Essentielle Schriften, Band 1

Essentielle Schriften, Band 1 – Gregor von Nyssa

Gregor von Nyssa war von 372 bis 376 und von 378 bis zu seinem Tod Bischof von Nyssa. Er wird im römischen Katholizismus, der östlichen Orthodoxie, der orientalischen Orthodoxie, dem Anglikanismus und dem Luthertum als Heiliger verehrt. Gregor, sein älterer Bruder Basilius von Caesarea und ihr Freund Gregor von Nazianz sind unter dem Namen “Kappadokische Väter” bekannt. Gregor verfügte nicht über die administrativen Fähigkeiten seines Bruders Basilius oder den zeitgenössischen Einfluss von Gregor von Nazianz, aber er war ein gelehrter Theologe, der bedeutende Beiträge zur Trinitätslehre und zum Nizänischen Glaubensbekenntnis leistete. Die philosophischen Schriften Gregors wurden von Origen beeinflusst. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat das Interesse an den Werken Gregors erheblich zugenommen, insbesondere was die universale Erlösung betrifft, was zu einer Infragestellung vieler traditioneller Interpretationen seiner Theologie geführt hat. Dieser Band beinhaltet die “Große Katechese” und “Das Gebet des Herrn.”

Essentielle Schriften, Band 1

Essentielle Schriften, Band 1.

Format: eBook/Taschenbuch

Essentielle Schriften, Band 1

ISBN eBook: 9783849660437

ISBN Taschenbuch: 9783849667887

 

Auszug aus dem Text:

 

Kapitel 1. Eine göttliche Natur, aber mehrere göttliche Personen! Das Wort Gottes [- der Sohn Gottes] ist dem Vater gleichwesentlich.

1.

 Doch da auch die christliche Religionslehre einen Unterschied von* Personen* in der Einheit der* Natur* annimmt, so müssen wir, damit wir nicht etwa bei der Bekämpfung der heidnischen Vielgötterei unversehens in den Irrtum des Judentums fallen, letzteren durch genaue, sozusagen kunstmäßige Unterscheidung berichtigen. Denn nicht einmal den außerhalb unserer Glaubenslehre Stehenden ist die Gottheit ohne Wort; dies Zugeständnis wird unsere Auffassung vom Worte des Vaters gut anbahnen1. Wer nämlich bekennt, Gott sei nicht ohne Wort, wird jedenfalls von ihm auch zugeben, daß er ein Wort habe, eben weil er nicht ohne Wort ist.

Nun aber wird das Wort des Menschen mit dem nämlichen Ausdruck bezeichnet; wer sich nun entschließt, sich das Wort Gottes ähnlich vorzustellen wie das unsere, kann auf diese Weise zur richtigen Auffassung des Höheren geführt werden. Nur muß er beachten, daß das Wort Gottes, wie alles andere an Gott, seiner Natur entspreche. Denn man sieht an der menschlichen Natur auch Kraft, Weisheit und Leben; aber niemand wird sich durch die Gleichheit der Worte zur Annahme verleiten lassen, die Kraft oder die Weisheit oder das Leben* Gottes* wären ganz gleicher Art; sondern die Bedeutung solcher Begriffe erniedrigt sich in Beziehung auf uns nach dem Maße unserer Natur: weil vergänglich und schwach unsere Natur, darum ist kurz unser Leben, vergänglich unsere Kraft, flüchtig unser Wort. Dagegen die Bedeutung aller Aussagen, die wir von Gott machen, steigt hoch empor, gemäß der Erhabenheit dessen, auf den sie  sich beziehen. Darum darf man, wenn man vom Worte Gottes spricht, keineswegs meinen, dasselbe habe nur in der Anstrengung des Sprechenden seinen Bestand und trete, wie unser menschliches Wort, alsbald wieder in das Nichtsein zurück; sondern wie unsere Natur, weil hinfällig, auch ein hinfälliges Wort hat, so hat die unvergängliche und immer bestehende Natur auch ein* ewiges* und* festbleibendes* Wort.

 

2.

