Erklärung des Evangeliums

Erklärung des Evangeliums – Ephräm der Syrer

Die “Erklärung des Evangeliums”, das Diatessaron, wurde als Standardtext in der Liturgie zumindest einiger Teile der syrischen Kirche möglicherweise bis zu zwei Jahrhunderte lang verwendet und von einigen syrischen Schreibern zitiert. Ephräm der Syrer schrieb diesen Kommentar dazu. Er hat nicht alle Stellen im Diatessaron kommentiert, und er zitiert auch nicht immer die kommentierten Stellen vollständig; aber für die Stellen, die er zitiert, bietet der Kommentar zum ersten Mal ein verlässliches Zeugnis von Tatians Original und bestätigt auch dessen Inhalt und Reihenfolge.

Erklärung des Evangeliums

Erklärung des Evangeliums.

Format: eBook/Taschenbuch

Erklärung des Evangeliums

ISBN eBook: 9783849660345

ISBN Taschenbuch: 9783849668228

 

Auszug aus dem Text:

 

I.

 

Erklärung des Evangeliums, die verfaßt hat Ter[ii] Ephrem, der tiefgründige[iii] Syrer.

Alle[iv] Schriften, die immer aus menschlichem Verstande heraus geschrieben sind und nicht von dem Gesetz und den Propheten beim Reden nehmen, sind Bücher, Erzeugnis und Erfindung eines widerstrebenden Verstandes. Und wenn einer näher tritt, um ihren Sinn zu prüfen, so findet er sie irreführend und hin- und herschwankend, weil sie nicht auf dem wahren[v] Fundamente der Heiligen Schrift gegründet sind. Markion schreibt in seinem Buche, das sie mit Namen Proevangelium[vi] nennen, was in unsere Sprache hier übersetzt[vii] heißt: “eher als das Evangelium”[viii] — und ich bin verwundert, wieso es eine Schrift der Markionisten gibt, die sie mit Namen[ix] Proevangelium[x] nennen, da die Schüler jenes vertrauensvoll meinen, daß der Anfang[xi] der Gottheit, an die sie glauben, um jene Zeit offenbar wurde, [nämlich] zur Zeit des Pilatus des Pontiers,[xii] in jener Zeit, in der das Evangelium geschrieben wurde. Wenn es sicher für dich ist, o Markion. daß wirklich der Anfang der Gottheit, betreffs der du sprichst, im Evangelium [zuerst] in Erscheinung trat,[xiii] warum denn aber und wie wäre deine Schrift eher als das Evangelium? Und wenn du wirklich [daran] festhältst und es wäre deine Schrift eher als das Evangelium, so sage nicht, daß neu und fremd die lebendigmachende Gottheit ausströmte, sondern daß sie bereits da war. Und es ist im Anfange jener Schrift also geschrieben: “O Wunder über Wunder,[xiv] Verzückung, Macht und Staunen ist das, daß man gar nichts über es[xv] sagen, noch über es denken, noch es mit irgend etwas vergleichen kann.”

Nun wollen wir alle Bücher jenes beiseite lassen und gegen dieses Wort wollen wir sprechen, daß [ob] dieses, was du, Markion, sagst, wirklich wahr ist, [nämlich] daß jenes nicht ausgesprochen wird mit der Zunge und nicht unterschieden wird mit Gedanken[xvi] und nichts ihm gleich ist. Jetzt verstumme, schweig und rede nicht über das, worin du verstockt bist und sagst, daß jenes[xvii] nicht ausgesprochen wird und daß es nicht ein Denken darüber gibt und daß es nicht irgend etwas gleich ist. Wie sehr Markion gelogen hat, weil er nicht von jenem[xviii] zuverlässigen Fundamente aus spricht, das werde ich zeigen. Es sagt der Herr in seinem Evangelium dort, daß einem jeglichen Dinge, was überhaupt von dieser Welt hier ist, der Glaube in allen[xix] Dingen ähnlich ist;[xx] er sagt so, daß er ähnlich ist einem Gebäude, dem Weine,[xxi] einem Kleide, dem Feuer, den Samen,[xxii] einem Königreiche, einer Silbermünze, einem Talente, einer Pflanze,[xxiii] einem Senfkorn und dem Sauerteige. Auf welche Weise nun vermag einer auf das Evangelium zu hören, wenn es sagt, daß all dem der Glaube in seinen verschiedenen Erscheinungsformen ähnlich ist, und hört hinwieder auf Markion, wenn er sagt, er ist keinem ähnlich? Und wodurch jener all diesen Dingen ähnlich ist, werde ich jetzt zeigen.

