Essentielle Schriften

Essentielle Schriften – Gregor der Große

Papst Gregor I., allgemein bekannt als der Heilige Gregor der Große, war vom 3. September 590 bis zu seinem Tod Bischof von Rom. Er ist dafür bekannt, die erste belegte, groß angelegte römische Mission initiiert zu haben, die Gregorianische Mission, um die damals heidnischen Angelsachsen in England zum Christentum zu bekehren. Gregor ist auch für seine Schriften bekannt, die produktiver waren als die aller seiner Vorgänger als Papst. Gregor ist einer der lateinischen Kirchenväter und ein Doktor der Kirche. Er gilt als Heiliger in der katholischen Kirche, der östlich-orthodoxen Kirche, der anglikanischen Gemeinschaft, verschiedenen lutherischen und anderen protestantischen Konfessionen. Unmittelbar nach seinem Tod wurde Gregor vom Volk heiliggesprochen. Der protestantische Reformator Johannes Calvin bewunderte Gregor sehr und erklärte in seinen “Institutes”, dass Gregor der letzte gute Papst gewesen sei. Er ist der Schutzpatron der Musiker, Sänger, Studenten und Lehrer. In diesem Band finden sich seine wichtigsten Schriften, nämlich die vier Bücher der “Dialoge” und “Das Buch der Pastoralregel.”

Essentielle Schriften

Essentielle Schriften.

Format: eBook/Taschenbuch

Essentielle Schriften

ISBN eBook: 9783849660369

ISBN Taschenbuch: 9783849667795

 

Auszug aus dem Text:

 

Einleitung zu Gregor dem Grossen

Allgemeine Einleitung

 Als Quellen für die Lebensgeschichte des hl. Papstes Gregor des Großen dienen uns vor allem anderen seine Schriften. In vielen, vielen Personen-, Orts- und Zeitangaben bekundet sich uns Gregor als ein seiner Zeit ganz und gar verbundener Mann. Als nächste Quelle gilt Gregors von Tours, † 594 oder 595, Historia Francorum. Es folgen der Liber Pontificalis, dann Isidor von Sevilla, De vir. illustr. 40, und Ildefons von Toledo, De vir. illustr. 1. Ewald entdeckte in St. Gallen eine Biographie Gregors aus der Feder eines Mönches von Whitby in England, wahrscheinlich aus dem Jahre 713 stammend, herausgegeben von Grisar 1887 und von Gasquet 1904. Beda Venerabilis ist der nächste Autor, der uns in seiner 731 vollendeten Kirchengeschichte berichtet. Gegen Ende des Jahrhunderts, 770—780, verfaßt Paulus Diaconus auf Monte Cassino sein Leben des hl. Gregor, 1 dem ein Jahrhundert später Johannes Diaconus, ebenfalls ein Mönch von Monte Cassino, seine ausführliche Vita folgen läßt. 2

 

1. Rom und Italien in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts

Die Lebensjahre Gregors fallen in eine Zeit tiefen Niederganges, in eine Zeit unübersehbarer Gefahren für das weströmische Reich, für Italien und Rom, ungeheurer Gefahren auch für das Christentum, das mit dem bisherigen Bestand der Dinge unterzugehen drohte.

 Nach dem Tode Amalasunthas, der Tochter Theoderichs, begann für das schon schwer heimgesuchte Italien eine lange Reihe schwerster Kriegsjahre. Justinian, der eben das Vandalenreich gestürzt und Nordafrika für Byzanz wiedergewonnen hatte, begann in Italien den Krieg gegen das Reich der Ostgoten. Sein großer Feldherr Belisar eroberte rasch Sizilien und den größten Teil Italiens, 535—540. Justinian legte dem eroberten Lande schwere Steuern auf. Steuereinnehmer, Wucherer und die Besatzung, die von Byzanz unregelmäßig ihren Sold bezog, machten sich Geld auf jede Weise. Eigentum und Leben waren nirgends mehr sicher; die Soldaten waren ja nur zu einem verschwindenden Teil Römer und Griechen, sie stammten vielmehr aus den entferntesten Gegenden des byzantinischen Reiches; es waren Schwarze, Araber, Hunnen, Perser, Gepiden, und diese alle hausten in Italien mit ungezügelten Instinkten und Leidenschaften. Darum verödete das flache Land; die Leute flohen ins Gebirge; aber Hunger und Pest zogen hinter ihnen her, so daß im Picenum allein fünfzigtausend Menschen Hungers starben. 3

