Essentielle Schriften, Band 2

Essentielle Schriften, Band 2 – Philon

Philon von Alexandria war ein jüdisch-hellenischer Philosoph, geboren um 20 v. Chr., der 42 n. Chr. eine Mission der alexandrinischen Juden an den Kaiser Caligula begleitete, um gegen die Bedrückungen Abhilfe zu erbitten, denen dieselben ausgesetzt waren, weil sie das Bild des Imperators in ihren Synagogen auszufüllen sich weigerten. Als die Gesandtschaft vom Kaiser schnöde abgewiesen worden, verfasste er eine Rechtfertigungsschrift der Juden, die nach Caligulas Tod im Senat vorgelesen wurde. Er starb gegen 54. Seine auf allegorischer Deutung des Alten Testaments ruhende Philosophie fördert wesentlich stoische und platonische Gedanken ans Licht und betrachtet als Endzweck des Lebens, das Schauen Gottes durch asketische Kontemplation zu erreichen. Zwischen dem rein geistigen Gott und der irdischen Welt fungieren Mittelwesen, welche ebenso sehr den platonischen Ideen als den jüdischen Engeln entsprechen. Als ihre Zusammenfassung gilt der Logos, durch dessen Einführung Philons Lehre die Grundlage der Theologie der alexandrinischen Schule wurde. In diesem Band sind enthalten “Über die Tugenden”, “Über Belohnungen und Strafen”, “Über die Cherubim”, “Über die Trunkenheit”, “Über die Nüchternheit” und “Über die Verwirrung der Sprachen.”

Essentielle Schriften, Band 2

Essentielle Schriften, Band 2.

Format: Paperback, eBook

Essentielle Schriften, Band 2.

ISBN: 9783849666200 (Paperback)
ISBN: 9783849661779  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

UEBER EINIGE TUGENDEN, DIE MIT ANDEREN MOSES

GESCHILDERT HAT, NAEMLICH UEBER TAPFERKEIT,

FROEMMIGKEIT, MENSCHENLIEBE UND REUE

Ueber die Tapferkeit.

(1.) Nachdem ich früher über die Gerechtigkeit und über alles Wesentliche, was darauf Bezug hat, gesprochen habe, wende ich mich nun zunächst zur Tapferkeit. Unter Tapferkeit verstehe ich aber nicht, was die meisten dafür halten, die streitsüchtige Kampfwut, die sich vom Zorne leiten lässt, sondern das Wissen[1]2 Denn gar manche haben, von Wagemut getrieben, zu dem Körperstärke sich gesellte, wenn sie im Kriege mit voller Waffenrüstung in Reih’ und Glied standen, zahllose von der kriegsfähigen Mannschaft der Feinde niedergeschlagen und damit unverdienterweise grossen Ruf der Tapferkeit sich erworben; sie wurden von denen, die in solchen Dingen zu urteilen pflegen, für besonders ruhmreiche Sieger gehalten, während sie (in Wahrheit) von Natur und durch Uebung nur eine Art wilder Tiere sind, die nach Menschenblut dürsten. 3 Andere dagegen, die sogar zu Hause bleiben müssen, weil ihr Körper durch langwierige Krankheiten oder durch das beschwerliche Alter geschwächt ist, die aber in ihrem besseren Teile, der Seele[2], noch gesund und kräftig und von mutiger Gesinnung und tapferer Entschlossenheit erfüllt sind, haben oft, ohne jemals eine Waffe zur Abwehr anzurühren, durch gemeinnützige Erteilung guter Ratschläge die gesunkene Lage sowohl jedes einzelnen als des ganzen Vaterlandes wieder aufgerichtet, weil sie in ihren auf das Gemeinwohl gerichteten Erwägungen fest und unbeugsam waren. 4 Diese üben die wahre Tapferkeit, da ihr Handeln sich auf Weisheit gründet, jene dagegen die fälschlich so genannte — denn sie leben in unheilbarer Krankheit, in Unwissenheit — , die man eigentlich (richtiger) „Keckheit“ nennen könnte; es verhält sich damit wie mit der gefälschten Münze, die man auch als einem wahren Bilde ähnlich bezeichnet.

