht denken lässt, auch großer Segen auf allem, was der weise Don Antonio bestellen hieß; besonders aber waren seine Fruchtfelder unter dem schönen Himmel ein beständiges Grünen, Blühen und Ernten. So viel geschah bei Don Antonio, dass man von Jahr zu Jahr die Gegend nicht mehr wiedererkannte. Die Regenbäche, welche sich im Winter von allen Bergen stürzten, ließ er nicht so wild ins Meer hineintaumeln. Nein, er verschloss sie bald oben in großen Klüften, aus denen er sie erst im Sommer wieder herausließ, die dürren Hänge zu wässern; denn er sagte: So ist die Erde; lassen wir sie dürsten, so lässt sie uns dürsten. Und wo er einen kahlen Felsen sah, sprach der fröhliche Mann vor seinen Leuten: Warte, du fauler Stein, du brätst dahier an der Sonne! Von dir wollen wir bald Wein trinken! Und hieß Terrassen umherbauen und aufschütten, die er mit Reben umzog, immer bis zum obersten Gipfel hinan, so dass man wenige Zeit darnach die allerbesten Trauben lesen konnte, wo vorher der klirrende Felsen war.

Aber, aber, je schattiger es um Don Antonio rings auf allen Klippen wurde – je lichter ward es auf seinem eigenen Haupte, und als er eines Tages seiner Gewohnheit nach auf freiem Felde gebetet hatte, hielt ihm sein alter Diener Pietro die Hand, womit er das Käppchen wieder aufsetzen wollte, und sprach, indem er des Herrn Schädel recht eigens betrachtete: Aber mein lieber Don Antonio, wie werdet Ihr kahl!

Jawohl, du alte Haut, sprach Don Antonio lächelnd, alles ist eitel! die Blätter fallen von den Bäumen. Doch – was tut’s? – Wenn man nur munter ist und frisch arbeiten kann.

Da sprach Pietro wiederum: Aber mit Verlaub, gnädiger Herr, für wen plagt Ihr Euch so Tag und Nacht? Was hilft Euch all das Zeug, die vielen Felder und Schlösser, wenn Ihr so allein seid und keinen Sohn habt, dem Ihr alles nachlassen könnt? Es ist endlich Zeit, dass Ihr das Witwerkissen wegtut und wieder an das Heiraten gedenkt, eh Euch die paar Haare vollends ausgehen!

Da sprach Don Antonio: Lieber Pietro, ich denke Tag und Nacht daran; denn ich will auch nicht von der Welt wegbrennen wie ein Talglicht, von dem nichts nachbleibt wie die letzte Schnuppe. Ich will gern heiraten, dazu sind aber zweie nötig.

Ih, die Zweie sind da, sprach Pietro wiederum. Geht nicht solange Zeit um das schöne Weib, die junge Witwe herum, die Euch so gern sieht. Herr, wartet so lang Ihr wollt, schöner wird sie doch nicht! Also flink zugelangt, so ist beiden wieder geholfen.

Flink zugelangt ist bald gesagt, lieber Pietro; doch Donna Teresa . . .

Eh! Donna Teresa, gnädiger Herr, fiel Pietro ein, nehmt es mir nicht übel – aber Ihr seid ein wunderlicher Mann. Ihr seid herzhaft und entschlossen wie ein altes Pferd in allen vier Elementen, fürchtet Euch auch vor keinem Christen noch Heiden; nur vor den paar schwarzen Augen, da werdet Ihr wie ein Kürbis. Wie oft soll ich meine Mütze noch mit Füßen treten, wenn ich Euch so mit ihr stehen sehe? Immer sag’ ich da bei mir selber: sprich, sprich, Don Antonio! Jetzt ist es Zeit! Drück ab, drück ab! Feuer!– Aber prosit die Mahlzeit, Ihr tut die Lippen nicht voneinander!

Du redest, wie du es verstehst, sprach der Herr wiederum. Es schwärmen jetzt Freier um sie her, die ihr besser gefallen, Leute mit vollen Locken.

Da sprach Pietro wieder: Eh! Locken oder nicht! Wenn man aus allen Freiern in der Welt nur einen Mann macht – Ihr seid mehr wert wie alle zusammen! – Mein lieber Herr Don Antonio, wenn das Weib Fenster im Kopfe hat, muss sie doch sehen, dass Ihr viel frischer ausseht unter Eurer Glatze wie die zwei jungen Maulaffen unter den Haarschnecken, welche sie alle Tage braten und ringeln; und muss denn auch ein Freier just überall rau sein wie ein Bär? Glaubt mir, gerade die Glatze, wie sie jetzt ist, kleidet Euch viel besser wie das Gemengsel von Haaren, das Ihr sonst hattet!

