Sibylle – Ida Gräfin Hahn-Hahn
Der Roman beschreibt das Leben der holsteinischen reichen Erbin Sibylle, ihre Reisen und Liebesgeschichten. Die Autorin war eine der meistgelesenen ihrer Zeit und wurde selbst von Leuten wie Eichendorff oder Fontane gepriesen.
Format: eBook
Sibylle.
ISBN eBook: 9783849655785.
Auszug aus dem Text:
Langsam und mit großen Qualen zieht sich das Leben von mir zurück und ich weiß es. Wäre irgend eine Spur von Trauer, Schmerz oder Bedauern in mir, so wäre das keine günstige Stimmung um mein Leben wahr zu beschreiben. Der Abschiedsschmerz könnte auf mich wirken wie die Glut der untergehenden Sonne auf das Auge: möge die Erde noch so fahl und grau sein, das Abendroth verklärt sie! und so könnte auch mir Manches sich schöner darstellen als es war. Oder wären jubelnde Hofnungen in mir, sänge meine Seele im Glauben Psalmen, in der Liebe Hymnen: so würde ich den Tod mit feuriger Sehnsucht begrüßen und auch dann die Erde und meine Vergangenheit wie einen Tummelplatz kindlicher Spiele betrachten wohin sich der Blick mit Wehmuth wendet. Aber so ist es nicht mit mir! ich lebe ohne Interesse für mich, daher habe ich auch keine Theilnahme für meinen Tod. Alles hört auf: Alles! Kein Gedanke ist wechsellos, keine Empfindung dauernd, kein Wille anhaltend, kein Gefühl unvergänglich; der Wunsch stirbt in der Erfüllung, das Verlangen im Genuß, der Schmerz an der Erschöpfung, die Freude am Ueberdruß, das Glück an der Langenweile – kurz Alles an unsrer Unvollkommenheit. Die Summe unsrer Gedanken und Gefühle, und der aus ihnen sich entwickelnden Bestrebungen und Handlungen, bildet unser Leben: da dessen sämtliche Bestandtheile vergänglich sind, wohin denn sollen wir das Unvergängliche verlegen? in welchen verborgenen Winkel unsers Seins könnte es sich eingenistet haben? und der Tod, der jene Bestandtheile und ihre Wechselwirkung auflöst, sollte im Zersetzen das Unvergängliche gestalten oder herausbilden? – Man hoft es. – Ich habe mir die Hofnung abgewöhnt! – Welche Enttäuschungen und Täuschungen mich dahin geführt haben will ich aufzeichnen, und da ich gleichgültig gegen mich selbst bin, so kann ich höchst gelassen meine Irrthümer, Fehler und Verrechnungen betrachten. Ob sie für Andere eine warnende Lehre sein können, weiß ich nicht; aber erschrecken kann wol mein Bekenntniß: ich hatte Alles was man Glück im edelsten Sinn nennt, und war dennoch nicht einen einzigen Tag meines Lebens ganz glücklich, weil ich ein absolutes Glück, nämlich das Bewußtsein von dessen Unwandelbarkeit und Unsterblichkeit begehrte; das relative genügte mir nicht. Daher war ich außer dem Gleichgewicht mit den Gesetzen, welche das menschliche Leben bedingen und beherrschen. Ich grämte mich keine Göttin zu sein, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als Ewigkeit in ihrem Busen trägt – und darüber versäumte ich tüchtig als Mensch zu werden. In unsrer Zeit liegt etwas Bethörendes, wie in aller Schrankenlosigkeit. An den Grundgesetzen rütteln heißt nicht sie überflügelt haben; nach den Grundursachen forschen heißt nicht sie ergründet haben; dennoch traut Derjenige sich Beides zu der es versucht hat, und reichen die Flügel alsdann doch nicht zum Schwung aus – und ist der Grund alsdann doch weiter nichts als Triebsand hier und ein finstrer Schacht dort: so unterwirft er sich nicht demüthig der Erkenntniß, sondern er trotzt oder verzagt. Mir ist eins und das andere widerfahren. Zuweilen sag’ ich mir ich sei dazu prädestinirt gewesen; Organisation, Erziehung, Schicksale wirkten auf einen Punkt zusammen, und das war nicht der aus welchem sich ein segenvolles friedliches Dasein entwickelt.
