Großstadt

Großstadt – Dora Duncker

Nach dem Tod der Mutter entschließen sich die beiden Schwestern Lotte und Lena nun nach Berlin zu ziehen, um dort ihren Weg zu machen. Aus überschaubareren Verhältnissen kommend, stellt der Wechsel in die Großstadt sie vor einige Herausforderungen, sowohl unerwartete wie erwartete. Werden sie es schaffen sich trotz aller Schwierigkeiten zu behaupten oder werden sie letztendlich doch den Gefahren zum Opfer fallen vor denen im Vorfeld schon ein besorgter Familienfreund gewarnt hatte? (aus librivox.org)

Großstadt

Großstadt.

Format: eBook

Großstadt.

ISBN eBook: 9783849655112

 

 

Auszug aus dem Text:

In einem geräumigen Zimmer, dessen Einrichtung so einfach war, dass sie beinahe an Armut grenzte, sassen zwei junge Mädchen in tiefer Trauerkleidung und ein Mann, der die Höhe der Sechzig erreicht haben mochte, um einen runden, mit einer blau und rot gewürfelten Decke bedeckten Tisch.

Von draussen schlug in kurzen Absätzen ein stössiger Nordost gegen die Fensterscheiben.

Am Himmel zogen graue, schwere Wolken einher und verdunkelten auf Augenblicke das kahle, unfreundliche Gemach. Man konnte dann nur noch die bleichen Gesichter der beiden Mädchen und die auf dem Fussboden verstreuten Blütenblätter von weissen Astern und hellfarbigen Rosen deutlich unterscheiden. Ein widerlicher Geruch von Karbol, Räucheressenzen, Cichorienkaffee und toten Blumen durchzog den Raum.

Eine zeitlang war es ganz still zwischen den Dreien. Nur ab und zu klirrte ein Kaffeelöffel gegen eine der Tassen auf dem Tisch, vornehmlich von dem breiten geblümten Sofa her, auf dem in gebückter Haltung der Mann – eine starkknochige, breitschultrige Gestalt – sass. Als er jetzt mit der Hand ungeschickt gegen die dickbauchige Kaffeekanne stiess und beinahe den ganzen starkduftenden Trank verschüttet hätte, rief er ungeduldig die beiden ihm gegenübersitzenden Mädchen an.

»Bring’ doch endlich eine von Euch Licht, man sieht ja nicht die Hand vor Augen mehr.«

Die schlankere und schmächtigere der beiden Mädchen war sofort aufgesprungen und kam nach einigen Augenblicken mit einer brennenden Lampe wieder, die sie in der einen Hand trug, während die andere sich schützend über die rotverweinten Augen legte. Auch die im Zimmer verbliebene Schwester beschattete ihr Gesicht vorerst gegen den grell einfallenden Lichtschein.

Nachdem das Mädchen die Lampe auf das rotgewürfelte Tischtuch gestellt hatte, schloss sie sorgfältig die Fensterladen, durch deren herzförmige Ausschnitte jetzt kaum noch ein fahler Tagesschein drang, so schnell hatte die Dunkelheit zugenommen. Auch der Wind war stärker geworden. Heulend pfiff er gegen die Hauswand und wieder zurück, als ob er sich erbose, da einen Widerstand zu finden.

Als das junge schmächtige Mädchen mit ihrer Verrichtung am Fenster fertig war und sich dem Tische wieder zuwandte, standen ihr die Thränen in den Augen.

»Welch’ eine Nacht für Mutter da draussen,« stiess sie halblaut, selbst wie vom Frost geschüttelt, hervor.

Die jüngere Schwester, kleiner und rundlicher wie sie, drückte ihr die Hand. Auch in ihren Augen standen Thränen.

»Grässlich, Lotte, solch’ eine erste Nacht auf dem Kirchhof.«

Der Mann auf dem Sofa überhörte absichtlich die halblaute, ruckweise geführte Unterhaltung zwischen seinen Töchtern. Er rührte in seiner Kaffeetasse und warf dabei einen halben, verlangenden Blick auf den Pfeifenständer an der Wand, sich gegenüber.

Nee, nee, das würd’ ja wohl doch nichts werden. So an Mutters Begräbnistag ging das nicht wohl an. – Mit einem langen Zuge leerte er den Kaffeerest aus seiner grossen Tasse, schob mit dem Rücken der Hand Brodkrumen und Gerätschaften bei Seite und sah dann mit einem halb mitleidigen, halb genierten Blick zu seinen beiden stumm dasitzenden Töchtern hinüber.

»Ihr wolltet ja was mit mir bereden, Kinder. Na, denn man los und lasst die Köpfe nicht so miesepetrig hängen, wie ein paar kranke Gäule. Mutter war doch nu mal nicht zu helfen. Ein Wunder, dass wir sie so lange behalten haben. Nu hilft’s mal nichts, nu müssen wir eben ohne sie fertig zu werden suchen. Was wollt Ihr also?«

Lotte, die ältere und schlankere von beiden, hatte ihr Taschentuch hervorgezogen und schluchzte, keines Wortes mächtig, leise hinein. Die andere, Lena, versuchte ihre Schwester zu trösten. Als sie sah, dass ihre Bemühungen nicht den geringsten Erfolg hatten, wandte sie sich zu ihrem Vater hinüber.

»Wir wollten mit Dir darüber sprechen, Vater, dass Lotte und ich, wo wir nun hier nicht mehr nötig sind, unseren alten Plan wieder aufnehmen und nach Berlin ziehen wollen. Onkel Karl ist ja soweit auch ganz dafür, und er meinte, Dir würd’s auch recht sein, wenn wir uns nun endlich selbstständig machten. Es sei doch auch mehr als notwendig, und hier in dem Nest nichts für uns zu holen.«

»Hm. Und wie dachtet Ihr Euch das? Du wirst Dir das ja doch wohl mit Onkel Karl schon alles gründlich ausklabautert haben, Lena?«

»Ja, Onkel meinte – er wird ja auch noch selbst mit Dir reden – das beste wäre, wir gingen so schnell als möglich, damit hier nicht erst noch viel draufgeht. Es ist ja jetzt bald Ende September. Die Wohnung wirst Du vielleicht noch zum 1. Oktober los, und wir haben gerade jetzt zum Quartal doch die beste Chance für Berlin.«

»Das klingt ja alles sehr schön, aber was denkt Ihr, was aus mir werden soll, hm?«

»Du hast ja doch Deine Gnadenpension, Vater – und wenn Du uns los bist, dann kostet Dich doch das Leben nicht mehr viel. Wenn wir erst verdienen, schicken wir Dir ja auch gern dazu, Vater, und so ein einzelnes Zimmer, vielleicht bei Karsten in der Färbergasse, wo Du immer so gern im Garten sitzest, das kann ja doch auch die Welt nicht kosten.«

…..

 

 

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