Essentielle Schriften, Band 3

Essentielle Schriften, Band 3 – Philon

Philon von Alexandria war ein jüdisch-hellenischer Philosoph, geboren um 20 v. Chr., der 42 n. Chr. eine Mission der alexandrinischen Juden an den Kaiser Caligula begleitete, um gegen die Bedrückungen Abhilfe zu erbitten, denen dieselben ausgesetzt waren, weil sie das Bild des Imperators in ihren Synagogen auszufüllen sich weigerten. Als die Gesandtschaft vom Kaiser schnöde abgewiesen worden, verfasste er eine Rechtfertigungsschrift der Juden, die nach Caligulas Tod im Senat vorgelesen wurde. Er starb gegen 54. Seine auf allegorischer Deutung des Alten Testaments ruhende Philosophie fördert wesentlich stoische und platonische Gedanken ans Licht und betrachtet als Endzweck des Lebens, das Schauen Gottes durch asketische Kontemplation zu erreichen. Zwischen dem rein geistigen Gott und der irdischen Welt fungieren Mittelwesen, welche ebenso sehr den platonischen Ideen als den jüdischen Engeln entsprechen. Als ihre Zusammenfassung gilt der Logos, durch dessen Einführung Philons Lehre die Grundlage der Theologie der alexandrinischen Schule wurde. In diesem Band sind enthalten “Über den Erbe des Göttlichen”, “Über das Zusammenleben um der Allgemeinbildung willen”, “Über die Flucht und das Finden” und “Über die Träume.”

Essentielle Schriften, Band 3

Essentielle Schriften, Band 3.

Format: Paperback, eBook

Essentielle Schriften, Band 3.

ISBN: 9783849666200 (Paperback)
ISBN: 9783849661779  (eBook)

 

Auszug aus dem Text:

 

Über den Erbe des Göttlichen

Übersetzer: Joseph Cohn

Diese Schrift Philos ist eine rein allegorische Erklärung von 1 Mos. 15, 2–18 mit der Haupttendenz, das Ideal eines vollkommen tugendhaften, gotterfüllten Weisen zu zeichnen, der der ewigen Glückseligkeit würdig und teilhaftig ist. Die Beantwortung der in der Überschrift gestellten Frage ist eigentlich schon mit § 129 erledigt, wenn auch Philo noch hier und da auf sie anspielt und zum Schluß (§ 303) ausdrücklich auf sie zurückkommt.

Das zweite Thema wird beiläufig § 133–229 behandelt. Nachdem Philo (§ 130–132) die Bibelworte: „Er teilte sie (die ihm gebrachten Tiere Kalb, Widder und Ziege) mitten durch und legte die Stücke einander gegenüber“ (1 Mos. 15, 10) allegorisch dahin erklärt hat, daß Gott die Seele in Vernünftiges und Vernunftloses, die Sprache in Wahrheit und Lüge, die Sinnlichkeit in faßbare und unfaßbare Vorstellungen mit seinem Logos als Teiler zerlegt und die Teile einander gegenübergestellt hat, schildert er daran anknüpfend die gesamte Zerlegungstätigkeit des Logos, der die Welt ihre Entstehung und ihr Dasein verdankt. Alles sei geworden durch die Teilung des Urstoffes, der Substanz des Weltganzen, in die vier Elemente und durch deren Zerlegung. Sonst (z. B. § 197 und 199) läßt Philo, wie die Stoiker, die Welt durch Zusammensetzung, Mischung und Verbindung der Elemente entstehen. Mit Anlehnung an das Bibelwort: „Er teilte mitten durch“ sagt dann Philo, daß alles in der Welt einander gleich ist, teils vollständig gleich, teils an Größe, Gewicht oder Wert, teils verhältnismäßig, teils deswegen, weil alles aus Gottes Hand hervorgegangen ist und an seiner Meisterschaft teilhat.