Ist nun folgerichtig zugestanden, das Wort Gottes sei ewig, so muß man notwendig auch zugeben, daß die Subsistenz des Wortes eine* lebendige* sei; denn es ist unstatthaft zu glauben, das Wort subsistiere nach der Art der Steine leblos. Vielmehr wenn es als etwas Geistiges und Unkörperliches subsistiert, so lebt es jedenfalls. Wäre es ohne Leben, so hätte es überhaupt keinen Bestand; nun aber hat sich die Meinung, das Wort Gottes habe keinen Bestand, als gottlos erwiesen; folgerichtig ist damit auch zugleich erwiesen, daß dieses Wort als ein lebendiges aufzufassen ist. Da ferner die Natur des Wortes mit Recht für einfach gehalten wird und man weder Zweifachheit noch Zusammensetzung bei ihr zuläßt, so wird wohl niemand demselben ein solches Leben zuschreiben, das es bloß auf Grund der Teilnahme besitzt ― eine derartige Meinung würde die Annahme einer Zusammensetzung einschließen, weil damit gesagt wäre, eines existiere durch das andere ―, sondern sobald man seine Einfachheit anerkennt, muß man auch einräumen, das Wort sei selbständiges Leben, nicht nur teilnehmend am Leben. Wenn nun das Wort lebt, weil es selbst Leben ist, so besitzt es auch Willenskraft; denn es gibt nichts Lebendiges, das ohne Willen wäre.

Die Ehrfurcht gegen Gott verlangt aber die weitere Folgerung, daß dieser Wille* mächtig* sei. Denn wollte jemand ihm keine Macht zuschreiben, so müßte er von ihm Ohnmacht behaupten. Aber Ohnmacht liegt fernab vom Begriff Gottes; denn nichts Widersprechendes läßt sich von der göttlichen Natur denken ― und man ist zu dem Bekenntnis gezwungen, die Macht des Wortes sei so groß wie sein Wille, damit an dem Einfachen nicht eine Vermischung oder Verbindung von Gegensätzen sich  zeige, nämlich Macht und Ohnmacht in ein und demselben Willen, insofern dieser zwar einiges vollbrächte, zu anderem aber unvermögend wäre. Eine Folge der* Allmacht* ist es sodann, daß der Wille des Wortes keine Neigung zum Bösen hat ― eine solche Neigung ist von der göttlichen Natur ausgeschlossen ―, sondern daß er alles Gute will, ferner daß er, was er will, auch kann, aber auch, daß er, was er kann, auch nicht ungeschehen läßt, vielmehr die guten Entschlüsse auch in die Wirklichkeit überführt. Gut ist nun die Welt und all das, was in ihr sich uns als weise und kunstvoll darstellt. Demnach sind alle Dinge das Werk des Wortes ― jenes Wortes, welches lebt und besteht, da es Gottes Wort ist, jenes Wortes, welches alles, was es will, vermag, jenes Wortes, welches alles Gute und Weise und überhaupt alles Treffliche will.

 

3.

Da nun einerseits zugestanden ist, daß die Welt gut ist, andererseits soeben der Beweis geliefert wurde, die Welt sei das Werk des Wortes, welches da das Gute sowohl will als auch ausführt, weil ferner das Wort von dem, der es ausspricht,* verschieden* ist ― denn dies bringt der korrelative Charakter des Ausdruckes „Wort“ mit sich, insofern man, sobald man „Wort“ sagt, auch an den Vater des Wortes denken muß, weil es kein Wort gibt, ohne daß es von jemand herrührt ―, unterscheiden wir also, sage ich, wegen des soeben erwähnten korrelativen Charakters, welcher dem Worte als solchem zukommt, verstandesmäßig und notwendig das Wort, sobald wir davon hören, von dem, von welchem es ist, so entrinnen wir der Gefahr, daß wir, während wir den heidnischen Anschauungen entgegentreten, in bedenklicher Weise den Bekennern der jüdischen Religion uns nähern; vielmehr vermeiden wir den Widersinn beider: wir anerkennen das Wort Gottes als lebendig, als wirkend und als schöpferisch, was der Jude nicht annimmt; zugleich aber leugnen wir im Unterschied von Heiden den Unterschied der Natur zwischen dem Worte selbst und dem, von welchem es ist.