Den Goten verblieb noch Pavia. Ungebeugt begannen sie unter Totila den Befreiungskrieg und entrissen den Byzantinern wieder einen großen Teil des Landes. Aber das Kriegsglück schwankte; die Kriegsheere zogen hin und her, bis Narses, verstärkt durch Langobarden und Heruler, 553 den Untergang des Ostgotenreiches besiegelte, das verwüstete Italien zu einer römischen Provinz machte und als Statthalter in den Palast Theoderichs in Ravenna einzog. Aber dem Lande war nur eine kurze Ruhe gegönnt, die nicht hinreichte, um die Wunden des Krieges heilen zu lassen. Denn die arianischen Langobarden, die ihren Fuß schon einmal auf italischen Boden gesetzt hatten, vergaßen das sonnige Land nicht. Sie brachen am Osterdienstag 568 unter ihrem König Alboin von Pannonien auf, um über die julischen Alpen in Italien einzubrechen. Der Schrecken eilte dem Heere voraus. Dem Bischof Redemptus von Ferentino erschien der hl. Märtyrer Eutychius und sagte das Ende allen Fleisches voraus. Man redete von schauerlichen Zeichen, die am Himmel erschienen, und sah feurige Schlachtreihen von Norden her kommen. 4 „Bald wütete“, erzählt Gregor selbst, „das wilde Volk der Langobarden wie ein Schwert, aus der Scheide seiner Wohnstatt gezogen, gegen unsern Nacken, und das Volk, das in unserm Lande wie eine dichte Saat dastand, wurde dahingemäht und verdorrte. Denn die Städte wurden entvölkert, die festen Plätze zerstört, Kirchen niedergebrannt, Männer- und Frauenklöster dem Erdboden gleichgemacht; die Landgüter sind verlassen, und niemand nimmt sich ihrer an; das flache Land liegt brach und ist verödet, kein Besitzer wohnt mehr dort, und wilde Tiere hausen, wo viel Volk einst wohnte.“ 5 Während der Exarch Longinus, des Narses’ Nachfolger, unbegreiflicherweise tatenlos in Ravenna saß, rückten die Langobarden immer weiter vor, nicht ohne auch ritterliche Züge an den Tag zu legen. So empfing Alboin am Piave Felix, Bischof von Treviso, und stellte ihm einen Schutzbrief für seine Kirche aus. Nach und nach wurde ganz Norditalien in Besitz genommen und Pavia 572 nach dreijähriger Belagerung zur Hauptstadt des Langobardenreiches gemacht. Alboin wurde im gleichen Jahre von eigenen Leuten in Verona meuchlings ermordet. Das gleiche Los teilte 574 sein Nachfolger Kleph, unter dem die Langobardenherrschaft weiter nach Süden vorgetragen worden war. Venedig, der Küstenstrich von der Pomündung bis Ankona mit Ravenna, Kalabrien, Neapel und Rom mit ihrer Umgebung verblieben noch dem Kaiser von Byzanz. Auch die Inseln Sizilien, Sardinien und Korsika wurden vorerst noch von den Langobarden verschont, weil sie sich nicht auf die Schiffahrt verstanden. Ihnen sagte der Apennin mehr zu, weil sie sich dort leichter halten konnten, während die schwachen griechischen Besatzungen die festen Plätze in der Ebene besser zu verteidigen wußten.