Schließlich geben die Worte: „Er legte sie einander gegenüber“ ihm Veranlassung, die auf Heraklit zurückgehende und besonders von den Stoikern begründete Lehre von der Einheit der Gegensätze und der auf ihnen beruhenden Weltharmonie zu behandeln. Wie die in § 132 gegebenen Beispiele lehren, bilden die Gegensätze ursprünglich eine Einheit, sie gehören zueinander, sie bedingen und benötigen einander (Über die Cherubim § 111f.). Wie das Licht zu seiner Kennzeichnung und Würdigung die Finsternis benötigt, so werden das sittlich Gute, die Wahrheit, die Tugend, die Gerechtigkeit usw. in ihrem ganzen Wert und ihrer Vorzüglichkeit dadurch erkannt, daß man jedes seinem Gegenteil gegenüberstellt und mit ihm vergleicht (§ 306). Die Gegensätze sind durch unsichtbare „geistige Sehnen“ verbunden (§ 242); „göttliche Kräfte“ durchziehen und durchdringen sie, heben jedoch ihre Gegensätzlichkeit nicht auf, sondern lassen die Verschiedenheit ihrer Naturen deutlich erkennen (§ 312). Diese „göttlichen Kräfte“ sind offenbar die des alles zusammenhaltenden Logos (§ 188). Dessen Wirksamkeit als Teiler wird § 235 mit der kritischen Tätigkeit des Menschengeistes verglichen, der ebenfalls alles sichtet und sondert, schneidet und zerlegt, um zur Erkenntnis der Wahrheit, zu einem richtigen Urteil zu gelangen. Ohne Zweifel hat die Betrachtung dieser Seite des Menschengeistes die griechischen Philosophen zur Lehre von dem teilenden Logos geführt. Bei Heraklit hängt diese Lehre sicherlich zusammen mit seinen Lehrsätzen „alles fließt“, „alles ist in beständigem Wechsel“, „Überfluß und Mangel“ (heraklitische Bezeichnung für das Werden der Welt aus dem Feuer und ihr Aufgehen in Feuer), die aber Philo All. Erkl. III § 7 bei der Erklärung von 4 Mos. 5, 2 (die Entfernung des זב‎ aus dem Lager) als Gegner der Lehre vom Weltuntergang (§ 228) scharf bekämpft. Nur die Lehre von der Einheit der Gegensätze akzeptiert er, weil ihm 1 Mos. 15, 10 diese zu enthalten scheint.

Inkonsequenzen begegnen uns auch in dieser philonischen Schrift nicht selten. So folgt er bei der Einteilung der Seelenkräfte bald der platonischen (§ 225), bald der stoischen Ansicht (§ 232); so nimmt er die Abraham befohlene Auswanderung aus der Heimat bald im buchstäblichen Sinne (§ 26, 277, 287), bald versteht er darunter die Abwanderung und Loslösung von der chaldäischen Weltvergötterung (§ 97f. und § 289), bald die Auswanderung aus sich selbst, das Sichversetzen in den ekstatischen Zustand (§ 69). Für die sonderbare Art Philos, die mannigfachsten Theorien in einen Bibelvers hineinzuinterpretieren, geben uns die §§ 277–283 ein interessantes Beispiel. Die einfache und einzig richtige Erklärung der an Abraham gerichteten Worte: „Du wirst zu deinen Vätern eingehen“ weist er zurück; es sei undenkbar, daß ihm die Wiedervereinigung seiner Seele mit denen seiner Eltern und Verwandten, von denen er sich auf göttlichen Befehl habe trennen müssen, verheißen werden konnte. Mithin müssen „Väter“, zu denen die Seele zurückkehrt, andere Erzeuger sein, und zwar sind es erstens nach der (von ihm sonst bekämpften) Ansicht der Chaldäer Sonne, Mond und Sterne, denn sie sind die Urheber und Erzeuger alles dessen, was auf Erden ist und geschieht, – zweitens nach der idealistisch-platonischen Theorie die Urideen, die als wirkende Ursachen anzusehen sind, – drittens nach der materialistisch-stoischen die vier Urkräfte oder Elemente, aus denen die Welt entstanden ist, und viertens nach der aristotelischen das fünfte (oder dem Range nach erste) Element, der Äther, aus dem der Himmel mit allen Sphären besteht und von dem auch die Seele (oder wenigstens der tätige Geist νοῦς ποιητικός) ein Teilchen ist. Allem Anschein nach teilt Philo die letzte Ansicht, daß die Seelen der Verstorbenen sich zum Äther aufschwingen; auch in der Schrift Über die Geburt Abels usw. § 5 erklärt er mit Bezug auf ויאסף אל עמיו‎ (1 Mos. 25, 8), daß Abraham, „als er das Irdische verließ, dem Volke Gottes zugestellt wurde und, den Engeln gleich geworden, Unsterblichkeit genießt“; die Engel aber – das Volk Gottes – weilen „hoch oben am Äther“ (Über die Pflanzung Noahs § 14). Auffallend ist jedoch, daß Philo, nachdem er einmal aus dem Plural „Väter“ einen Singular gemacht hat, nicht auf den Gedanken kommt, für Äther Gott zu setzen in Übereinstimmung mit seinen eignen Worten in §§ 56 und 184. Denn die Ansicht, daß die Seele ein Teilchen des Äthers ist, teilt Philo wohl nicht, s. die Anm. zu § 283.