5 (2.) Es gibt aber noch viele andere Dinge im menschlichen Leben, die nach übereinstimmender Ansicht schwer zu ertragen sind: Armut, geringes Ansehen, Blindheit und mannigfache Arten von Krankheiten. Diesen gegenüber werden die Schwachsinnigen mutlos und können sich vor Verzagtheit gar nicht aufraffen; die aber, die von Einsicht und wackerer Gesinnung erfüllt sind, kämpfen gegen sie an und widersetzen sich ihnen tapfer und kräftig, lachen und spotten ihrer Drohungen und Schrecknisse: der Armut stellen sie den Reichtum entgegen, nicht den blinden, sondern den scharfblickenden[3], dessen Schmucksachen und Kostbarkeiten die Seele bei sich bewahrt. 6 Die Armut nämlich hat schon viele niedergeworfen, die nach Art erschöpfter Ringkämpfer durch ihr unmännliches Wesen verweichlicht hinsanken. Arm ist aber nach dem Richterspruch der Wahrheit eigentlich keiner, da jedem der unzerstörbare Reichtum der Natur zur Verfügung steht: die Luft, die erste, unentbehrlichste und beständige Nahrung, die ununterbrochen Tag und Nacht eingeatmet wird, sodann Quellen in reicher Menge und immer fliessendes Wasser von Bergströmen und Quellflüssen zum Trinken, endlich zur Speise die Mengen verschiedener Erdfrüchte und alle Arten von Bäumen, die alljährlich immer ihre Ernte liefern. An diesen Dingen leidet niemand Mangel, alle vielmehr haben überall grossen Ueberfluss daran[4]7 Wenn aber manche diesen Reichtum der Natur für nichts achten und dem Reichtum ihrer eitlen Wahnvorstellungen nachjagen, so stützen sie sich auf einen Blinden statt auf einen Sehenden, benützen als Wegführer einen Geblendeten und müssen daher mit Notwendigkeit fallen. 8 (3). Es ist der den Körper schützende Reichtum, eine Erfindung und ein Geschenk der Natur, über den wir eben gesprochen haben. Wir müssen aber auch von dem edleren sprechen, der nicht allen, sondern nur den wahrhaft ehrwürdigen und gottbegnadeten Männern zuteil wird. Diesen Reichtum beschert die Weisheit durch die Grundsätze und Lehren der Logik, Ethik und Physik, aus denen die Tugenden hervorgehen, die der Seele den Hang zu grossem Aufwand nehmen und die Liebe zur Einfachheit und Genügsamkeit in ihr erzeugen, wodurch sie Gott ähnlich wird[5]9 Denn Gott ist bedürfnislos, er braucht nichts, sondern ist sich selbst durchaus genug. Der Unverständige[6] hat viele Bedürfnisse, er dürstet immer nach den Dingen, die nicht da sind, aus unstillbarer und unersättlicher Begierde, die er wie ein Feuer immer wieder anfacht und entzündet und auf alle Dinge, kleine wie grosse, hinlenkt. Der Weise[7] dagegen braucht wenig, er steht auf der Grenze zwischen unsterblicher und sterblicher Natur, er hat zwar Bedürfnisse wegen seines sterblichen Leibes, braucht aber nicht viel wegen der Seele, die nach Unsterblichkeit strebt. 10 So stellen sie der Armut den Reichtum entgegen. Ebenso dem geringen Ansehen den Ruhm; denn das Lob, das ja zum Ausgangspunkt die Tüchtigkeit hat und daraus wie aus einer nie versiegenden Quelle fliesst, wohnt nicht bei der Menge unerprobter Menschen, die das ungleichmässige Wesen ihrer Seele zu enthüllen pflegen durch ihre unzuverlässigen Stimmen, die sie bisweilen, ohne zu erröten, um schnöden Gewinn verkaufen gegen die auserwählten Besten. Die Zahl dieser ist aber gering; denn die Tugend ist nicht sehr weit verbreitet im sterblichen Geschlecht. 11 Der Blindheit der Sinne ferner, an der viele noch bei Lebzeiten gleichsam vorher gestorben sind, weil sie kein dagegen schützendes Heilmittel finden konnten, steht die Einsicht gegenüber, das Beste von allem in uns, die den Geist erleuchtet, die an Sehschärfe die leiblichen Augen in allem und jedem weit übertrifft. 12 Denn diese nehmen nur die Oberfläche der sichtbaren Dinge wahr und bedürfen zugleich des Lichtes von aussen[8], die Einsicht dagegen dringt auch in die Tiefe der Körper ein, erforscht sie durch und durch in allen ihren Teilen und beobachtet auch das Wesen der unkörperlichen Dinge, das die sinnliche Wahrnehmung nicht zu sehen vermag; sie besitzt nahezu die ganze Sehschärfe des Auges, ohne des unechten Lichtes zu bedürfen, denn sie ist selbst ein Stern und beinahe ein Abbild und eine Nachahmung der Himmelskörper. 13 Krankheiten des Körpers endlich schaden wenig, wenn die Seele gesund ist. Die Gesundheit der Seele aber besteht in der guten Mischung der Kräfte, die im Gemüt, im Begehrungsvermögen und im Denkvermögen enthalten sind, wofern nämlich die Denkkraft die Herrschaft führt und die beiden anderen wie widerspenstige Rosse am Zügel hält. 14 Der dieser Gesundheit eigentümliche Name ist Besonnenheit, weil sie Heil schafft dem denkenden Teil in uns[9]; denn sie lässt den Verstand, der oft in Gefahr ist vom Sturm der Leidenschaften hingerissen zu werden, nicht ganz versinken, sondern zieht ihn hinauf und hebt ihn hoch empor, beseelt und belebt ihn und macht ihn gewissermassen unsterblich. 15 Ueber alles Gesagte aber sind in der (Mosaischen) Gesetzgebung an vielen Stellen Anweisungen und Lehren verkündigt, die die Gehorsamen in milden und die Ungehorsamen in strengeren Worten zu überreden suchen, die körperlichen und die äusseren Güter[10] zu verachten, ein Ziel als erstrebenswert anzusehen, das tugendhafte Leben, und mit Eifer alles zu verfolgen, was darauf hinführt. 16 Und wenn ich nicht schon in den früheren Büchern[11] alles besprochen hätte, was zur Bescheidenheit gehört, so würde ich im gegenwärtigen Augenblick versuchen, in längerer Ausführung die zerstreut an verschiedenen Stellen gegebenen Vorschriften zusammenzustellen und zu erörtern. Da ich aber alles bereits gesagt habe, was am Platze war, so mag ich hier nicht dasselbe wieder sagen. 17 Wer es jedoch nicht verschmäht, sondern sich ernsthaft Mühe gibt meine früheren Schriften zu lesen, der muss merken, dass alles, was darin über Bescheidenheit gesagt ist, so ziemlich auch von der Tapferkeit gilt; denn die Aufgabe einer starken, edlen und kraftvollen Seele ist es, alles zu verachten, was der Hochmut zu verehren pflegt zum Schaden für das wahrhafte Leben.