Da nach Klephs Tode kein König gewählt wurde, sondern ein Interregnum eintrat, schalteten die Herzöge, ungefähr fünfunddreißig an der Zahl, in den eroberten Gebieten nach freiem Belieben. Paulus Diaconus hat uns die Namen von sieben dieser Herzöge und ihrer Residenzen überliefert: Zaban von Pavia, Wallari von Bergamo, Alichis von Brescia, Euin von Trient, Gisulf von Friaul, Faroald von Spoleto und Zotto von Benevent. 6 Die Herrschaftgebiete der übrigen werden sich wohl ungefähr mit einzelnen Bischofsstädten und deren Gebiet gedeckt haben. 7 Jeder von ihnen suchte sein Gebiet zu vergrößern und unternahm weite Eroberungszüge. So erschien Faroald von Spoleto 579 vor den Mauern Ravennas, plünderte die reiche Hafenstadt Classis und ließ dort eine Besatzung zurück. In demselben Jahre belagerten andere Rom; die griechische Besatzung hätte die Stadt nicht zu retten vermocht, wenn nicht der neugewählte Papst Pelagius II. die Feinde zum Abzug bewogen hätte. 8 Zotto von Benevent sodann war es, der 589 das ehrwürdige Kloster Monte Cassino heimsuchte und zerstörte.

Während kleinere Feindesscharen plündernd das Land durchzogen, vollendeten andauernde Regenfälle das Unheil, indem sie eine furchtbare Überschwemmung und ein großes Sterben verursachten, 589.

Was Rom selbst mit dem Lande litt, ist einem langsamen Dahinsiechen vergleichbar. Die große Beherrscherin der Welt, die Stadt schlechthin, hatte im Laufe der letzten Jahrhunderte ein Vorrecht nach dem andern abtreten müssen: zuerst wurden Trier, Mailand und Nikomedien als Residenzen ihr gleichgesetzt; als Byzanz gegründet ward, wurde es ihr als Neu-Rom vorangesetzt. Der Charakter der politischen Weltstadt war dahingesunken, und Rom wäre wohl wie Theben, Babylon und Karthago von der Erde verschwunden, wenn es nicht von einem lebensfähigen Prinzip beseelt gewesen wäre, das ihm von neuem zu der Ehre verhalf, zu herrschen. 9Weder Alarich noch Genserich, weder Ricimer noch Totila scheinen Gebäude zerstört zu haben; sie begnügten sich mit der Wegnahme von Gold und Silber und kostbarem Hausrat, das alles in unglaublicher Menge vorhanden war. Die Stadt barg am Anfang des 5. Jahrhunderts 1790 Paläste und 46 602 Wohnhäuser. 10 So standen also noch die Tempel, die Paläste, die Theater und Fora, dehnte sich noch das Häusermeer aus, als Gregor in die Geschichte eintrat. Wie aber stand es mit der Zahl der Bewohner? Grisar schätzt sie für den Beginn des 5. Jahrhunderts auf ca. 800 000. 11 Schon das ist eine Verminderung gegenüber der glänzenden Kaiserzeit; die Zahl sank aber durch die Kriege noch viel, viel tiefer. Prokopius berichtet zu unserm Erstaunen, daß Rom nach der Einnahme durch Totila 549 noch 500 Einwohner zählte. Wenn dies auch ein bloßer Schreibfehler ist, so muß man doch annehmen, die Einwohnerzahl sei durch die Kriegsläufte, durch Tod und Flucht so gesunken, daß in einer Straße fast alle Häuser bis auf einige wenige leer standen. Öde und Verlassenheit klagte aus den Loggien und Atrien heraus. Das ist der Schauplatz, die nächste und die weitere Umgebung, in der Gregor heranwuchs, der große, heilige und starke Mann.

 