Inhaltsübersicht.

Einleitung. Beim Empfang der göttlichen Lohnverheißung 1 Mos. 15, 1 spricht und fragt Abraham; eigentlich hätte er sprachlos vor Freude, schweigend den Inhalt der ihm zuteil gewordenen Offenbarung überdenken sollen (§§ 2–4), aber als treuer Diener durfte er freimütig reden (§§ 5–9). Das Gebot: „Schweige und höre“ (5 Mos. 27, 9) gilt nur für Unwissende; Moses als treuer Diener und Freund Gottes darf es sogar wagen, sich überlaut zu äußern und ihm Vorwürfe zu machen (§§ 10–21). Ebenso Abraham, der Freimütigkeit mit Ehrfurcht und tiefster Demut verbindet (§§ 22-30).

  1. Wer ist Erbe der göttlichen Dinge?

  1. § 31–65 zu 1 Mos. 15, 2–3: Abrahams Entgegnung zur Lohnverheißung.
  2. Die Frage: „Was willst du mir geben?“ ist eine Danksagung für empfangene Wohltaten (§ 31–32); in den Worten „ich gehe kinderlos von hinnen“ liegt der Wunsch, kein unfruchtbares Leben zu führen, statt der vergänglichen Güter ein unsterbliches Gut, die himmelanstrebende Tugend, zu besitzen und zu verbreiten, würdige Erben zu hinterlassen (§§ 33–38), und ein solcher kann wohl der Sohn der Masek nicht sein (§ 39).
  3. Unter Masek ist (zufolge der etymologischen Deutung des Wortes) die uns allen anhaftende, von allen geliebte Sinnlichkeit zu verstehen, die die meisten Menschen als ihre Herrin, die Weisen aber, die wahrhaft Lebenden, als Dienerin ansehen (§§ 40-53).
  4. Sohn der Masek ist Damaskos Elieser. Damaskos bedeutet „Blut des Kleides“, d. i. das im Blute sich zeigende Leben des Körpers, denn „Blut ist die Seele alles Fleisches“ (3 Mos. 17, 11), durch Blut lebt der Körper und der vernunftlose Seelenteil. Elieser bedeutet: „Gott ist meine Hilfe“, denn der Körper lebt und besteht durch die Hilfe Gottes. Auch Moses nennt seinen zweiten Sohn Elieser, denn die Hilfe Gottes rettet ihn aus der Hand Pharaos, des mächtigen Feindes der Tugend und Gottesfurcht (§§ 54–62).
  5. Natürlich kann nicht der Sohn der Sinnlichkeit, der nach sinnlichen Genüssen strebende, der ersehnte Erbe sein, sondern derjenige, in dem der reinste Geist, die Vernunft, allein herrscht und den Körper und die Sinnlichkeit für nichts achtet. Da ich, fragt Α., einen Sohn dieser Art nicht habe, „soll etwa mein Hausgeborener mich beerben?“ (§§ 63–65).
  6. §§ 66–74 zu V. 4: Die Beantwortung der Frage.
  7. „Sogleich“, d. h. ihn unterbrechend, „drang zu ihm die Stimme Gottes“, in seine Seele und erfüllte sie. „Nicht dieser wird dich beerben,“ sondern der aus dir herausgeht“, der Geist, der aus dem Körper, der Sinnlichkeit, dem Sprachvermögen auswandert und sich selbst entflieht (ekstatisch nach der Weise der Propheten) (§§ 66–70).
  8. Wie diese Auswanderung erfolgt (§§ 71–74). III. §§ 75–89 zu V. 5, der den Beweis dafür enthält, daß der „Hinausgegangene“ der Erbe ist.
  9. „Zum Himmel“, zur Schatzkammer der göttlichen Güter, nach 5 Mos. 28, 10 (§§ 75–76); „blicke empor“, denn der „Hinausgegangene“ sieht, während die anderen blind sind, da sie das Böse statt des Guten wählen; sie sehen zur Erde hinab, jener „empor“ zum Himmel und auf das Manna, die göttliche Weisheit, die Nahrung der Seele (§§ 77–80).
  10. Erklärung der scheinbaren Tautologie „hinausführte er ihn nach außen“; man kann zugleich außen und innen sein, außen mit der Seele und innen mit dem Körper und umgekehrt (§§ 81–85).
  11. „So“ soll deine Nachkommenschaft sein, gleich an Zahl und glückselig wie die Sterne; die Seele des Weisen soll ein Ebenbild des Himmels sein (§§ 86–89).
  12. §§ 90–95 zu V. 6: Abrahams Gottvertrauen.
  13. Warum dieses betont und gerühmt wird (§§ 90–93) und
  14. warum es ihm als Gerechtigkeit angerechnet wurde (§§ 94–95).
  15. §§ 96–99 zu V. 7: „Ich habe dich herausgeführt aus dem Lande der Chaldäer“, d. h. aus dem Lande der Weltvergötterung; „um dir das Land als Erbe zu geben“, d. h. die rechte Weisheit und Gotteserkenntnis; das ist das verheißene Erbe.
  16. §§ 100–101 zu V. 8: Die Frage „woran soll ich erkennen“? enthält keinen Zweifel an der göttlichen Verheißung; A. will nur wissen, wie er zur Weisheit gelangen könnte.

