Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern

Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern – Johannes Cassianus

Johannes Cassianus war ein christlicher Mönch und Theologe, der sowohl in der westlichen als auch in der östlichen Kirche für seine mystischen Schriften gefeiert wurde. Cassian ist bekannt für seine Rolle bei der Verbreitung der Ideen und Praktiken des christlichen Mönchtums im frühmittelalterlichen Westen. Die “Unterredungen”, die Papst Leo, dem Bischof von Frejus und dem Mönch Helladius gewidmet sind, fassen wichtige Gespräche zusammen, die Cassian mit Ältesten des Klosters in Scetis über Prinzipien und Probleme des geistlichen und asketischen Lebens führte. Es wurde später in benediktinischen Gemeinschaften nach dem Abendmahl gelesen.

Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern

Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern.

Format: eBook/Taschenbuch

Vierundzwanzig Unterredungen mit den Vätern

ISBN eBook: 9783849659912

ISBN Taschenbuch: 9783849668273

 

Auszug aus dem Text:

 

Erste Unterredung

 

gehalten mit Abt Moyses über Absicht und Endzweck des Mönches.

1. Über die scythische Ansiedlung und den Grundsatz des Abtes Moyses.

 In der scythischen Wüste, 4 wo die bewährtesten Väter der Mönche und die Vollkommensten aller Heiligen weilten, suchte ich den Abt Moyses auf, der unter diesen herrlichen Blüthen lieblicher leuchtete, nicht nur durch die Vollkommenheit im thätigen, sondern auch im beschaulichen Leben, und wünschte, durch seine Unterweisung einen festen Grund zu bekommen. Zugleich mit mir war der heilige 5

 Vater Germanus, mit dem ich von der Lehrzeit an und seit den ersten Anfängen des geistlichen Kriegsdienstes eine so untrennbare Genossenschaft pflegte sowohl im Kloster als in der Wüste, daß Alle zur Bezeichnung unserer Freundschaft und der Gleichheit unseres Strebens sagten, es sei ein Geist und eine Seele in zwei Körpern. In gleicher Weise verlangten wir nun von eben jenem Vater Moyses mit strömenden Thränen, daß er zu unserer Erbauung rede. Wir kannten nämlich gar wohl die Strenge seines Gemüthes, daß er sich nicht herbeiläßt, die Thüre der Vollkommenheit zu öffnen, wenn man nicht in Wahrheit sich sehnt und mit aller Zerknirschung des Herzens darnach sucht; damit er nemlich nicht entweder den Fehler der Prahlerei oder das Verbrechen des Verrathes zu begehen scheine, wenn er sie durchgehends entweder den Nichtwollenden oder den lau Verlangenden zugänglich mache und also die hiebei unvermeidlichen Dinge, die nur den nach Vollkommenheit Verlangenden bekannt sein dürfen, unter Unwürdigen verbreite unter Solchen, die sie mit Langeweile hinnehmen. Endlich begann er, durch unsere Bitten ermüdet, also:

2. Von der Frage des Abtes Moyses, der untersucht, welche Bestimmung und welches Ziel der Mönch habe.

Alle Künste und Wissenschaften, sagte er, haben einen σκοπός, das ist eine Bestimmung, und ein τέλος, das ist ein eigenes Ziel; darauf hinblickend erträgt Jeder, der eine Kunst eifrig anstrebt, gleichmüthig und gerne alle Mühen und Gefahren und allen Aufwand. Denn auch der Landmann scheut weder die sengenden Strahlen der Sonne noch Reif und Eis und durchfurcht unermüdlich die Erde und zwingt die unbewältigten Schollen wieder und wieder unter die Pflugschar, indem er seine Absicht festhält, die von allen Dornen gereinigte und allem Unkraut befreite Erde durch diese Bearbeitung wie zerreiblichen Sand zu verkleinern. Er glaubt sicher, daß er nur durch seine Mühe und seinen Schweiß den Endzweck erreichen könne, nemlich die Ernte reicher Früchte und voller Ähren, wodurch er fürderhin sorglos zu leben oder sein Vermögen zu vermehren im Stande sei. Ebenso nimmt er, wenn die Scheune von Früchten voll ist, gerne davon und vertraut sie den lockern Furchen an mit eiliger Mühe, ohne Betrübniß über die gegenwärtige Verminderung wegen der Aussicht auf zukünftige Ernte. Auch Die, welche Handel treiben, fürchten nicht die unsichern Zufälle der Meerfahrt und scheuen keine Gefahr, da sie die Hoffnung auf Lohn und der Endzweck des Erwerbes reizt. Ferner Jene, welche von weltlichem militärischem Ehrgeiz brennen, haben kein Gefühl für die todbringenden Gefahren der Märsche, da sie auf den Endzweck der Ehre und Macht schauen, und sie werden nicht gebeugt durch die gegenwärtigen Mühen und Kämpfe, da sie das vorgesteckte Ziel hoher Würden zu erreichen streben. 6 Es hat also auch unser Stand eine eigene Bestimmung und seinen Endzweck, in Rücksicht auf welchen wir alle Anstrengungen nicht nur unermüdet, sondern auch gerne aufwenden, so daß uns der Hunger des Fastens nicht ermattet, die Müdigkeit des Nachtwachens uns ergötzt, die beständige Lesung und Betrachtung der hl. Schriften uns nicht sättigt, auch die unaufhörliche Arbeit, die Blöße und der Mangel an Allem, ja selbst diese schaurige, ödeste Wüsteneinsamkeit uns nicht abschreckt. Wegen dieses Zieles habt ohne Zweifel auch ihr die Neigung zu den Angehörigen verachtet, den heimathlichen Boden und die Freuden der Welt bei der Wanderung durch so viele Gegenden gering geschätzt, um zu uns ungebildeten und unwissenden Menschen zu kommen, die wir in dieser rauhen Wüste leben. Antwortet mir deßhalb, sagte er, welches die Absicht oder der Zweck sei, der euch antrieb, all Dieß so gerne zu übernehmen.