2. Gregors Jugend

Es ist nicht möglich, nach den bisherigen Quellen das genaue Geburtsdatum Gregors anzugeben; die Geschichtschreiber entscheiden sich für das Jahr 540. 12 Gregor ist ein Sprosse des Senatorengeschlechtes der Anicier, das beim Adel, im Staat und in der Kirche in hohem Ansehen stand und über große Reichtümer verfügte. Der Vater Gregors, Gordianus, besaß auf dem Clivus Scauri, einem Ausläufer des Mons Coelius, einen Palast und ausgedehnte Besitzungen in Sizilien. Er war Regionarius, d. h. Vorsteher eines der sieben Bezirke, in die die Stadt von der Kirche eingeteilt worden war. Die Mutter Gregors, die hl. Silvia, deren Fest am 3. November begangen wird, besaß einen Palast auf dem Aventin in der Nähe von S. Saba. Gregor hatte einen Bruder, den er nicht mit Namen nennt; er war Stadtpräfekt, als Gregor  zum Papst gewählt wurde. 13 Gregor erzählt uns auch von drei Schwestern, von denen Tharsilla 14 und Ämiliana 15 als Heilige verehrt werden; Gordiana, die einige Zeit mit den Schwestern zurückgezogen lebte, heiratete später den Verwalter ihrer Güter. Auch einer Tante namens Pateria tut Gregor Erwähnung; sie lebte in ärmlichen Verhältnissen auf Sizilien und wurde von ihm unterstützt. Wir erfahren von einer Anicia Faltonia Proba, daß sie einige Zeit in Karthago unter der Leitung des hl. Augustinus ein klösterliches Leben führte. 16 Auch einen heiligen Papst hatte die gens Anicia der Kirche schon geschenkt, Felix III., der die Kirche von 483—492 regierte.

In die Kinderjahre Gregors fallen ernste Ereignisse: die mehrmalige Belagerung Roms, Hungersnot und die allmählige Verödung der Stadt. Schmerzlich vermissen wir nähere Nachrichten über die wissenschaftliche Ausbildung Gregors. Wir hören nichts mehr von Grammatiker- und Rhetorenschulen. Mit so vielem anderen waren sie in der Ungunst der Zeit verschwunden. 17 Cassiodorus faßte noch den Plan, in Rom eine theologische Hochschule zu gründen, doch der Ausbruch des Gotenkrieges vereitelte das Unternehmen. Wer nur immer von den Lehrern es vermochte, verließ Rom und begab sich nach Byzanz oder Berytus. Wir können und müssen aber annehmen, daß in den adeligen Familien noch eine große Vertrautheit mit klassischen Autoren, vor allem mit Cicero, Vergil, Seneca, Quintilian vererbt wurde. Es konnte wohl für einen Sohn aus adeliger Familie immer noch ein Lehrer gefunden werden; und naheliegend ist es, für einen Sohn aus senatorischem Geschlechte eine juristische Unterweisung anzunehmen. Mit dem Griechischen, dessen Pflege in Rom schon seit längerer Zeit aufgehört hatte, war Gregor nicht vertraut. Dennoch urteilt der Diakon Agiulf über ihn: „Litteris grammatecis  dialecticisque ac rhetoricis ita est institutus, ut nulli in urbe ipsa putaretur esse secundus.“ 18

Wenn wir Gregors Schriften nach Zeugnissen seiner Jugendbildung durchsehen, finden wir einen ernsten, melancholischen Zug, der ihn hart über die literarische Bildung urteilen läßt. „Die Weisen dieser Welt“, sagt er, „legen Gewicht auf die Beredsamkeit; ihre Aussprüche haben ein schönes Gesicht, sind aber geschminkt; sie lügen, da ihnen ein wirklicher Inhalt abgeht; sie sind nur eitle Wortbildungen und mit schönen Farben überzogen.“ 19 In dem Begleitbrief zu den Moralia an Bischof Leander verachtet Gregor die infructuosae loquacitatis levitas und schreibt: „Darum wollte ich mich nicht nach der Redeweise, wie sie die weltlichen Rhetoren lehren, richten, meide, wie auch dieser Brief zeigt, weder Metacismen noch Barbarismen und beachte nicht Wortstellung und Rhythmus und den Kasus der Präpositionen; denn ich halte es für ganz und gar unwürdig, daß ich die Worte des himmlischen Orakels unter die Regeln des Donatus beugen soll.“ 20 Wir werden auf diese vielzitierte Stelle weiter unten noch zurückkommen, wenn wir von der Sprache und vom Stil Gregors sprechen müssen; es sei aber schon hier gesagt, daß Gregor mit diesen stark übertreibenden Worten nicht eigentlich die Grammatik an sich verachten will, sondern daß er seiner ernsten Auffassung Ausdruck verleiht; ihm ist die Erfassung des göttlichen Lehrinhalts und dessen deutliche Wiedergabe die Hauptsache, so daß er sich der Arbeit des Feilens und Polierens, des äußeren Aufputzes und des beabsichtigten Glanzes entheben zu müssen glaubt. Mit dieser Anschauung berührt sich die Meinung Stuhlfaths, 21 daß die Ablehnung des ciceronianischen Lateins, das zur  Manier geworden war, eine gesunde Reaktion verrät. Die strenge Auffassung, das Erfassen des Kernes einer Sache unter Preisgabe der kunstvollen äußeren Form bildete sich bereits in der Seele des Knaben, da die Beschäftigung mit geistlichen Dingen, vorab mit der Heiligen Schrift und den Vätern, die in der schweren Zeit allein Trost und Halt geben konnten, die Pflege der rein formalen Geistesbildung mehr zurücktreten ließ.