Gleich ist er Gebäuden[xxiv] darin, daß wie ein Gebäude aus vielen geschaffenen Dingen zusammengesetzt,[xxv] aus Gliedern vereinigt und ein Haus wird: so auch werden wir versammelt aus allen Geschlechtern[xxvi] und aus allen Sprachen und aus allen Königreichen und aus allen Geistesrichtungen[xxvii] und wir werden ein Sinn,[xxviii] ein vollkommenes Volk, ein heiliges Zelt, ein Lager Gottes. Wiederum gleicht er Gehenden; denn ein Mensch, wann er ein Gebäude baut, vernachlässigt nichts von allem Notwendigen, was zum Zwecke des Baues erforderlich ist: daß er sammelt und herbeiträgt Steine, Holz, und Rohr, Lehm und Eisen und Kupfer und alle Dinge, die nötig sind[xxix] als Material des Baues; wenn er aber nur ein einzelnes davon außer acht läßt [sonst aber alles tut], so wird dennoch sein Bau gekrönt nicht vollendet. So auch wir: Nicht geziemt es sich für uns, nachlässig zu sein darin, daß wir den Glauben bauen mit Wachen,[xxx] Heiligkeit, durch Almosengeben und Besuchen der Kranken, durch Lieben der Brüder und durch Gottesdienst und durch Betreten der Pforten[xxxi] der Kirche und durch beständiges Verharren im Gebete und durch Betrachten[xxxii] der Gedanken der Schrift. Und wenn wir [auch] nur eins davon vernachlässigen, [sonst alles tun], wird dennoch unser Glaube nicht gebaut. Sondern in der Weise, wie jene, denen das Gebäude gehört, nicht schlafen, wie auch David selbst sagt: “Nicht werde ich meinen Augen Schlaf geben und nicht Schlummer meinen Augenlidern, bis ich bauen werde den Tempel des Herrn und einen Ort der Ruhe des Gottes Jakobs”,[xxxiii] so müssen auch wir laufen bei Tag und wachen bei Nacht in Gebet und Leben, daß auch wir gebaut werden auf dem Fundamente der Apostel und Propheten, wie auch der Apostel sagt.[xxxiv] Denn wenn die, die irdische Häuser bauen, sich selbst der Arbeit hingeben, daß sie sich kurze Zeit dauernde Wohnungen machen, wir aber das Lager der Ewigkeit für unsere Seelen bauen und das Haus der Herrlichkeit im Himmel, um wieviel mehr geziemt es sich für uns, besorgt zu sein und zu arbeiten!

Und zum Beispiel jene, die die Bauten bauen, schämen sich niemals, wenn sie jemand sieht, daß sie Rohr zusammenlesen und Holz schlagen und Felsen wälzen und Steine tragen, und es ist gar nicht möglich, ihre Tätigkeit[xxxv] zu verbergen, wie auch niemand von uns sich schämen muß über diese gute und schöne Frucht, die wir bauen; und es ist für uns nicht möglich, um verborgen zu bleiben, die Pforten der Kirche zu betreten,[xxxvi] wenn wir die Kranken besuchen, Almosen geben, im Gebete verharren[xxxvii] und das Fasten beobachten. Und wenn sich jemand hierbei schämt, so kann er nicht ein Element des Gebäudes der Gottheit sein. Aber diejenigen, die ihre Bauten bauen, obwohl das Bauen selbst nicht verborgen ist, handeln beim Tragen gleichwohl nicht und bringen herbei, was etwa nötig ist zum Material des Baues, damit ihre Genossen sie sehen und loben sollen, sondern ihrer selbst wegen strengen sie sich an und arbeiten sie; anderseits sehen auch Außenstehende, daß jene nicht, um von den Menschen gelobt zu werden, sich anstrengen. So auch wir: nicht ist’s recht, sich zu verbergen, und anderseits dürfen wir nicht handeln, damit uns die Menschen sehen und loben, und nicht wegen anderer Lob wollen wir uns beeilen, sondern damit einige [sehen], daß wir unserer selbst wegen Almosen geben, und andere, die uns begegnen werden, an uns sehen, daß wir nicht ihretwegen uns anstrengen.[xxxviii]

Und z. B. die, denen Gebäude gehören,[xxxix] beeilen sich die ganze Zeit des Sommers, um zu bauen und zu vollenden, daß sie unter Obdach sind und ruhen in den Tagen des Winters, denn die Tage des Sommers gehören den Bauten. Aber jener, der zur Zeit des Sommers seine Bauten nicht baut, über den werden Schmähungen und Widerwärtigkeiten[xl] in den Tagen des Winters kommen. Und wie festgesetzt sind als Zeiten für Bauten die Tage des Sommers, so ist gesetzt die Zeit unseres Wohnens, das hier auf Erden ist, regsam zu sein, zu eilen und uns die Wohnungen im Himmel zu bauen. Und wer in dieser Zeit seinen Ort der Ruhe bei den Gerechten nicht vorbereitet und herstellt, der kann ihn für sich nach seinem Tode nicht bauen und bereiten, wie es keinerlei Möglichkeit gibt, Wohnungen in den Tagen des Winters zu bauen. Und durch dieses Gleichnis, durch das unser Herr seinen Glauben den Gebäuden der Menschen verglichen hat, erfüllte er das Wort der Prophezeiung.[xli] Isaias sagt: “Aber Sion sprach: Verlassen hat mich der Herr, und vergessen hat mich Gott. Wird wohl vergessen ein Weib ihres Kindes oder wird sie nicht Mitleid haben mit den Sprößlingen ihres Leibes? Und wenn ein Weib dieses vergessen sollte, so werde ich doch nicht vergessen, spricht der Herr. Siehe auf meinen Händen habe ich deine Mauern[xlii] gezeichnet und vor meinen Augen bist du jede Stunde”.[xliii]