3. Unsere Antwort.

Da er nun darauf bestand, uns unsere Meinung über diesen Fragepunkt zu entlocken, so antworteten wir, daß man all Dieß um des Himmelreiches willen ertrage.

4. Untersuchung des Moyses über den vorgenannten Satz.

Darauf sagte Jener: Gut und klug habt ihr über den Endzweck gesprochen; nun müßt ihr aber vor Allem wissen, welches unser σκοπός d. i. unsere nächste Absicht sein muß, der wir beständig anhängen müssen, um so das Endziel erreichen zu können. Da wir nun unsere Unwissenheit einfach bekannt hatten, fügte er bei: In jeder Kunst und Wissenschaft geht, wie ich sagte, ein gewisser σκοπός voraus, d. i. eine Bestimmung des Gemüthes oder eine unaufhörliche Absicht des Geistes, ohne deren mit allem Fleiß und aller Beharrlichkeit festgehaltene Beachtung Einer auch nicht zu dem Endziel des begehrten Erfolges gelangen kann. Denn, wie ich gesagt habe, der Landmann, der das Ziel hat, sorglos und behäbig zu leben durch das Wachsthum reichlicher Saaten, der hat auch die Absicht, seinen Acker von allem Dorngestrüppe zu reinigen und von allen unfruchtbaren Gräsern zu befreien, und gibt sich nicht der Vertrauensseligkeit hin, daß er auf andere Weise die Fülle des ruhigen Zieles erreichen werde, als wenn er das, was er in Gebrauch und Besitz haben will, zuvor schon gewissermaßen durch seine Mühe und Hoffnung besitze. Auch der Geschäftsmann legt das Verlangen, sich Waaren zu verschaffen, nicht ab, durch das er sich vortheilhafte Reichthümer sammeln kann, weil er vergebens nach Gewinn verlangen würde, wenn er den Weg, zu demselben zu kommen, nicht erwählt hätte; und die, welche sich in gewissen Würden dieser Welt geehrt sehen wollen, setzen sich auch zuerst vor, welcher Pflicht oder Ordnung sie sich unterwerfen müssen, damit sie auf dem gesetzmäßigen Pfad der Erwartung auch das Endziel der gewünschten Würden zu erlangen vermögen. So ist auch das Endziel unseres Weges allerdings das Reich Gottes; welches aber unser nächstes Ziel sei, muß fleissig untersucht werden. Wenn uns das nicht gleichmäßig bekannt ist, werden wir uns durch vergebliches Ringen abmühen, weil die ohne Weg vorwärts Strebenden wohl die Mühe der Wanderung haben, aber kein Fortkommen. Als wir darüber staunten, sagte uns der Greis: Das Endziel unseres Standes ist allerdings, wie wir gesagt haben, das Reich Gottes oder das Himmelreich; aber unser nächstes Ziel ist die Reinheit des Herzens, ohne welche es unmöglich ist, daß Einer zu diesem Endziel gelange. Indem wir also auf diese Absicht die Blicke bei unserer Leitung heften, richten wir unsern Lauf ganz gerade wie nach einer bestimmten Linie. Und wenn unsere Gedanken ein wenig von ihr abgewichen sind, eilen wir sogleich zu ihrer Betrachtung zurück und wollen dieselben wieder wie nach einer gewissen Norm auf das Genaueste verbessern. Diese also wird immer alle unsere Unternehmungen zu diesem einen Sammelpunkt zurückrufen und so alsbald Klage führen, wenn unser Geist von der vorgesteckten Richtung auch nur ein wenig abweicht.