Im grünen Holstein am Strande der Ostsee bin ich geboren. Eine reiche Erbtochter war meine Mutter; mein Vater ein armer fränkischer Edelmann, der ihr zu Liebe die heitern rebenumlaubten Hügel am Main mit dem Sitz auf ihrem nordischen Stammschloß vertauschte. Das Rauschen des Sturmes in den knorrigen Aesten der alten Eichen, das Krächzen der Raben die auf ihnen Schutz suchten, das Brausen der Brandung die bis in den Garten schlug – waren meine Wiegenlieder. Am Tage Aller Seelen bin ich geboren. Ich war ein Spätling in der Familie; eine Schwester war zehn, ein Bruder sieben Jahr älter als ich, und ich schloß die Reihe der Kinder. Ich entsinne mich keines Eindrucks noch Ereignisses aus meinen ersten Lebensjahren. Später, wo mir die Erinnerung auftaucht, beginnt sie mit unbestimmten Leiden. Ich war von krankhafter Reizbarkeit: ein Wort, ein Blick, ein Lächeln genügte um mir trostlose Thränen zu entlocken. Bei einem drei- oder vierjährigen Kinde darf unmöglich von dem Herzen die Rede sein! so waren denn also die Nerven von so bebender Erregbarkeit, daß sie durch Nüancen des Tons und Ausdrucks erschüttert wurden, welche ich jezt nicht mehr zu bezeichnen vermag. Um diese Reizbarkeit zu schonen ging man nachsichtsvoller mit mir um als ich es verdienen mogte. Ich hatte meine Eltern lieb, meine Schwester war mir ziemlich gleichgültig, an meinem Bruder hing ich mit grenzenloser Zärtlichkeit: das erste Gefühl dessen ich mir bewußt geworden bin, gehörte ihm. Wir waren unzertrennlich so weit seine Lectionen und der Unterschied des Alters und Geschlechts es gestatteten. In einem leichten Wägelchen mit zwei kleinen Pferden von der Insel Oeland fuhr er mich spazieren; auf einem dieser Pferde lehrte er mich reiten indem er nebenher ging, und als ich etwas sicherer und ungefähr acht Jahr alt war, durfte ich auf meinem kleinen Oeländer mit ihm wirklich spazieren reiten. Zuweilen begleitete uns der Vater; aber das war uns nicht sehr angenehm, denn in seiner Gegenwart extemporirten wir nicht so unverlegen als unter vier Augen die Komödien, welche wir beständig mit einander spielten. Der Unterricht den mein Bruder genoß bot uns Stoff dazu. Bald war er Hector und ich Andromache; bald war er ein Ritter der im Turnier von einer Königin – oder ein Troubadour der von seiner Dame den Preis erhält; und hatte ich eben das holde Fräulein dargestellt, so verwandelte ich mich schleunigst in die Aehrenleserin Ruth, welche durch die Hand des Boas beglückt wird, oder in Arria, die sich mit einem majestätischen »Non dolet« den Dolch ins Herz stößt. Tancred und Clorinde war unser Lieblingsspiel zu Pferde; der Moment meines Todes rührte mich bis in die innerste Seele! aber nichts, nichts übertraf unser beider Entzücken, wenn mein Bruder den geblendeten Belisar und ich den Knaben seinen Führer darstellte; dann irrten wir Hand in Hand durch die verwachsenen waldigen Partien des Parks, oder auf den schmalen Fußsteigen zwischen den Feldern, oder im hohen Wiesengras umher, langten auf irgend einem jener baumbewachsenen Hügel an, die man dort zu Lande Hünengräber nennt, setzten uns nieder, – und nun mußte ich dem blinden Belisar die Landschaft beschreiben, welche sich vor uns ausbreitete; aber nicht die holsteinische Landschaft die ich wirklich sah, sondern Byzanz mit seiner Propontis, oder Rom mit seiner Campagna, oder Neapel mit seinem Golf – wozu mein Bruder mir durch Bilder und Erzählungen zuvor das Material geliefert hatte. Bisweilen war ich zerstreut und unaufmerksam; dann fiel mein Belisar aus der Rolle und half mir zurecht um nicht Capri und Ischia mit den Prinzeninseln zu verwechseln; hatte ich ihn aber durch eine treue Schilderung seiner innern Bilder ergötzt; so versetzten wir uns aus dem Traumleben der Gegenwart in das der Zukunft, und mein Bruder schilderte mir wiederum die Reisen die er zu machen beabsichtige, wenn er seine Studien vollendet habe.
»Aber Du mußt mich mitnehmen, Heinrich!« rief ich wehmüthig wenn er so recht im Zuge war mir Gott weiß welche Herrlichkeiten auszumalen.
»Das versteht sich, Sibylle! entgegnete er zuversichtlich; wenn Du fünfzehn Jahr alt bist ziehen wir in die weite Welt.«
Und in meinem Sinn schnürte ich schon mein Bündelchen und sah mich um nach einem Wanderstab.
Der Winter war unsre seligste Freudenzeit! dann froren die Canäle zu, welche in allen Richtungen den weitläuftigen Park durchschnitten, und wir liefen darauf Schlittschuh – eine Uebung die mein Bruder mir gleichfalls beigebracht hatte. Abends, wenn die weiße Erde, der blaue Himmel, die bereiften Bäume und das spiegelblanke Eis vom Mond und vom Frost wie versilbert flimmerten – dann hinaus! Heinrich rechts ich links auf den Canälen, ein Punkt bestimmt wo wir zusammentreffen wollten und dann fort wie der Vogel, wie der Wind! Ach, das war ein Jubel! Oder wir verfolgten, jagten und haschten uns, und fuhren dann Hand in Hand weiter, oder Arabesken und unsre Namenszüge in das Eis hinein. Oder wir führten dann Elfentänze aus – wie wir unsere Evolutionen nannten, denn ohne phantastische Spiele in unsren Vergnügungen hätten uns diese nur die halbe Freude gewährt.