David hinwieder sagt: “Der Grundstein, den die Bauleute verworfen haben, der ist Eckstein[xliv] der Gebäude[xlv] geworden. Vom Herrn ist dies geschehn.”[xlvi] Und es nimmt Paulus dieses von dem Propheten und von dem Evangelium[xlvii] an;[xlviii] er sagt: “Er selbst das Haupt der Ecke des Gebäudes Christus, durch den zusammengehalten und in Ordnung gehalten wird[xlix] das ganze Gebäude.[l] Und er macht klar, daß wir Gläubigen ein Gebäude sind und Christus der Eckstein[li] des Gebäudes ist. Und David wurde nicht Ecke, da ja nur eine Mauer des Gebäudes auf ihm gebaut wurde, die Beschneidung allein; aber Christus, weil er die Beschneidung und die Unbeschnittenheit verkündigte: von ihm wurden zwei Mauern[lii] gebaut und er selbst wurde Eckstein.[liii] Und warum und wie er ein verworfener Grundstein wurde, sagt er im Evangelium da: “Es ist nötig für den Sohn des Menschen, viele Leiden[liv] zu erdulden, verachtet und verworfen zu werden von den Ältesten und Schriftgelehrten.”[lv] Und weil der Name “Grundstein”[lvi] nicht fern von ihm ist, sagt der Apostel selbst über den geistigen Felsen,[lvii] der den Söhnen Israels Trank spendete: “Aber jener Fels ist Christus selbst.”[lviii] . Auch den Simon,[lix] den Christus als Stellvertreter für sich zurückließ, daß er seiner Kirche vorstehen sollte, nannte er so.[lx] Und auf Grund dieser Gleichnisse der Propheten wurde die Kirche in Vergleich mit Gebäuden gesetzt.

Deswegen hat unser Herr seinen Glauben Gebäuden verglichen, darin, daß er sagt: “Jeder, der zu mir kommt und meine Worte hört und sie tut, der ist gleich geworden einem verständigen Manne, der sich das Haus baute, grub und vertiefte und das Fundament auf harten Felsen legte”.[lxi] Und hierin, daß er sagt “grub und vertiefte”, macht er uns klar, daß die Erneuerung und Festigkeit,[lxii] die der Unterricht der Lehre vorfindet,[lxiii] nicht nur kommend zu uns kam, sondern schon längst in uns war. Und wenn wir[lxiv] fortfahren würden mit Graben, woher würden wir stehen bleiben auf der Wahrheit, wenn sie nicht vom Vater zu uns gekommen wäre von Anfang her, von Ewigkeit?[lxv] Und wenn wir auf jenen Stein des Felsens, in dem wir versinnbildet sind, hinblicken, so sehen wir, daß er fest ist von seiner ersten Erschaffung an. Und wann er niedersinkend fällt, wird seine Festigkeit von jenem Fallen und Zertrümmertwerden zertrümmert, und der Baumeister nimmt ein festes eisernes Werkzeug und gräbt [und] nimmt von ihm die überflüssige Erde und den abgebröckelten Lehm und legt sein Fundament auf felsigen festen Stein, der die Wucht der Bauten aushalten kann. So waren auch wir in unserer Kindheit heilig und unschuldig in der Lehre der Gottheit, und wenn die Festigkeit unserer Treue[lxvi] in die Unreinigkeit der Unzucht und in Begierde der Tollheit fällt, alsdann können wir die Wucht der Festigkeit des Gebäudes nicht aushalten.

Aber wann wir nach Art des Eisens[lxvii] das Evangelium der Erlösung[lxviii] in die Hand nehmen und auflesen [und] wegschaffen von uns alt diese Werke der Schlechtigkeiten und dann das Fundament des Glaubens auf unsere Herzen, auf felsigen Grund legen, wenn unser Sinn von allem Bösen gereinigt ist und wenn [dann] die Fundamente des Gebäudes gelegt werden, alsdann sind wir sowohl Arbeiter als auch Baumeister. Und wie es nicht der Fall ist beim Baumeister, wenn ihm überhaupt irgend etwas fehlen sollte, daß irgend [anders] wohin geht,[lxix] sondern an die Türe des Herrn des Werkes, so sollen auch wir wissen, daß der reich ist, der der Herr unseres Werkes ist, von dem wir ein Angeld[lxx] genommen haben, ihm dieses Gebäude zu bauen. Denn alles, was uns überhaupt als Material für das Werk des Lebens mangeln wird, werden wir von ihm begehren: die Heiligkeit, Barmherzigkeit, Liebe, Munterkeit, Bruderliebe, und er selbst gibt uns von seinen guten Schätzen mit seiner vollen Hand [und gestattet uns],[lxxi] daß wir seine Tür betreten und von ihm erbitten [was uns not tut]. Und in all diesem ist die Lehre[lxxii] unseres Herrn Gebäuden gleich.

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