Geschichten aus dem Schwarzwald

Geschichten aus dem Schwarzwald – Heinrich Hansjakob

In dieser Sammlung finden sich viele der besten Novellen des großen Heimatautors, darunter “Afra”, “Aus dem Leben eines Glücklichen”, “Aus dem Leben eines Unglücklichen”, “Aus dem Leben eines Vielgeprüften”, “Der Fürst vom Teufelstein”,  “Theodor, der Seifensieder” …

Geschichten aus dem Schwarzwald

Geschichten aus dem Schwarzwald.

Format: eBook

Geschichten aus dem Schwarzwald.

ISBN eBook: 9783849655792.

 

 

Auszug aus “Afra”:

 

Auf wunderschöner Waldeshöhe, ringsum bewacht von den düstern Bergkuppen des oberen Kinzigtals, steht eine Kultur-Oase mitten im Waldmeer, der Fohrengrund genannt. Auf ihr erhebt sich zauberhaft eine einsame, malerische Hütte. Sie gehörte vor fünfzig Jahren einem Kleinbauern, dem auf den grünen Matten um die Hütte das Gras wuchs, um damit zwei Kühlein und ein »junges Stück« zu füttern, und der auf den mageren Aeckerlein unter derselben die Kartoffeln und das Korn pflanzte für seinen und seiner Familie Unterhalt.

Der Wald ob der Kutte war sein und gab ihm die Mittel an die Hand, Bargeld zu bekommen, um sich und die Seinen kleiden, Steuer und Umlage zahlen und an Sonn- und Feiertagen drunten im Tal bisweilen einen Schoppen trinken zu können. Einmal im Jahre trieb er auch ein Stück Vieh zu Markt und brachte so »ein Geld« heim.

Er stammte aus dem Tal drunten, hatte in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts mit seinem Weib die wunderbare Hütte erheiratet und ward fortan nach seinem Vornamen genannt »der Fohrengrund-Xaveri«.

Es waren ihm und seinem Weib, der Franziska, im stillen Laufe der Zeit zwei Meidle groß geworden. Sie hießen mit gar schönen und passenden Namen Afra und Maria Eva.

Die Meidle im Kinzigtale, namentlich um Hasle rum, wo im Dorfe Mühlenbach Sankt Afra Patronin ist, tragen nicht ungern den Namen dieser Heiligen. Sie war bekanntlich in ihrer Jugend eine Sünderin der Art, wie Frauen sündigen, und später, allerdings noch in ihrer Blütezeit, eine Märtyrin und heilige Gottes.

Ihre Schutzkinder im Kinzigtal, die »Oferle«, sind meist lustige, lebensfrohe Meidle, denen später auch ein Martyrium blüht, das Martyrium der Mühen, der Sorgen, der Kümmernisse und der Heimsuchungen, wie es auf dieser armen Erde kaum einem Sterblichen erspart bleibt.

Afer und Afra sind überhaupt alle Menschen: jung – fröhlich, leichten Sinnes und gar oft gottvergessen, im späteren Alter aber Märtyrer in irgend einer Art.

So ging’s auch der Afra im Fohrengrund. Ihr Martyrium muß Mitleid bei jedem erregen, der davon erfährt.

Und auch Eva ist stets ein rechter und echter Name für Wibervölker, unter denen gar selten eine lebt, die keine Eva ist mit all’ den Fehlern der Stammutter, und was sie Gutes haben und genießen, diese Wibervölker, ihr Ansehen in der Welt und ihre spärlichen Tugenden, verdanken sie Maria, der zweiten Eva, der Mutter des Erlösers.

Maria ist also der schönste und passendste Frauenname.

Drum haben in Anbetracht all’ dessen die Väter und Mütter der vergangenen Jahrhunderte so gerne, wie das Landvolk es jetzt noch tut, ihre Töchter Maria Eva genannt.

Die Afra und die Mariev im Fohrengrund hatten einsame Tage auf ihrer Waldhöhe. Im Winter besonders, wo die Föhren und die Tannen ringsum unter der Schneelast ächzten und der Schnee so gewaltig auf der Erde lag, daß sie nicht einmal an Sonntagen hinabkamen in die Dorfkirche – im Winter hatten sie keine Spinnstuben-Abende und konnten nirgends hin mit ihren Spinnrädern »z’ Liacht goh«.

Zwar lag zehn Minuten von ihrer Hütte weg eine andere im Walde; aber die Leute dort und selbst ihre Tochter waren scheue, unnachbarliche Menschen, die am liebsten allein blieben. Und eine halbe Stunde weiter oben in einer Waldecke standen die »Waldhäusle«; aber dort gab’s lauter Buben, denn die Meidle waren fort im Dienst.

Buben gehören zwar auch in die Spinnstuben, aber da in den Waldhäuslen keine Meidle waren, hatten die des Xaveri keine Ausrede, um mit dem Spinnrad zu Buben zu kommen.

So saßen denn zur Winterszeit des Fohrengrund-Xaveris Weib und ihre Meidle allein beim Spinnen.

Es war eines Winterabends um den Dreikönigstag des Jahres 1860. Der angezündete Holzspan stand auf einem Stock in der Mitte der Stube und erleuchtete diese matt. Um den mit Wasser gefüllten Kübel, in welchen des Spans verbrannte Reste zischend fielen, saßen die Wibervölker und spannen, während der Xaveri auf der Ofenbank seine Pfeife rauchte. Da fing die Afra also zu reden an:

»Meinet ou Muatter, i han gestert, wo i ous der Vesper heim bei (bin), a schös Liad g’lehret. Im Löchle beim Löchlebaur sin Meidle gsei, ousm Tös, vom Reiblisberg, vom Fräulisberg und ousm Dachsloch. Die sind alle bei oanander gsei und hant Liader g’sunge. Und eine, ‘s Töse Ammrei, die im Untertal dienet hot, hot a ganz neu’s Liad g’sunge und des hau i g’lehret.«

»Loset (höret), Muatter, i will des Liad singe.«

»’s ist mir nit singerig ums Herz,« meinte die Alte, »aber wenn’s ein schönes, christliches Lied ist, kannst du’s singen, du kommst dann selbst einmal auf andere Gedanken.«

»’s ist ein ganz fromm’s Lied, Mutter,« fiel die Mariev ein, »d’ Afra hat mir’s gestern abend noch vorg’sunge in der Kammer droben.«

»Also sing’s,« sprach spöttisch der Xaveri, seine Pfeife einen Augenblick aus dem Mund nehmend; »deine Mutter hat noch nie gesungen, so lang ich sie hab’, heringegen kann sie um so besser schelten. Wenn sie singen könnt’, wie schelten, wär’ sie die größte Sängerin auf der Welt.«

»Halt dei Moul, Alter,« keifte die Franziska, »wenn du a Frau hättest, die nit schimpfet, du hättest schon lang kein ganz Hemd mehr am Leib.«

»Sing, Oferle, sing!« lachte der Xaveri, »sonst geht der Teufel wieder los, wie am letzten Märkt, wo i z’ Schilte gsei bei und a Räuschle heimtrage hau.«

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