Die gelbe Tapete

Die gelbe Tapete – Charlotte Perkins Gilman

“Die gelbe Tapete” ist eine Kurzgeschichte von Charlotte Perkins Gilman. Die Geschichte dreht sich um eine hysterische Frau , deren überlastete Nerven schließlich zu einem mentalen Zusammenbruch führen. Die gelbe Tapete in ihrem Schlafzimmer nimmt nach und nach von ihrem phantasievollen Geist Besitz lässt ihn sich selbst zerstören. Die kleine Geschichte, die in der Ich-Form der Betroffenen erzählt wird, ist in seltenem Maße vom Pathos des Wahnsinns durchdrungen. Das hässliche Muster des Papiers und die dahinter gefangenen, beweglichen, schwach erkennbaren Formen werden faszinierend real, bis die Schlusssätze schockierend das wahre Entsetzen und den eigentlichen Grund der geistigen Verwirrung in den Verstand des Lesers brennen.

Die gelbe Tapete

Die gelbe Tapete.

Format: eBook.

Die gelbe Tapete.

ISBN: 9783849653187

 

Auszug aus dem ersten Kapitel:

 

Es ist sehr selten, dass sich gewöhnliche Menschen, so wie John und ich, für den Sommer Ahnenhallen als Urlaubsorte sichern.
Eine koloniale Villa, ein vererbter Landsitz, vielleicht noch ein Spukhaus wären der Höhepunkt des romantischen Glücks – aber eine Ahnenhalle, das würde das Glück überbeanspruchen!
Dennoch erkläre ich stolz, dass da schon etwas Sonderbares mit einhergeht.
Auf der anderen Seite, warum sollte das Haus sonst so billig vermietet werden? Und warum stand es so lange unbewohnt da?
John lacht mich natürlich aus, aber das ist in einer Ehe nun mal so.
John ist sehr praktisch veranlagt – bis zum Äußersten. Er hat kein Vertrauen in den Glauben, eine unglaubliche Angst vor jedem Aberglauben, und er spottet offen über jede Unterhaltung über Dinge, die man nicht fühlen oder sehen kann, oder die in Zahlen zu fassen sind.
John ist Arzt, und das ist vielleicht der Grund – (das würde ich natürlich keiner lebenden Seele sagen, aber das hier ist totes Papier und bringt meinem Geist große Erleichterung) – warum ich nicht schneller gesund werde.
Wissen Sie, er glaubt mir nicht, dass ich krank bin!
Und was kann man schon dagegen tun?
Wenn ein angesehener Arzt und sein eigener Ehemann Freunden und Verwandten versichert, dass man selbst wirklich nichts anderes als eine vorübergehende, nervöse Depression hat – einen leichten Hang zur Hysterie, – was soll man dagegen tun?
Auch mein Bruder ist Arzt und ebenfalls sehr angesehen – und er sagt dasselbe.
Also nehme ich Phosphate oder Phosphite, – wie auch immer das Zeug heißt – und Stärkungsmittel, gehe auf Reisen, atme viel frische Luft und gönne mir Bewegung; es ist mir absolut verboten, zu “arbeiten”, bis es mir wieder besser geht.
Ich persönlich bin mit ihren Ansichten überhaupt nicht einverstanden.
Ich persönlich glaube, dass mir eine geeignete Arbeit, mit einem gewissen Reiz und etwas Abwechslung, sehr guttun würde.
Aber was soll man dagegen tun?
Trotz ihrem Rat habe ich eine Weile geschrieben; aber es erschöpft mich sehr – weil ich es im Geheimen tun muss und sonst heftigen Widerspruch stoßen würde.
Ich stelle mir manchmal vor, wie es wäre, wenn ich in meinem Zustand weniger Widerspruch, dafür mehr Gesellschaft und Antrieb hätte – aber John sagt, das Schlimmste, was ich tun kann, ist, über meinen Zustand nachzudenken; und ich gestehe, dass ich mich dabei immer schlechter fühle.
Also lasse ich es sein und rede über das Haus.
Der schönste Ort! Es steht ganz allein, weit weg von der Straße, gute drei Meilen vom Dorf entfernt. Es lässt mich an englische Orte denken, von denen man lesen kann, denn es gibt dort Hecken, Mauern und Tore, die sich abschließen lassen, und viele separate, kleine Häuser für die Gärtner und Bediensteten.
Es gibt dort einen herrlichen Garten! Ich habe noch nie einen solchen Garten gesehen – groß und schattig, durchzogen von eingegrenzten Wegen und gesäumt von langen, mit Trauben bedeckten Lauben mit Sitzen darunter.
Es gab auch mal Gewächshäuser, aber sie sind jetzt alle kaputt.
Ich glaube auch, dass es einige rechtliche Probleme gab, etwas wegen der Erben und Miterben; jedenfalls steht das Haus seit Jahren leer.
Das vermiest mir leider ein bisschen meinen Glauben an Geister; aber das ist mir egal – da ist etwas Seltsames an dem Haus – ich kann es fühlen.
An einem schönen, mondhellen Abend teilte ich das auch John mit, aber er meinte, dass mich die Zugluft so fühlen ließe, und schloss das Fenster.
Manchmal werde ich übertrieben wütend auf John. Ich bin sicher, dass ich noch nie so feinfühlig war. Ich denke, es ist auf diesen gereizten Zustand zurückzuführen.
John sagt, wenn ich mich aufrege, werde ich nach und nach die Selbstbeherrschung verlieren; deshalb bemühe ich mich, die Kontrolle über mich zu behalten – zumindest vor ihm – und das erschöpft mich sehr.
Mir gefällt unser Zimmer überhaupt nicht. Ich wollte eines im Erdgeschoss, das sich zur Piazza hin öffnete, an dessen Fenster Rosen wuchsen und das so hübsche, altmodische Chintzbehänge hatte! aber John wollte davon nichts hören.
Er sagte, es gäbe nur ein Fenster und keinen Platz für zwei Betten, und kein anderes Zimmer in der Nähe, falls er eines haben wollte …..

 

 

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