Die Eltern, ein alter Hofmeister, ein junger Musiklehrer, eine Engländerin halb Gouvernante halb Gesellschafterin, und wir drei Kinder, endlich eine Menge von Dienstboten wie man sie auf dem Lande in reichen Häusern oft recht überflüßig zu halten pflegt – das war unsre Hausgenossenschaft. Besuch kam selten, und noch seltener wurde eine Gesellschaft zum Mittagsessen gebeten. Beides war ein Ereigniß in unserm stillen Leben, aber für mich ein höchst widerwärtiges. Bei den Diners wurde ich von der Tafel ausgeschlossen und einsam in die Kinderstube verbannt; und den fremden Besuchen gegenüber verging ich fast vor Angst und Schüchternheit. Hätte ein Tancred oder ein Hector, eine Fee oder eine Prinzessin mich angeredet, so würde ich schon geantwortet haben, allein mit diesen Menschen, die mir Alle so bekannt aussahen und so fremd waren, fühlte ich mich grenzenlos verlegen. Zeit und Verhältnisse waren auch nicht von der Art um eine fröhliche Geselligkeit zu begünstigen: die Franzosenherrschaft lastete auf Deutschland wie die Schwüle eines Gewitters. Jeder fühlte so könne und dürfe es nicht bleiben, während er sich doch bang nach der Explosion umschaute, welche einem besseren Zustand vorhergehen mußte. Ich war zu jung um die traurigen und finstern Gespräche der Erwachsenen über diesen Punkt zu verstehen; aber meine Schwester mag wol eine sehr trübe und freudlose Jugend gehabt haben.
Plötzlich wurde aber Alles anders! es hieß nun gebe es Krieg gegen die Franzosen. Ein Neffe meiner Mutter, ein Hannoveraner, der grade bei uns zum Besuch war, verlobte sich im Gefühl künftiger Siege mit meiner Schwester, und eilte die Rosen der Liebe mit dem Lorbeer des Helden zu durchflechten. Alles war in Begeisterung, Alles jauchzte der Befreiung entgegen, Alles war bereit Blut und Leben dran zu setzen. Wir feierten die gewonnenen Schlachten, bewunderten die verbündeten Monarchen, priesen Landwehr, freiwillige Jäger, hanseatische Legion, Kosaken; vergingen in Angst und Mitleid bei der Belagerung Hamburgs, und jauchzten bei dem Einzug in Paris. Es war solcher Schwung und solche Bewegung in das wirkliche Leben gekommen, daß mein Bruder und ich unser Phantasieleben darüber vergaßen, und unsre Helden des Alterthums und der Romantik in den Schatten stellten neben all den glorreichen Namen von lebenden Fürsten und Feldherren.
Paul, der Verlobte meiner Schwester schrieb aus Paris wie aus einem Wunderlande, einer Feenwelt. Im Lauf des Sommers kam er zurück und brachte mir Bonbons mit von so unbegreiflicher Schönheit, daß ich sie wie Kunstwerke anstaunte ohne den Muth zu haben auch nur einen einzigen zu verzehren. Ebenso reizend waren die Geschenke, welche er meiner Schwester machte, und seine Erzählungen übertrafen nun gar Alles was ich je von Herrlichkeiten geträumt hatte. Nur das Wort zu hören »Palais royal« machte mir einen ganz zauberischen Eindruck. Die Verlobten sprachen von einer Hochzeitreise nach Paris; zum ersten Mal in meinem Leben beneidete ich meine Schwester! – An ihren Bräutigam schloß ich mich mit einer Art von Leidenschaft, weil er durch seine Erzählungen meiner Phantasie Nahrung bot. Ich hielt mich zu ihm so viel ich konnte, und er war immer sehr freundlich gegen mich – was der armen Amalie nicht sehr zu gefallen schien, denn sie schickte mich zuweilen mißmuthig fort. Auch Heinrich war nicht so gut gelaunt wie sonst. Der Knabe wuchs in den Jüngling hinein, alle Uebergangsepochen müssen sich durch Stürme ringen. Aber das wußte ich damals nicht. Ich konnte nicht begreifen weshalb Heinrich gar nicht so lustig und fröhlich wie sonst – und nicht so bereit mit mir zu spielen war. Als ich ihn einmal mit Bitten plagte, rief er verdrießlich: »Ach Sibylle, Du bist mir ganz unangenehm geworden! ich kann’s nicht leiden, daß sich die Mädchen immer verlieben und heirathen wollen. Amalie – nun ja, die ist schon neunzehn Jahr alt, da läßt man’s hingehen! aber Du! solch ein winziges Ding und schon verliebt …. und noch dazu in den Bräutigam Deiner Schwester! O schäme Dich! das hätte ich nie von Dir gedacht.«
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