Wie wir nämlich von unserem menschlichen Worte sagen, es habe seinen Ursprung im Verstande, ohne es  weder mit demselben ganz zu identifizieren, noch für völlig verschieden von ihm zu erklären ― denn weil das Wort aus dem Verstande ist, ist das Wort etwas anderes und nicht er; aber weil es ihn zur Offenbarung und zum Ausdruck bringt, wird man es auch nicht für etwas vollständig von ihm Verschiedenes halten können, sondern es bleibt der Natur nach mit ihm eins, wenn es auch der Existenz nach von ihm verschieden ist ―, ebenso ist auch das Wort Gottes durch sein selbständiges Sein von dem verschieden, von welchem es dieses selbständige Sein hat; aber dadurch, daß es an sich selbst aufweist, was wir an Gott erkennen, ist es der Natur nach mit jenem identisch, an dem sich die gleichen charakteristischen Eigenschaften finden. Denn mag man Güte oder Macht oder Weisheit oder Ewigkeit und Erhabenheit über Sünde, Tod und Verderben oder Allvollkommenheit und sonst etwas Derartiges als Kennzeichen des Vaters aufstellen; die nämlichen Kennzeichen muß man auch an dem Worte finden, das von ihm ausgeht.Kapitel 2. Der Heilige Geist ist ebenfalls eine göttliche Person.

Kapitel 2. Der Heilige Geist ist ebenfalls eine göttliche Person.

1.

Wie wir von menschlichen Verhältnissen aus durch eine hoch emporsteigende Betrachtung in der göttlichen Natur das* Wort* erkannten, so werden wir auf dem nämlichen Wege noch auf den Begriff des Geistes oder des Odems geführt, wenn wir gewisse Abschattungen und Abbilder der unaussprechlichen Macht in unserer eigenen Natur ins Auge fassen. Freilich ist bei uns der Odem eine Bewegung der Luft, die nicht zu unserer Natur gehört, die aber zur Erhaltung des Körpers notwendig ein- und ausgeatmet wird; durch sie wird, wenn wir ein Wort aussprechen, die Stimme erzeugt, durch die erst der Sinn des Wortes anderen zugänglich wird. Bei der göttlichen Natur ist ebenfalls die Existenz eines Odems oder Geistes frommgläubig gesetzt (gleichwie die Existenz des Wortes Gottes zugegeben wurde), wenn das göttliche Wort nicht unvollkommener sein kann als das  menschliche; außerdem würden wir ja das menschliche Wort mit Geist und Odem ausstatten, das göttliche aber dessen berauben.

Jedoch gebührt es sich in bezug auf Gott zu glauben, daß der Odem nicht nach Art des unsrigen als etwas zu Gott ursprünglich nicht Gehörendes ihm von außen zuströme und in ihm erst zum Odem werde, sondern es verhält sich hier ähnlich wie beim Worte: wie dieses weder etwas für sich Nichtbestehendes ist, noch durch Erlernung entstanden, noch durch die Stimme hervorgebracht, noch nach dem Entstehen vergänglich, noch mit den Mängeln belastet, an denen unser Wort leidet, sondern wesenhaft subsistierend, willenskräftig, wirkend und allmächtig ist, so verstehen wir auch, wenn wir vom Odem Gottes hören, der das Wort begleitet und seine Wirksamkeit offenbart, darunter keinen leeren Hauch des Atems ― denn eine Auffassung, welche Gottes Odem ganz nach Art des menschlichen sich vorstellt, würde die göttliche Erhabenheit zu unserer Niedrigkeit herabziehen ―, sondern eine wesenhafte Macht, welche in eigener Subsistenz, auf sich selbst fußend, uns entgegentritt, welche auch weder von Gott, in dem sie ist, noch vom Worte Gottes, das von ihr begleitet wird, losgetrennt werden kann, oder welche sich je in das Nichtsein ergießt, sondern welche, dem Worte Gottes ähnlich, hypostatisch existiert, ebenfalls willenskräftig, frei in der Bewegung, wirksam ist, das Gute will und für jeden Plan mit dem Willen zugleich die Macht zur Ausführung hat.Kapitel 3. Das Geheimnisvolle der Trinität und ihr Verhältnis zum heidnischen und jüdischen Gottesglauben.

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