Für das Gemüt des jungen Gregor blieb sicherlich die nähere Umgebung seines elterlichen Hauses nicht ohne Einfluß; sie war ja ganz dazu angetan, die ernste Sinnesrichtung zu fördern. Tiefe Melancholie herrschte ringsum; denn in der Niederung vor dem väterlichen Palaste entstand ein Sumpf, da die Aquädukte durch die Kriege Schaden litten; zur Rechten schaute das Flavische Amphitheater herüber, das zwecklos in die Lüfte ragte; vor ihm lag der Palatin mit den Kaiserpalästen, die, unbewohnt, geplündert und ausgeraubt, einen trostlosen Anblick boten; die Statuen waren umgestürzt und lagen auf dem Boden; niemand pflegte mehr die Garten- und Parkanlagen am Abhang des Palatin; zur Linken lag der Circus Maximus, in dem König Totila 549 die letzten Rennen veranstaltet hatte, verödet da und verwahrlost wie die übrigen Gebäude. Über den Circus Maximus hinweg schweifte der Blick auf den Aventin mit den vereinsamten Thermen des Caracalla; zwischen Palatin und Aventin dehnte sich in der weiten Ebene zu beiden Seiten des Tiber ein ausgestorbenes Häusermeer aus mit seinen leeren Tempeln und Theatern. Das sah der Knabe und Jüngling Tag für Tag; es bietet ihm keinen Reiz, sondern wendet seinen Geist dem Inneren und dem Ewigen zu. Darum sucht er auch den Verkehr mit älteren, erfahrenen, frommen Männern. Er erzählt selbst, daß er von Abt Konstantin von Monte Cassino, der 560 starb, die Lebensgeschichte des hl. Benedikt erfahren habe; auch mit Honoratus, dem Abt von Subiaco, verkehrt er. Wenn man bedenkt, wie anschaulich Gregor in wenigen Strichen die Örtlichkeit von Monte Cassino und Subiaco zeichnet, darf man sich fragen, ob er nicht etwa diese Männer, die zuweilen Gäste in seinem väterlichen Hause waren, in ihren Abteien besucht haben mag. Die unzähligen und treffenden Vergleiche, die er der Schiffahrt entnimmt, lassen endlich vermuten, daß Gregor mit dem Meere wohlvertraut war und wahrscheinlich öfter nach Sizilien gefahren ist, wo des Vaters Besitzungen lagen.

 