5. Er zeigt an einem andern Beispiele, daß man sich genau nach einem Ziele richten müsse.

 Wenn Diejenigen, welche kriegerische Geschoße zu handhaben pflegen, vor einem Könige dieser Welt ihre Meisterschaft in dieser Kunst zeigen wollen, so suchen sie die Geschoße oder Pfeile in einem ganz kleinen Schild, der die Preise abgebildet enthält, einzubohren, da sie gewiß wissen, daß sie nicht anders als in der Linie ihres Zieles zu dem Endzweck des gewünschten Preises gelangen können, den sie allerdings nur dann in ihren Besitz bringen werden, wenn sie das vorgesteckte Ziel zu treffen vermochten. Wenn nun dieß zufällig ihrem Blicke entzogen worden ist, so werden, wie weit auch immer das leere Zielen der Unkundigen von dem rechten Schußwege abweichen mag, sie doch nicht merken, daß sie von der Richtung der vorgeschriebenen Linie abgekommen sind, weil sie kein bestimmtes Zeichen haben, das entweder die Trefflichkeit des Zielens bewähren oder die Unrichtigkeit überweisen würde. Wenn sie also unnütze Schüsse in die leere Luft abgegeben haben, so können sie nicht beurtheilen, worin sie gefehlt haben, und wo sie sich getäuscht haben, da sie kein Zeichen überführt, wie weit sie von der Richtung abgewichen seien, und der auf keinen bestimmten Gegenstand gerichtete Blick keine Norm lehren kann, worin sie sich nachher verbessern oder wohin sie sich zurückwenden müssen. So ist auch das Endziel unseres Vorhabens zwar das ewige Leben nach dem Apostel, der da sagt: 7 „Ihr habt euere Frucht in der Heiligung, zum Ende aber das ewige Leben;“ das nächste Ziel aber ist die Reinheit des Herzens, die er nicht mit Unrecht Heiligung nennt, ohne welche das genannte letzte Ziel nicht erreicht werden kann. Es ist, wie wenn er mit andern Worten gesagt hätte: Ihr habt zwar für euer nächstes Trachten die Reinheit des Herzens, zum Endzweck aber das ewige Leben. Wo eben dieser hl. Apostel an einer andern Stelle von dieser Bestimmung lehrt, da drückt er sogar deutlich das Wort selbst, d. i. σκοπός, aus, indem er sagt: 8 „Was rückwärts liegt, vergessend, zu dem was vorwärts liegt, mich ausstreckend trachte ich nach dem Ziel zu dem Siegerlohn der himmlischen Berufung des Herrn.“ Im Griechischen steht noch klarer: κατ σκόπον διώκω, d. i. nach dem Ziele eile ich vorwärts; gleich als hätte er gesagt: Durch jenes Ziel, gemäß welchem ich das Vergangene vergesse, nemlich die Fehler des früheren Menschen, strebe ich zu dem Endziel des himmlischen Siegespreises zu gelangen. Was uns also immer zu diesem nächsten Ziele, der Reinheit des Herzens, leiten kann, das ist mit aller Kraft zu erstreben; was uns aber davon abzieht, ist als gefährlich und verderblich zu meiden. Denn für dieses dulden und thun wir Alles; für dieses werden Eltern, Vaterland, Würden, Reichthümer, Weltfreuden und alle Lust verachtet, damit nemlich die beständige Reinheit des Herzens bewahrt bleibe. Wenn wir uns also diese Bestimmung vorgezeichnet haben, so werden immer unsere Handlungen und Gedanken in geradester Richtung auf ihre Erreichung abzielen. Wenn sie nicht beständig uns vor Augen steht, so wird ihr Mangel nicht nur alle unsere Arbeiten leer und haltlos machen und dieselben vergebens und ohne jeden Erfolg herausnöthigen, sondern auch alle Gedanken in Verworrenheit und Widerspruch erregen. Denn nothwendig muß ein Geist, der Nichts hat, worauf er zurückkommen und dem er vorzüglich anhängen kann, jede Stunde und jeden Augenblick nach der Verschiedenheit dessen, was auf ihn eindringt, sich ändern und durch das, was sich aussen ereignet, sogleich in den Zustand verwandelt werden, der sich ihm zuerst darbietet.

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