18 (4.) Das Gesetz zeigt aber ein so eifriges Bestreben, die Seele zur Tapferkeit heranzubilden und auszurüsten, dass es selbst über die Beschaffenheit der Gewänder, die man anlegen soll, eine Verordnung erlassen hat: es verbietet nämlich nachdrücklich dem Manne, ein weibliches Gewand anzuziehen (5 Mos. 22,5), damit auch nicht eine Spur oder ein Schatten des Weibischen ihm anhafte zum Schaden des männlichen Geschlechts. Das Gesetz schliesst sich nämlich stets der Natur an und will bestimmen, was zueinander passt und miteinander im Einklang steht, bis zum äussersten und bis zu den Dingen, die wegen ihrer Geringfügigkeit anscheinend keine Beachtung verdienen. 19 Denn da der Gesetzgeber sah, dass die Körpergestalten des Mannes und des Weibes, wie auf einer Tafel gezeichnete Figuren, ungleich seien und dass den beiden Geschlechtern nicht dasselbe Leben zugewiesen sei — dem einen nämlich ist das Leben im Hause, dem andern das Leben in der staatlichen Gemeinschaft zugeteilt —, so hielt er es für nützlich, auch in anderen Dingen, die nicht von der Natur geschaffen sind, sondern im Anschluss an die Natur von kluger Einsicht ersonnen werden, bestimmte Anordnungen zu treffen: es sind das die Bestimmungen über Lebensführung, über Kleidung und ähnliche Dinge. 20 Er wollte, dass der wahre Mann auch in diesen männlich auftrete und ganz besonders in der Kleidung: in dieser, die er immer Tag und Nacht trägt, darf er nicht das geringste Zeichen unmännlichen Wesens zeigen. 21 In derselben Weise wollte er auch die Frau an den passenden Schmuck gewöhnen und verbot ihr daher männliche Kleidung anzulegen[12], weil er ebenso wie die weibischen Männer die Mannweiber fernhalten wollte; denn wenn man, wie bei einem Bauwerk, ein Stück wegnimmt, so bleiben auch, wie er wusste, die übrigen nicht in dem gleichen Zustande.

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