VII. §§ 102-129 zu V. 9. Gottes Antwort.

  1. „Nimm“, sagt er, nicht „gib“, denn alles ist sein Eigentum; und ferner: Nimm „für mich“, nicht für dich, d. h. hüte sorgfältig die dir anvertrauten Güter: Seele, Sprache und Sinne und verwalte sie gut (§§ 102–108).
  2. Wie man diese Güter behandeln soll und nicht behandeln darf (§§ 109-111).
  3. „Nehmet für mich“ finden wir auch bei der Anfertigung des Stiftszeltes, das ein Bild der göttlichen Tugend und Weisheit auf Erden ist (§§ 112-114).
  4. Hier sollen „Erstlinge“ Gott geweiht werden, anderswo das „Ende“, denn Anfang und Ende sind Gottes Werk (§ 113–124).
  5. Nachträgliche Erklärung der schon § 106 kurz erwähnten allegorischen Deutung von Kalb, Widder und Ziege, sowie der beiden Tauben. Dazu über die Namen Sepphora und Phua (§§ 125–128).

VIII. § 129–132 zu V. 9: „Er nahm ihm alles dieses“, d. h. er bewahrte für ihn sorgfältig die ihm anvertrauten Güter. (Gott) „teilte“ mit seinem Logos als Teiler die Seele, Sprache und Sinneskraft; „das Beflügelte“, die göttliche und die menschliche Weisheit, „teilte er nicht“.

  1. Die Teilung in Gleichheiten und Gegensätze (§§ 133–229).

  1. Die Tätigkeit des teilenden Logos bei der Weltschöpfung (§§ 133–166).
  2. Teilung der formlosen Weltsubstanz in die Elemente und der aus diesen entstandenen Geschöpfe (§§ 133–140).
  3. Die Teilung „mitten durch“ in zwei völlig gleiche Stücke. Zwei Dinge können einander gleich sein an Zahl, Größe und Wert, sowie nach proportionalem Verhältnis; doch hinsichtlich ihres Anteils an der göttlichen Meisterschaft sind alle Dinge einander gleich, z. B. der Mensch dem Weltganzen (§§ 141–160).
  4. Die Gleichteilung in der Bibel (§§ 161–206).

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