3. Gregor als Stadtpräfekt

Die Biographen gehen schnell über die Jugendjahre Gregors hinweg, ohne uns genaue Angaben zu hinterlassen. Wir sind nur auf Vermutungen und Schlüsse angewiesen, bis uns Gregor selbst ganz nebenbei eine wichtige Bemerkung macht. Er schreibt im Jahre 593 an Bischof Constantius von Mailand, daß er, als er noch Prätor war, eine Erklärung des Bischofs Laurentius im Dreikapitelstreit als Zeuge mitunterzeichnet habe. 22 Laurentius wurde 573 Bischof von Mailand und wird im Zusammenhang mit der Erwählung zum Bischof eine Erklärung darüber, wie er sich zu den drei Kapiteln stelle, abgegeben haben. Gregor bekleidete demnach zu diesem Zeitpunkte ein öffentliches Amt. Aber war dies die Prätur? Augustus hat die große Amtsbefugnis des Prätors an sich gerissen und ließ ihm nur noch untergeordnete Zweige des früheren Amtsbereiches. Später ging das Amt des Prätors auf den praefectus urbi über; er ist der Stellvertreter des Kaisers und im Besitz der höchsten Kriminalgerichtsbarkeit. 23 Wenn Gregor sich wirklich des Ausdrucks praetura bediente, so würde es zu seiner Bescheidenheit passen, daß er eine einfache Bezeichnung seiner Stellung wählte. Es ist aber anzunehmen, daß ein Lese- oder Schreibfehler vorliegt und mit Cod. Vat. B. überhaupt praefecturam gelesen werden muß; werden doch Prätur und Quästur überhaupt nicht mehr genannt. 24 Demgemäß nehmen fast  alle neueren Gelehrten, welche das Leben Gregors behandeln, an, daß er Stadtpräfekt war. Justinian wird ihn zu dieser Würde ernannt haben, weil er einer der angesehensten Familien entstammte und neben andern empfehlenden Eigenschaften großen Reichtum besaß. Die Besitzungen der Familie lagen zum großen Teil in Sizilien, das noch dem oströmischen Reiche angehörte, und waren weder verwüstet noch gefährdet. Das aber war ein wichtiges Moment zu einer Zeit, wo bereits viele Senatorenfamilien verarmt waren.

Als Präfekt nahm Gregor die höchste Stelle in Rom ein. Es unterstand ihm die ganze Zivil- und Kriminalgerichtsbarkeit, Verwaltung und Polizei. Mit dem Papste regelte er den Einkauf und die Verteilung des Brotgetreides, mit dem magister militum traf er die Maßnahmen zur Verteidigung der Stadt. So übte sich Gregor in der Verwaltung und Rechtsprechung; so lernte er die soziale Not kennen und Mittel zur Abhilfe suchen.

Aber er fühlte sich nicht glücklich; während er im prächtigen Amtskleid durch die Stadt ritt und von dem Volke geehrt wurde, beschäftigte ihn der Gedanke, allem zu entsagen und sich von der Welt zurückzuziehen. Paulinus von Nola und Benedikt hatten es vor ihm getan; Cassiodor hat sich um 540 auf seine Besitzungen in Unteritalien zurückgezogen und das Kloster Vivarium gegründet; der Patrizier Liberius gründete ein Kloster in Kampanien. 25 Nach dem Tode seines Vaters Gordianus führte Gregor seinen Plan aus. Er scheint sich mit seiner Mutter Silvia dahin verständigt zu haben, daß sie in dem Palast auf dem Aventin, der ihr persönliches Eigentum war, Wohnung nahm, während er das väterliche Besitztum zu frommen Zwecken verwendete. Er gründete auf Sizilien sechs Klöster und verteilte an sie die dortigen Besitzungen; auch das väterliche Haus wandelte er in ein Kloster um und stattete es hinlänglich mit Gütern aus; den Rest verkaufte er, um den Erlös den Armen zu geben. Als alles das geregelt war, trat er selbst in das Kloster St. Andreas, das Kloster seines eigenen Hauses, ein, um das Jahr 574 oder 575. Auf  diese Weise wollte er der Welt mit ihren Sorgen entfliehen, aber er sollte bald wieder zu ihr zurückkehren; der Schmerz darüber hat ihn niemals verlassen. Gregor läßt später seinen Freund, Bischof Leander, einen Blick in sein damaliges Seelenleben werfen, wenn er an ihn schreibt: „Es war mir schon klar, was ich bei der ewigen Liebe suchen müsse, aber die Gewohnheit ließ es nicht zu, meinen äußeren Beruf zu ändern. Während ich mich so zwang, der Welt noch dem äußeren Scheine nach zu dienen, gewannen die Verhältnisse mitten unter den weltlichen Sorgen allmählich eine solche Macht, daß ich nicht mehr bloß dem Scheine nach, sondern, was schon schwerer wiegt, auch der Seele nach in der Welt zurückgehalten wurde. Dem allem entfloh ich endlich und suchte den Port des Klosters auf, ließ alles, wie ich damals freilich irrig annahm, was der Welt gehörte, zurück und entging nackend und bloß dem Schiffbruch dieses Lebens.“ 26

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