Mach keine Possen, sprach der Herr lächelnd, die Weiber sehen uns mit andern Augen und haben den Kopf der Männer lieber unten glatt als oben! – Hiermit brach Don Antonio das Gespräch ab und hieß Pietro weiterarbeiten.

Nicht lange darnach, zur Zeit des Karnevals, geschah es, dass zwei Grafen aus Neapel bei ihm einsprachen, um eine bedeutende Summe Geldes von ihm geliehen zu erhalten. Er empfing die Herren freundlich und bewirtete sie in seinem städtischen Palast zu Ischia, dass sich die Tafeln bogen, weigerte sich jedoch, ihnen die Summe vorzustrecken, weil sie dieselbe, wie er wohl bemerkte, nicht zur Verbesserung ihrer sehr vernachlässigten Güter, sondern nur zum Verprassen auf dem neapolitanischen Karneval haben wollten. Seine Weigerung traf die stolzen Herren sehr empfindlich, dennoch wussten sie, solange sie noch in seiner Gesellschaft waren, den Ton der feinsten Höflichkeit zu halten. Der Ärger über den misslungenen Plan brach erst aus, als Don Antonio sie an der Tür seines Palastes entlassen hatte. Da blieb der eine der Herren, Don Ottavio, stolz und verachtend stehen und rief ihm über die Schulter nach: Geh zu, Kahlkopf!

Dieses Wort hörte Don Antonio zwar nicht mehr, denn er war schon in das Haus gegangen; aber mehrere Leute, die auf der Straße standen, vernahmen es wohl, und ein alter Sackträger sprach entrüstet zu dem Grafen Ottavio: Herr, Ihr möget sein, wer Ihr wollt, aber einem Ehrenmanne, wie Don Antonio, dürft Ihr hierzulande dergleichen nicht nachrufen!

Geht es dich an, was ich rede, du Lasttier? fragte Don Ottavio und ging stolz dahin.

Aber der Mann trat ihm munter in den Weg und sagte: Ja, Herr, uns Ischiesen geht alles an, was einer von Don Antonio spricht. Hier bin ich, tretet auf mich; aber von Don Antonio redet künftig, wie es sich gebührt!

Ja, ja, seid artig, Herr Kavalier! rief ein Zweiter, der alles mit angehört.

Zieht den Hut ab, wenn Ihr Don Antonios Schafe seht! sprach ein Dritter.

Gurgelt Euch mit Rosenwasser, wenn Ihr seinen Namen in den Mund nehmt! rief ein Vierter und sprang ihm keck in den Weg.

Da stand Don Ottavio still und sprach stolz zu seinen Bedienten: Schafft mir das Gesindel vom Halse! Da stellte sich der erste Mann wieder vor ihn hin und fragte: Wo ist denn hier ein Gesindel? Ich sehe keines. Aber Ihr, Herr, seht Euch vor, Ihr seid hier nicht zu Hause! Wir sind freie Ischiesen, die für Don Antonio durch alle vier Elemente gehen!

Was hat er denn mit Don Antonio? fragten neugierige Schiffer, die hinzutraten.

Ih! Erst wirft er Don Antonio einen Kahlkopf nach, nun nennt er uns ein Gesindel!

Er schimpft Don Antonio einen Kahlkopf und uns ein Gesindel! rief alles empört.

Macht mir Platz! rief Don Ottavio wieder seinen Bedienten zu, und als diese nicht vortraten, wollte er selbst einige Leute, die vor ihm standen, seitwärts drücken; aber – diese standen wie die Mauern. Da wurde Don Ottavio noch heftiger und schalt immer mehr; denn er war, wie mancher Zornige, der Meinung, damit durchzudringen; – aber die Ischiesen verstanden das Schelten noch besser, und es ward ein so großer Lärm in der Straße, dass Don Antonio wieder aus seinem Hause kam. Als er nun sah, wie seine Gäste von den Leuten aufgehalten wurden, rief er: Liebe Kinder, was macht ihr? Lasst sie frei gehen, es sind meine Gäste! – Da ließen alle Hände von den Fremden ab, und der Schwarm öffnete sich vor Don Antonio. – Der Herr da nennt uns ein Gesindel, riefen einige. Da sprach Don Antonio beschwichtigend: Herr Ottavio, Ihr habt sehr Unrecht, diese Männer nicht nach Würden zu ehren. Ihr würdet dies auch gewiss tun, wenn Ihr sie kenntet. Es sind brave Leute, die mit ihren Armen manches Nützliche schaffen: Weingärtner, Fischer und Ackerleute. Doch ihr, liebe Kinder, müsst nicht gleich so heftig zufahren, wenn jemand, der euch nicht kennt, ein Wort fallen lässt, das niemandem gefällt.

Wisset, Herr Antonio, wir mussten wohl heftig werden, da er Euch beschimpft.

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